Bericht vom 7. Prozesstag – 06.03.2024

Der 7. Prozesstag in Kürze:

  • Vernehmung zwei weiterer Polizeizeug*innen: Es bestätigt sich, dass kein Waffeneinsatz (Pfefferspray, Taser, MP5) gegen Mouhamed angedroht wurde.
  • Hassan A.R. (damals Beamter der uniformierten Dienstgruppe) will sich heute erinnern können, wie Mouhamed das Messer beim Laufen hielt, führt dies lebhaft im Saal vor. In seiner polizeilichen Vernehmung kurz nach der Tat gab er noch an, hierzu nichts zu wissen. Weiter behauptet er, sein Weggang aus der Wache Nord nach dem 8. August 2022 habe nichts mit dem Einsatz zu tun – Chatnachrichten kurz nach der Tat belegen das Gegenteil.
  • Hassan A.R. verteidigt vor Gericht vehement den Einsatz von Schusswaffen in „Messerlagen“ und sagt: “Hätte [Fabian S.] nicht geschossen, hätte ich geschossen.” Alle bisherigen Polizei-Zeug*innen scheinen weiterhin überzeugt, dass ihr Handeln richtig war. Der Zeuge beschreibt die Einsatzlogik folgendermaßen: „Eigen- und Fremdgefährdung neutralisieren“.
    Dies zeigt: Es muss nicht nur darum gehen, ob die Polizei legal gehandelt hat, sondern vielmehr auch, Polizeitaktiken und -ausbildung zu hinterfragen.
  • Wieder wird berichtet, dass Mouhamed, getroffen von den Schüssen, vom Einsatzleiter H. mit dem Fuß fixiert, gefesselt und “weggezogen” wurde, um das Messer zu finden – erst danach sei er versorgt worden.
  • Dass Mouhamed nach den Schüssen versuchte, die Arme unter seinen Körper zu bewegen, wird als „bedrohlicher“ Versuch dargestellt, aufzustehen oder das Messer zu greifen – auf Rückfrage kann selbst A.R nicht ausschließen, dass Mouhamed hingegen vor Schmerzen Richtung Unterbauch und Schritt fasste, wo er vom Taser und Schüssen getroffen wurden.
  • Die Polizistin Sandra K., Leiterin der zivilen Sondereinheit der Wache Nord, hat noch am Tattag um 18:22, eine „umfangreiche Anzeige“ (StA Dombert) wegen Bedrohung gegen Mouhamed aufgenommen. Zu diesem Zeitpunkt war er nachweislich bereits verstorben.
    Sie berichtet, dies mit dem Einsatzleiter Thorsten H. sowie der Kripo Recklinghausen
    abgesprochen zu haben. In der Befragung entstehen Unklarheiten bzgl. vier verschiedener Versionen der Anzeige im Polizeicomputer.
  • Umgang mit Familie Dramé: Nachdem die Anwesenheit der Brüder Sidy und Lassana bisher in keiner Weise gewürdigt wurde, steht auch nicht zur Debatte, den Prozess zu pausieren, als erst Sidy und später auch Lassana, mit Tränen in den Augen den Saal verlassen. Eine Begleitung aus dem Publikum darf nicht mitgehen, sondern muss durch den Besucher*inneneingang ums gesamte Gebäude laufen, um ihnen beizustehen. Beim Hustenanfall einer Schöffin hingegen wird der gesamte Prozess einige Minuten pausiert.

Ausführlicher Bericht vom
7. Prozesstag:

Im folgenden Bericht werden Aspekte der Tat beschrieben.

Heute werden zwei weitere Polizeizeug*innen befragt: Der in der Nordstadt eingesetzte Polizist Hassan A.R. (31 Jahre) sowie Sandra K. (47 Jahre), Leiterin der zivilen Einsatztruppe in der Dortmunder Nordstadt. Beide waren am Einsatz am 8. August 2022 gegen Mouhamed Lamine Dramé beteiligt. Sie sind nahe Kolleg*innen der Einheit von Einsatzleiter Thorsten H. auf der Wache Nord.

Aussagen teils widersprüchlich

Der erste Zeuge des Tages, Herr A.R., bestätigt noch einmal, dass den Einsatzkräften sowohl die Information über eine potentielle suizidale Situation, Mouhameds Alter als auch seine Sprachkenntnisse bekannt waren. Er bestätigt auch, dass kein Waffeneinsatz (Pfeffer, Taser, MP5) gegen Mouhamed angedroht wurde.
A.R. scheint sich, im Gegensatz zu allen bisher gehörten Aussagen, sicher zu sein, dass Mouhamed die Situation um sich herum mitbekam, macht dies daran fest, dass er gesehen haben will, wie Mouhamed das gegen sich gerichtete Messer zwei- bis dreimal aus der Hand zu fallen drohte, er dieses dann aber wieder fester gegriffen haben soll. Außerdem besteht der Zeuge darauf, dass das erste angewendete Zwangsmittel, eine Flasche Pfefferspray, Mouhamed nicht direkt getroffen haben soll – sondern sich nieselnd etwas links neben ihm ergoss. Andere Unstimmigkeiten in seiner Aussage fallen auf: A.R. will sich heute erinnern können, wie Mouhamed das Messer beim Laufen hielt, führt dies im Saal vor. In seiner polizeilichen Vernehmung kurz nach der Tat gab er noch an, hierzu nichts zu wissen. Weiter behauptet er, sein Weggang aus der Wache Nord nach dem 8. August 2022 habe nichts mit dem Einsatz am 8. August zu tun – ihm von der Nebenklage vorgehaltene Chatnachrichten von ihm unter seinem Spitznamen „Apache“ an seine Kolleg*innen kurz nach der Tat belegen das Gegenteil.

Noch immer von Einsatztaktik überzeugt

Zur Frage nach der Anwendung von Zwangsmitteln im Einsatz sagt A.R. aus, dass es nicht notwendig sei, im Einsatz noch einen Befehl durch den Einsatzleiter abzuwarten – in “für Leib und Leben” bedrohlichen Situationen obliege es der Einschätzung der einzelnen Beamt*in, ein Zwangsmittel einzsuetzen. Dies gelte auch für die MP5, von der seit Juli 2018 in NRW jeweils zwei in jedem Funkstreifenwagen der Polizei mitgeführt werden[i], sofern die Einsatzleitung die Mitnahme zu einem Einsatzort angeordnet hat.
A.R. verteidigt in seiner Aussage außerdem vehement den Einsatz von Schusswaffen in „Messerlagen“ und sagt: “Hätte [Fabian S.] nicht geschossen, hätte ich geschossen.” Wie alle anderen bisherigen Polizeizeug*innen vertritt auch er weiterhin überzeugt, dass ihr Handeln gegenüber Mouhamed richtig und alternativlos gewesen sei.
Den Einsatz von Tasern betrachtet A.R. explizit als kein angebrachtes Mittel in “Messerlagen”. Auf Rückfragen fällt es ihm allerdings schwer, eine “Messerlage” zu definieren. Auch zur Frage nach den Richtlinien und Bestimmungen zum Einsatz von Tasern kann er nicht antworten.
Zur Frage, warum die Bodycams der Beamt*innen beim Einsatz nicht eingeschaltet waren, antwortet A.R., dass dies bei Einsätzen, die psychisch kranke Personen involvieren, ebenso wie in Privaträumen nicht zulässig sei. Auf Rückfrage der Nebenklage, ob er für eine solche Einschätzung qualifiziert sei, kann er nicht antworten.
Herr A.R. bestätigt dann auch, dass Mouhamed, getroffen von den Schüssen, vom Einsatzleiter H. mit einem Fuß fixiert, gefesselt und “weggezogen” wurde, um das Messer zu finden.

Dass Mouhamed sich nach den Schüssen am Boden bewegte und versuchte, die Arme unter seinen Körper zu ziehen, wird als „bedrohlicher“ Versuch dargestellt, aufzustehen oder nach dem Messer zu greifen – auf Rückfrage kann A.R aber nicht ausschließen, dass Mouhamed sich hingegen vor Schmerzen wand und versuchte, Richtung Unterbauch und Schritt zu fassen, wo er kurz zuvor von Taser und Schüssen getroffen wurde.

Die Polizistin Sandra K., Leiterin der zivilen Sondereinheit der Wache Nord, hat noch am Tattag um 18:22 eine „umfangreiche Anzeige“ (StA Dombert) wegen Bedrohung gegen Mouhamed aufgenommen. Zu diesem Zeitpunkt war Mouhamed nachweislich bereits verstorben. Dies war Sandra K. bei Abschluss der Anzeige auch bekannt. Die Anzeige soll dann der Informierung der Polizei Recklinghausen gedient haben, die ab da standardmäßig eine Ermittlung aufnahm.

Weiterhin geht die Kammer mit Polizeizeug*innen sichtlich anders um als mit den vorherigen zivilen Zeug*innen – die Fragen ähneln oft eher einer gemeinsamen Abstimmung als einer Überprüfung ihrer Glaubwürdigkeit. Eine Antwort von Sandra K. zur Position auf Lichtbildern beantwortet Richter Kelm etwa mit: „Richtig!“.

Anwesenheit der Familie als Nebenklage geringgeschätzt

Der Umgang der Kammer mit der Familie Dramé sowie ihren rechtlichen Vertreter*innen RA Grüter und Prof. Feltes ist weiterhin von Respektlosigkeit geprägt. Nachdem die Anwesenheit der Brüder Sidy und Lassana Dramé bisher in keiner Weise gewürdigt wurde, steht auch nicht zur Debatte, den Prozess zu pausieren, als erst Sidy und später auch Lassana mit Tränen in den Augen den Saal verlassen. Eine Begleitung aus dem Publikum darf nicht mitgehen, sondern muss durch den Besuchereingang ums gesamte Gebäude laufen, um ihnen beizustehen. Beim Hustenanfall einer Schöffin hingegen wird der gesamte Prozess einige Minuten pausiert.

Am Mittwoch, den 13. März, geht es ab 9:30 weiter mit der Befragung weiterer Polizeizeugen.

Wir freuen uns über solidarische Prozessbeobachter*innen sowie Teilnahme an unserer Mahnwache ab 7:30 vor dem Gericht (Kaiserstraße 34).


[i]https://www1.wdr.de/nachrichten/landespolitik/maschinenpistolen-polizei-nrw-100.html

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