Der 8. Prozesstag in Kürze:
Im folgenden Bericht werden Aspekte der Tat und Rassismus im Gericht benannt.
• Vernehmung weiterer Polizeizeug*innen: Kommissaranwärter*innen Lea B. (24) und Luca P. (22 Jahre). Für beide handelte es sich beim Einsatz gegen Mouhamed um einen ihrer ersten Einsätze der Ausbildung. Die Erinnerungen scheinen lückenhaft, zumindest an den entscheidenden Stellen. Herr P. sträubt sich unter Berufung auf seine kurze Berufserfahrung immer wieder dagegen, Einschätzungen zum Einsatz zu geben, verwickelt sich in Widersprüche – in seiner Befragung stellt sich heraus: Sein Vater, mit dem er ebenfalls „viel“ über den Einsatz sprach, ist Hundertschaftsführer bei der Dortmunder Polizei.
• P. bestätigt, dass Einsatzleiter Thorsten H. bei der Einsatzbesprechung alle Zwangsmittel anordnete und den Angeklagten zuwies. P. wies er an, einen Einsatzmehrzweckstock (Schlagstock) mitzunehmen – welcher aber nicht zum Einsatz kam.
• B. berichtet, dass die Angeklagte Jeanine Denise B. nur Sekunden, nachdem die Beamtinnen an ihrer Position in der Missundestraße ankamen, das Pfefferspray in Mouhameds Richtung entleerte.
• Im Gegensatz zum Polizisten Hassan A.R. am 7. Verhandlungstag ist P. sich sicher, dass das Pfefferspray Mouhamed erreichte, dieser „nass“ davon wurde. Er macht Angaben zu Mouhameds Lauf und der Haltung des Küchenmessers, wozu er noch in der Vernehmung kurz nach der Tat angab, nichts zu wissen.
• Zu den Schüssen sagt Luca P., er habe, als die Situation dynamisch wurde, „sich auf andere Kollegen verlassen“ und damit gerechnet, dass einer von ihnen schießen würde. Trotz seiner bis dahin kurzen Ausbildungszeit war auch er mit Pistole bewaffnet.
• Kommunikation über den Einsatz innerhalb der Dienstgruppe wird verlesen: In zwei Sprachnachrichten sagt die Angeklagte Pia B. kurz nach der Tat: „Aber man hätte ein paar Sachen anders machen können. Weiß nicht, ob er anders reagiert hätte. (…) Aber hätten wir das nicht eher statisch halten können?“ und: „Man muss am Ende hinterfragen: Hätte man das nicht statisch halten oder eine andere Taktik wählen können? Aber es macht sich keiner Sorgen, dass da die Rechtmäßigkeit in Frage gestellt wird.“ (Mitschrift aus dem Gerichtssaal)
• Widersprüche ergeben sich als nachgeharkt wird: Offensichtlich wurde viel innerhalb der Wache Nord über den Vorfall gesprochen, wie die Zeug*innen zu behaupten versuchen, jedoch nicht „inhaltlich“ oder „einsatztaktisch“ sondern nur zwecks emotionalem Support untereinander.
• Für die eingesetzten Beamt*innen wurde noch am selben Tag des Einsatzes ein PSU-Team (psychosoziale Unterstützung) angefordert.
• Zu seiner Ausbildung gibt Luca P. auf Nachfrage an, dass zum Thema psychischer Krankheiten theoretisch informiert, aber kein praktischer Umgang mit Menschen in psychischen Ausnahmesituationen gelehrt wurde.
Ausführlicher Bericht vom
8. Prozesstag:
Im folgenden Bericht werden Aspekte der Tat und Rassismus im Gericht benannt.
Zum heutigen Prozesstag findet erneut eine Mahnwache vor dem Landgericht statt und viele solidarische Menschen sind im Saal anwesend. Obwohl der Einlass mittlerweile schon gegen 8:15 beginnt, verzögert sich der Prozessstart durch intensive Einlasskontrollen auch weiterhin.
Heute wird mit der Vernehmung zweier weiterer Polizeizeug*innen im Prozess fortgefahren: den Kommissaranwärter*innen Lea B. (24 Jahre) und Luca P. (22 Jahre). Für beide handelte es sich beim Einsatz gegen Mouhamed um einen der ersten Praktikumseinsätze ihrer Polizeiausbildung. Die Erinnerungen beider sind eher lückenhaft. Richter Kelm reagiert auf die Erinnerungslücken verständnisvoll, indem er die Aufregung der Kommissaranwärter*innen betont. Wie auch bei vorherigen Polizeizeug*innen zeigt sich auch hier die unterschiedliche Behandlung von „Berufs“- und zivilen Zeug*innen.
Lea B. war am Einsatztag den Angeklagten Jeanine-Denise B. und Markus B. zugeteilt, kam mit ihnen im Streifenwagen am Einsatzort an und rannte nach der Einsatzbesprechung mit ihnen auf Position in die Missundestraße. Luca P. war den Angeklagten Fabian S. und Pia Katharina B. zugeteilt und befand sich mit ihnen im Innenhof. Polizist P. bestätigt, dass Einsatzleiter Thorsten H. alle später verwendeten Zwangsmittel anordnete und den Angeklagten zuwies. Herrn P. wies er an, einen Einsatzmehrzweckstock mitzunehmen – ein Mittel, das dann aber nicht zum Einsatz kam. Auf Nachfrage von Richter Kelm sagt Luca P. aus, dass keine Zweifel oder Einwände zum Einsatzplan oder den verwendeten Mitteln geäußert worden seien.
Lea B. berichtet, dass nur Sekunden, nachdem sie mit den beiden Angeklagten in der Missundestraße ankam, die Angeklagte Jeanine-Denise B. das Pfefferspray in Mouhameds Richtung entleerte. Im Gegensatz zur Aussage des Polizisten Hassan A.R. ist sich Luca P. sicher, dass das Pfefferspray Mouhamed erreichte und dieser davon „nass“ wurde. Er macht Angaben zu Mouhameds Lauf und der Haltung des Küchenmessers, wozu er aber in der Vernehmung kurz nach der Tat angab, nichts zu wissen.
Zu den Schüssen sagt Luca P., er habe sich, als die Situation dynamisch wurde, „auf andere Kollegen verlassen“ und damit gerechnet, dass eine*r von ihnen schießen würde. Die Befehle, die Einsatzleiter Thorsten H. im Moment der Fixierung rief, seien ausschließlich auf Deutsch und Englisch erfolgt – beides Sprachen, die Mouhamed bekanntermaßen nicht verstand.
Interne Kommunikation der Angeklagten nach dem Einsatz wird öffentlich
Lange bleibt in der Befragung unklar, ob es im Nachhinein Gespräche über Einsatz und Einsatztaktik innerhalb der Dienstgruppe gegeben hat. Die Nebenklage zweifelt daran, dass es, insbesondere auch mit den Anwärter*innen, keinerlei Gespräch darüber gegeben haben soll. Die Zeug*innen antworten ausweichend. Dann wird durch eine Vorhaltung der Nebenklage klar, dass es innerhalb einer Chatgruppe zwei Sprachnachrichten der Angeklagten Pia Katharina B. gab, in denen diese Zweifel an der Einsatztaktik, die sie hegt, den Kolleg*innen gegenüber äußert: „Aber man hätte ein paar Sachen anders machen können. Weiß nicht, ob er anders reagiert hätte. Der war psycho, keine Frage. Aber hätten wir das nicht eher statisch halten können?“ und: „Man muss am Ende hinterfragen: Hätte man das nicht statisch halten oder eine andere Taktik wählen können? Aber es macht sich keiner Sorgen, dass da die Rechtmäßigkeit in Frage gestellt wird.“ (Mitschrift aus dem Gerichtssaal)
Für die eingesetzten Beamt*innen wurde noch am Tag des Einsatzes ein PSU-Team (psychosoziale Unterstützung) angefordert.
Zu seiner Ausbildung sagt Herr P. auf Nachfrage, dass zum Thema psychische Krankheit zwar theoretisch informiert, aber kein praktischer Umgang mit Menschen in psychischen Ausnahmesituationen gelehrt wurde.
Rassistische Normen im Gerichtssaal
Schon bei vorherigen Aussagen wurde die mangelnde Deutschkenntnis von Zeug*innen zu deren Verunglaubwürdigung genutzt und immer wieder Personenbeschreibungen verwendet, die das Schwarzsein von Personen markieren, während die Hautfarbe weißer Menschen unmarkierte Norm bleibt. Auch heute sagt Luca P. zum Anblick der Schusswunden von Mouhamed, dass diese „quasi hautfarben“ aussahen. Damit meint er wohl nicht die Hautfarbe von Mouhamed, sondern die rosa Farbe von offenem Gewebe.
Normal ist im Gerichtssaal auch ein entpersonalisiertes Sprechen über die Tat. Heute etwa fällt erst mitten in der Befragung durch Prof. Feltes zum ersten Mal an diesem Prozesstag der Name Mouhamed, sonst wird über „den Geschädigten“ oder „den Betroffenen“ gesprochen. Auf die Simultan-Dolmetschung für die beiden Brüder Sidy und Lassana Dramé wird von Seiten der Kammer keine Rücksicht genommen.
Am Mittwoch, den 20. März, geht es ab 9:30 weiter mit der Befragung weiterer Polizeizeugen.
Wir freuen uns über solidarische Prozessbeobachter*innen sowie Teilnahme an unserer Mahnwache ab 7:30 vor dem Gericht (Kaiserstraße 34).