Freisprüche in Dortmund: Keine Gerechtigkeit für Mouhamed.

Urteil wird der Kultur tödlicher Polizeigewalt kein Ende setzen.

Gemeinsame Pressemitteilung zum Prozessende.
Solidaritätskreis Mouhamed und Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V.


Heute, am 12. Dezember 2024, wurde nach einem Jahr Prozess gegen fünf Polizist*innen das Urteil verkündet. Diese waren an der Tötung von Mouhamed Lamine Dramé am 8. August 2022 in der Dortmunder Nordstadt beteiligt.

Alle fünf Polizist*innen wurden freigesprochen. Die Verfahrenskosten trägt die Staatskasse.
 
Der Solidaritätskreis und das Grundrechtekomitee sind fassungslos, wütend und traurig. Es geht nicht um die Angemessenheit von Strafe, sondern um das völlige Fehlen einer  Verantwortungsübernahme. Das Gericht billigte mit den Freisprüchen und der Würdigung das Einsatzverhalten aller 5 Beamt*innen., die tödliche Einsatzlogik wurde anerkannt.
Die 5 Polizist*innen, die an dem Einsatz beteiligt waren, werden weiterhin ihre Berufe ausüben dürfen und ihren Beamt*innenstatus nicht verlieren. Eine ernsthafte Entschuldigung und Verantwortungsübernahme durch die Polizei stehen auch nach einem Jahr Prozess weiterhin aus.

„Das heutige Urteil wird nicht dazu beitragen, tödliche Polizeieinsätze in Zukunft zu verhindern. Im Gegenteil, das Urteil ist ein Signal an die Polizei: Ihr könnt weitermachen wie bisher, für tödliche Schüsse drohen keine Konsequenzen“ , kritisiert Britta Rabe, die den Prozess für das Komitee für Grundrechte und Demokratie beobachtet hat..

Anna Neumann, Pressesprecher*in des Solidaritätskreises Justice4Mouhamed kritisiert: „Dieses Urteil wird Geschichte schreiben: Zukünftige Urteile werden sich darauf beziehen. Damit rückt eine selbstkritische Reflexion und Auseinandersetzung mit strukturellem Rassismus seitens der Polizei in weite Ferne. Das ist fatal, denn wir brauchen strukturelle Veränderungen, um weitere Tötungen durch die Polizei zu verhindern.“
Mouhameds Familie fordert, dass so etwas nie wieder passiert. Seit Mouhameds Tod sind jedoch bereits zahlreiche weitere Menschen durch oder in den Händen der Polizei gestorben.
Der Prozess ist durch Ungleichheit gekennzeichnet gewesen. Die Brüder Sidy und Lassana Dramé wurden von der Stadt Dortmund nicht darin unterstützt, dem Prozess beizuwohnen. Dies musste von zivilen Akteur*innen und zahlreiche Spender*innen erstritten werden, welche Visa organisierten sowie die Kosten des Aufenthalts privat finanzierten .Auch das Urteil leistet keine Anerkennung des Leids der Familie und der Belastung durch den Prozess: Mouhamed kam als Mensch nicht vor. Die Entschuldigung des Schützen Fabian S. fand im Zuge seiner PR-Kampagne im Sommer statt, mit der es ihm – erfolgreich – gelang, sein Image aufzubessern. Seinem Exklusivinterview und seinen Aussagen wurde deutlich mehr Gewicht gegeben als den Perspektiven der Familie Mouhameds – was einer Täter-Opfer-Umkehr und der Inszenierung einer Notwehrsituation den Weg bereitete.

Der Kampf um ein würdevolles Gedenken an Mouhamed Dramé, Gerechtigkeit für seine Familie und ein Ende tödlicher Polizeigewalt werden auch nach dem Prozess weitergehen.
Dazu ruft der Solidaritätskreis am 14.12, um 13:12 Uhr, mit dem Startpunkt Katharinentreppen, zu einer Demonstration auf, um das Urteil zu skandalisieren und weiterhin Gerechtigkeit für Mouhamed, seine Familie und Betroffenen von tödlicher Polizeigewalt zu fordern.
No Justice, no Peace.
Kontakte Presse:


Anna Neumann, Solidaritätskreis Justice4Mouhamed:
solidaritaetskreismouhamed@riseup.net

Britta Rabe, Grundrechtekomitee:
brittarabe@grundrechtekomitee.de

Pressemitteilung des Solidaritätskreis Justice4Mouhamed vor der Urteilsverkündung gegen die angeklagten fünf Polizist*innen, die an dem für Mouhamed Dramé tödlichen Polizeieinsatz beteiligt waren.

Am 12.12.2024 ab 13 Uhr wird nach 31 Prozesstagen, die sich über fast ein Jahr erstreckten, am Dortmunder Landgericht das Urteil erwartet. Gegenstand ist der tödliche Einsatz im August 2022, bei dem Mouhamed Lamine Dramé durch die Polizei erschossen wurde. Fünf der zwölf am Einsatz beteiligten Polizist*innen mussten sich vor Gericht verantworten
Der Solidaritätskreis Justice4Mouhamed unterstützt die Nebenklage und schließt sich deren Plädoyer, sowie den Forderungen der Familie Dramé an. So benannte die Anwältin der Nebenklage Lisa Grüter strukturellen Rassismus in polizeilichem Erfahrungswissen und Handeln etwa in Form von „shooting bias“, welche zu Fehlern in der Einsatzplanung führen und tödliche Ausgänge begünstigen. Das Phänomen shooting bias wurde in den vergangenen Jahren immer wieder untersucht. Eine Studie aus dem Jahre 2023 kommt zu dem Schluss, dass Personen, die sich für vorurteilsfrei halten dennoch shooting bias aufweisen. Darüber hinaus ist bekannt, dass Polizist*innen eine mangelnde Selbstreflexion in Bezug auf ihr eigenes Handeln oder eben diese Einstellungen aufweisen.
 „Jeder Mensch trägt gewisse Vorurteile in sich. Aufgabe ist jedoch die Bewusstwerdung und der Abbau dieser Vorurteile. Sich der Einsicht zu verschließen, ist Teil des Problems.“ kritisiert Anna Neumann, Sprecher*in des Solidaritätskreises und ergänzt folgend: „Vor allem Menschen mit Migrationsgeschichte, Menschen in psychischen Krisensituationen sowie von starker Armut betroffene Menschen wie Wohnungslose sind von den Folgen dieser Einstellungen bei der Polizei betroffen.“ Im Falle Mouhameds wurde von der Polizei das Bild eines aggressiven Messertäters gezeichnet. Medien wie beispielsweise Spiegel TV übernahmen unkritisch diese Darstellung. Solche Darstellungen vertiefen rassistische Vorurteile, die letzten Endens dem beschriebenen shooting bias Vorschub leisten. „Solch eine Darstellung ist traumatisierend für die Familie Dramé. Ihr Sohn wird in aller Öffentlichkeit diffamiert und eine angemessene und glaubhafte Entschuldigung steht immer noch aus“, sagt Pressesprecher*in Anna Neumann. Inzwischen wurde durch die Staatsanwaltschaft anerkannt, dass Mouhamed kein Angreifer war.

Ebenso wenig nachvollziehbar wie für Anwältin Grüter ist auch für den Solidaritätskreis, warum sich der Strafantrag der Dortmunder Staatsanwaltschaft für Einsatzleiter Thorsten H. unterhalb der Grenze zum Verlust des Beamtenstatus befindet. Laut Grüter solle es zudem nicht nur für ihn, sondern auch für Jeannine B. und Markus B. Konsequenzen geben, da diese sich nicht auf die Annahme von Notwehr berufen könnten. Entgegen dem Plädoyer der Nebenklage fordern die Verteidiger Freispruch für alle fünf Angeklagten. Die Staatsanwaltschaft fordert eine Haftstrafe von 10 Monaten für Einsatzleiter Thorsten H., welche in zwei Jahre Bewährung umgewandelt werden könnte. Zusätzlich soll er 5000€ an eine Dortmunder Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe zahlen.
 
 Es geht nicht um hohe Strafen, sondern um Konsequenzen für unrechtmäßiges polizeiliches Handeln, macht auch das Plädoyer der Nebenklage deutlich. „Es kann nicht sein, dass derart folgenreiches Handeln ohne Konsequenzen bleibt. In unseren Forderungen geht es gar nicht um besonders hohe Strafen, sondern um Verantwortungsübernahme und Veränderung“, so Anna Neumann. Auch brauche es weiterhin eine kritische Reflexion und Aufarbeitung, egal wie das Urteil ausfällt. Neumann betont: „Unsere Gedanken sind heute bei Mouhamed und seiner Familie, sowie bei den vielen Menschen, die durch tödliche Polizeieinsätze ihr Leben verloren haben und für die es immer noch keine Gerechtigkeit gibt.“

Der Solidaritätskreis Justice4Mouhamed wird der Urteilsverkündung beiwohnen und mit einer Mahnwache vor dem Gericht vor Ort sein. Darüber hinaus wird vor diesem Hintergrund für Samstag, den 14. Dezember, ab 13:15 Uhr zu einer Demonstration mit Start an den Dortmunder Katharinentreppen (gegenüber dem Hauptbahnhof) aufgerufen.