Am 14.10.2024 veröffentlichte Spiegel TV die Doku „Tod nach Polizeieinsatz: Der Fall Mouhamed Dramé“. „Wir sind erschüttert über diese Darstellungen und möchten Stellung zu den Inhalten der Dokumentation beziehen“, so Alex, Sprecher*in des Solidaritätskreises.
Die Dokumentation befasst sich fast ausschließlich, in unkritischer Weise mit dem Handeln des Schützen, Fabian S, nicht mit den Einsatzkonzepten oder der Polizei als Institution. „Es gibt kein kritisches Wort zum Einsatz, es wird von Schuld in individualisierter Form gesprochen, die niemals von uns so geäußert wurde. Uns geht es um eine umfassende Kritik. Die Polizei ist nicht die richtige Ansprechpartnerin, wenn es um psychische Ausnahmesituationen geht. Das belegen in diesem Zusammenhang die zahlreichen Toten als auch die Arbeitsweisen der Polizei“, übt Alex Kritik.
Nischik, welche den Beitrag produzierte, war zuvor für die WELT tätig und berichtete über den Gerichtsprozess. Ihre Artikel waren von Wohlwollen gegenüber der Polizei geprägt, hingegen äußerte sie sich rassistisch gegenüber Menschen mit Migrationsbiographien. Zweitere tauchen bei ihr nur in zugeschriebenen, kriminellen Kontexten auf. So schreibt sie zu „Messertaten“, „Clankriminalität“ und Drogenhandel. Polizist*innen werden verteidigt, etwa wenn es um Konsequenzen zu rechten Chatgruppen, ebensolchen Tendenzen in der Polizei sowie fragwürdigen Einsatzkonzepten, wie dem im Falle Mouhameds, geht. Man dürfe keine Vorverurteilung und keinen Generalverdacht aufstellen, heißt es. Entsprechende Rahmungen finden sich auch in der am 14.10.24 veröffentlichten Doku:
Fabian S. – Auswegloses Schießen, um Kolleg*innen zu schützen
In dem Beitrag finden wir den Schützen Fabian S. in einer Protagonistenstory wieder. Es werden Ausschnitte aus seinem Exklusivinterview mit dem WDR gezeigt, in dem der Hauptangeklagte spricht. Seine Gefühle und Gedanken zu dem Einsatzgeschehen am 8.8. stehen dabei im Mittelpunkt, wodurch der Einsatz auf ihn als Person reduziert wird. Er sei nachdenklicher geworden und habe realisiert, „wie schnell man in so eine Situation kommen kann“. Das klingt nicht nur passiv, S. verteidigt auch sein Handeln mit dem Schutz seiner Kolleg*innen und dem Wissen, das er in seiner Ausbildung gelernt habe. Zu schießen scheint dem Polizisten alternativlos zu sein, denn es fällt kein kritisches Wort zu dem Einsatzvorgehen.
„Die Institution verschwindet hier vollkommen hinter dem Individuum, was eine umfassende Verantwortungsübernahme verunmöglicht. Wir sehen hingegen eine Emotionalisierung, die Empathie hervorrufen soll. Jedoch sehr einseitig – für Fabian S., nicht für Mouhamed und seine Angehörigen, die sogar noch diffamiert werden. Für uns ist das eine klare Täter-Opfer-Umkehr!“, betont Alex, Sprecher*in des Solidaritätskreises.
Rassistische Darstellungen Mouhameds: „Flüchtling“ und „Messertäter“
Im Kontrast zu der persönlich-nahen Darstellung des Schützen steht eine von rassistischen Narrativen geprägte Erzählung über Mouhamed Lamine Dramé. Die suizidale Situation, in der Mouhamed sich befand, wird in einen Kontext mit rassistisch konnotierter, sogenannter „Messerkriminalität“ gebracht, anstatt es dabei zu belassen, dass er sich in einer psychischen Ausnahmesituationen befand. Es wird die Schilderung der Polizei übernommen, dass Mouhamed aufsprang und sich schnell auf die Polizist*innen zubewegte, obwohl diese Beschreibung höchst umstritten ist und nicht-polizeiliche Augenzeug*innen von einem orientierungslosen Aufstehen sprechen. Fakt ist jedoch, dass Mouhamed, der sich in einer Ecke zwischen Kirchenmauer und Zaun befand, mit einer ganzen Flasche Pfefferspray besprüht wurde, während er unbeweglich, apathisch vor der Mauer hockte. Als er vom Pfefferspray getroffen war, suchte er den einzigen Ausweg aus der Situation, der durch die Polizist*innen versperrt wurde. Nachdem er aufstand, wurde mit zwei Tasern auf ihn geschossen, nur 0,7 Sekunden später fielen die tödlichen Schüsse. Die Polizei eskalierte in ihrem 10 minütigen Einsatz eine statische Situation, in der es zu keinem Zeitpunkt Anzeichen einer Gefahr für Dritte gab. Doch als genau solch eine Fremdbedrohung stellt die Polizei Mouhamed seit Beginn an dar. Pressesprecher*in Alex beklagt: „Die Spiegel-Doku stellt zur keiner Zeit die Narrative der Polizei in Frage und fragt nicht nach alternativen Handlungsweisen bei Menschen in psychischen Ausnahmesituationen.“ Stattdessen werden falsche Zahlen zu einem angeblichen Anstieg sogenannter „Messertaten“ genannt¹
Darüber hinaus wird Mouhamed in der Doku als „der Flüchtling“ benannt. Ein gezielt gesetztes, aufgeladenes Wort, welches in dem Beitrag im Kontext mit dem Wort „Messertat“ verwendet wird. In Zeiten rassistischer Diskurse rund um sogenannte „Messertaten“ und Asylverschärfungen, wird Mouhamed implizit als eine gesellschaftliche Bedrohung konstruiert. Diese gesetzten Narrative zeichnen ein Bild über Mouhamed, das Empathiegefühl mit ihm schwächt und ihn als weniger schutzbedürftig darstellt. Informationen, die ihn als Menschen nahbar machen, werden bewusst vorenthalten. Stattdessen wird das Bild eines „Sozialschmarotzers“ gezeichnet, welcher persönliche Angaben verfälscht um die Chance auf einen Bleibestatus zu erhöhen. Auch seine Brüder, die im Beitrag gezeigt werden, werden nicht als Nebenkläger vorgestellt, sondern als Angehörige, die durch Spenden finanziert seit Januar zugegen sind. „Der Solidaritätskreis ist sich einig, dass diese Darstellung rassistische Vorurteile befeuert und Rechten in die Hände spielt. Gerade in Zeiten, in denen die AfD Wahlrekorde verzeichnet und rassistische Inhalte mehr als sagbar geworden sind, ist das fatal. Wir sind schockiert, dass solche Beiträge im Spiegel-Format gesendet werden. Eine Gleichsetzung von Angriff und Suizidalität und die Schlussfolgerung, die Polizei habe keine andere Wahl: Das hat nichts mit Qualitätsjournalismus zu tun!“
Generalverdacht und Vorverurteilung durch die „linksextreme“ Szene
Jegliche Kritik an dem Vorgehen der Polizei am 8.8.22, welches zu dem Tod von Mouhamed führte, wird durch Schlagworte, wie „Generalverdacht“ und „Vorverurteilung“ abgeschmettert. Die Kritik, welche aus vielen Teilen der Gesellschaft kommt, wird einer diffusen, nicht näher beschriebenen linksextremen Szene zugeordnet. Nicht nur in den letzten Jahren gab es neben öffentlich-kritischen Stimmen auch wissenschaftliche Veröffentlichungen zur polizeilichen Organisation, Paradigmen, Hintergründen und Einsatzkonzepten². Das ZDF, Monitor und weitere Formate, die sich von „Linksextremen“ distanzieren würden, zeigten kritische Berichterstattungen. Die Benennung des tödlichen Vorgehens der Polizei als rassistische Polizeigewalt, wird in der Doku als „Vorverurteilung durch Aktivisten“ stilisiert. In diesem Kontext wird auch ein Journalist diskreditiert, indem unbegründete Mutmaßungen angestellt werden, er würde bei einer Gruppe mitarbeiten, die vom Verfassungsschutz als linksextrem eingestuft wird. Darüber hinaus wird die aktive Teilnahme an einer Veranstaltung, bei der das Vorgehen der Polizei in Verbindung mit den tödlichen Fälle von Mouhamed und Ante P. kritisiert wird, gegen ihn gewendet. Der Solidaritätskreis solidarisiert sich mit dem angegriffenen Journalisten und kritisiert scharf das unprofessionelle Vorgehen Nischiks.
Die Auseinandersetzung mit rassistischen Strukturen wird damit abgewehrt, dass der Schütze sagt: „[…] die Aktivisten haben die Schuldfrage schon weit im Voraus geklärt. […] Wenn man sagt, dass es auf die Hautfarbe nicht ankommt, dann interessiert die das nicht, das glauben die nicht“. „Solche Aussagen verteidigen tödliche Einsatzlogiken an sich und lassen außer acht, dass vor allem Schwarze Menschen, Menschen in psychischen Ausnahmesituationen als auch obdachlose Menschen von tödlicher Polizeigewalt betroffen sind“, konstatiert Alex.
Der Solidaritätskreis Justice4Mouhamed fordert weiterhin eine Verantwortungsübernahme, die nicht in der Bestrafung von Einzelpersonen, sondern in einer Transformation zu gegenseitiger Hilfe und dem Ausbau sozialer Strukturen und niedrigschwelliger Unterstützungsangebote liegt. Der Spiegel kommt zu dem Ergebnis, dass „nicht Rassismus, sondern möglicherweise falsche Entscheidungen in [einer] komplexe[n] Einsatzsituation“ zu Mouhameds Tod geführt haben. Diese Entscheidungen sind kein Einzelfall, haben Struktur und erfordern laut dem Solidaritätskreis eine kritische Aufarbeitung und keine Darstellungen, die polizeiliches Vorgehen gegen Kritik immunisiert und rechten Narrativen in die Hände spielt.
¹Wir verweisen hier auf folgende Artikel, die sich mit den sogenannten „Messertaten“ auseinandersetzen:
Mediendienst Integration. (2023, 7. Januar). Artikel | | Artikel | MDI. Mediendienst Integration. https://mediendienst-integration.de/artikel/messerangriffe-statistik-und- berichterstattung.html (zuletzt aufgerufen 29.11.2024 12:00 Uhr)
Miller, J. (2024, 5. April). #Faktenfuchs: Warum die Messerangriff-Zahlen intransparent sind. BR24. https://www.br.de/nachrichten/wissen/faktenfuchs-warum-die-messerangriff-zahlen- intransparent-sind,TpdrehK (zuletzt aufgerufen 29.11.2024 12:02 Uhr)
Wilke, T. (2023, 24. März). Offizielle(!) Zahl der Messer-Attacken halb so hoch wie die sog. “Experten” Volksverpetzer. https://www.volksverpetzer.de/analyse/selbsternannte-messer- experten/ (zuletzt aufgerufen 29.11.2024 12:05 Uhr)
² Exemplarisch nennen wir folgende Beispiele für Literatur zu der Kritik an der Polizei. Aufgeführt sind lediglich wissenschaftliche Publikationen:
Abdul-Rahman, L., Espín Grau, H., Singelnstein, T. (2023). Gewalt im Amt Übermäßige polizeiliche Gewaltanwendung und ihre Aufarbeitung. Campus Verlag
Amjahid, M. (2024). Alles nur Einzelfälle? Das System hinter der Polizeigewalt Über Racial Profiling, NSU 2.0 und Machtmissbrauch in der Polizei. Piper
Derin, B., Singelnstein, T. (2022). Die Polizei. Helfer, Gegner, Staatsgewalt Inspektion einer mächtigen Organisation. Ullstein.
Loick, D. (2018). Kritik der Polizei. Campus Verlag
Schmidt, S. (2022). Affekt und Polizei. Eine Ethnografie der Wut in der exekutiven Gewaltarbeit. Transcript Verlag
Wenn zu Recht der polizeiliche Umgang mit Menschen in psychischen Ausnahmezuständen kritisiert wird, wäre es wohl hilfreich, positive Alternativen etwa mit Beispielen aus dem Ausland aufzuzeigen, weil das Entsetzen und die Wut auf die Verhältnisse sonst kein positives Ziel haben.