Bericht vom 31. Prozesstag (Urteilsverkündung) – 12.12.2024

Der Prozesstag in Kürze:

  • Das Gericht urteilt Freisprüche für alle fünf Angeklagten, die wegen schwerer Körperverletzung, Totschlag und Anstiftung zu diesen Taten vor Gericht standen.
  • Gericht bestätigt: Von Mouhamed ging kein Angriff auf die Beamt*innen aus.
  • Das Gericht gesteht den Angeklagten aber zu, wenn auch fälschlich von einem Angriff oder einer Angriffsabsicht ausgegangen zu sein und in dieser Überzeugung gehandelt zu haben – wofür sie nicht bestraft werden können.
  • Die Brüder des Getöteten und die solidarischen Prozessbegleiter*innen sind über das Urteil entsetzt. Im Gerichtssaal gibt es spontane Ausrufe der Solidarität und Rufe nach Gerechtigkeit.

Zum Urteilstag sind so viele solidarische Prozessbeobachter*innen vor Ort wie noch an keinem anderen Prozesstag. Schon vor 7 Uhr stehen so viele Menschen vor der Eingangstür zum Besucher*innenteil des Gerichtssaals 130 an, dass alle Plätze belegt sind – zum Ärger der später ankommenden Polizeibeamt*innen.

In der Einlasskontrolle müssen viele Besucher*innen ihre T-Shirts mit Aufdruck von Mouhameds Gesicht ausziehen. Manche Personen werden aufgefordert, ihre Jacken zu öffnen, um ihre T-Shirts zu überprüfen. Zuschauer*innenbereich als auch Pressebereich sind voll.

Um 13:12 betritt das Gericht den Saal. Wie bereits oft bleibt eine förmliche Eröffnung des Verhandlungstages aus. Unmittelbar verkündet der vorsitzende Richter Kelm „im Namen des Volkes“: Alle fünf Angeklagten werden freigesprochen. Die Kosten des einjährigen Prozesses werden der Staatskasse auferlegt. Im Publikum gibt es einige ungläubige und entsetzte Reaktionen.

Der Richter holt zu seiner Begründung aus, das Ergebnis sei „nicht unbedingt vorhersehbar“ gewesen. Bezüglich einiger Angeklagter habe eine Verurteilung teilweise zunächst nahe gelegen. Dies habe sich in der Hauptverhandlung jedoch anders ergeben

Richter Kelms folgende Ausführungen scheinen mehrheitlich frei vorgetragen.
Er fasst einige der bekannten Eckdaten zu Mouhameds Lebensgeschichte zusammen, bezeichnet dabei Mouhameds dreijährige Flucht als „Anreise“, und erwähnt mehrmals dessen Angabe, seine Eltern seien verstorben. Auch kritisiert er die Kommunikation zwischen LWL-Klinik und Jugendhilfeeinrichtung nach dem Behandlungsgespräch für eine fehlende Informationsweitergabe zu Mouhameds weiterer Betreuung.

Dann beschreibt Richter Kelm den geendeten Polizeieinsatz. Alternativen zum Einsatzplan hatte es nicht gegeben, man habe „voll darauf vertraut, dass das klappt“. Kelm folgert, dass Mouhamed die Ansprachen uniformierter Kräfte und lauten Befehle hätte bemerken müssen – dass rückwirkend aber nicht sicher festzustellen sei, ob er dies in seiner psychischen Situation tat, und dass davon auszugehen sei, dass er dazu nicht in der Lage war.

Richter Kelm wiederholt die polizeiliche Schilderung, dass die Umsetzung des Suizids allerdings jederzeit hätte erfolgen können – eine Beurteilung, die von Augenzeug*innen und Expert*innen wiederholt infrage gestellt wurde. Kelm beschreibt den Befehl zum Einsatz des Reizgases durch die Beamtin Jeanine-Denise B. und bezeichnet die Laufrichtung von Mouhameds darauffolgender Reaktion aus der Sackgasse neben dem Kirchenschiff und weg vom Ort, aus dem der Angriff mit Pfefferspray erfolgte, als nachvollziehbar. In dieser standen aber auch Beamt*innen inklusive des Schützen Fabian S. Mouhamed habe bei seiner Bewegung nur auf das Pfefferspray reagiert, es habe keine Angriffsabsicht gegeben. Diese Zurückweisung der polizeilichen Erstdarstellung durch das Gericht und die Richtigstellung des Narrativs von Mouhamed als Angreifer auf die Polizei für dessen Familie ist enorm wichtig.

Anschließend spricht er von dem darauffolgenden Einsatz von DEIGs (Distanzelektroimpulsgeräten, „Tasern“) durch zwei Beamt*innen. Eine Beamtin hatte die falsche Sorte Elektrokartusche eingesetzt, woraufhin der Taser nicht auslöst wurde. Kelm kommentiert hierzu, dass Taser in NRW noch nicht lange im Einsatz und noch nicht täglich erprobtes Einsatzmittel sind – darum sei „das vielleicht ja auch zu entschuldigen“.

Mouhamed habe sich aber noch weiter in Richtung der Beamt*innen bewegt und das Messer auf Höhe der unteren Körperhälfte gehalten. Die Beamt*innen seien von einer Angriffsabsicht ausgegangen.
Um 16:46:42 erfolgten sechs Schüsse von Fabian S., die mit Tötungsabsicht, mindestens Inkaufnahme des Todes („dolus eventualis“) erfolgt seien. Fünf der Schüsse trafen Mouhamed, zwei davon waren todesursächlich. Beamt*innen haben das Messer dann unter Mouhameds Körper gefunden und sichergestellt. Es habe auch Blutanhaftungen aufgezeigt. Das sei ein Indiz, dass er es bis zu diesem Zeitpunkt mit sich geführt habe. Mouhamed wurde in den Rettungswagen gebracht und behandelt. Um 18:02 sei sein Tod festgestellt worden.

Richter Kelm spricht dann über die Beweiswürdigung, erwähnt einige der Zeug*innenaussagen sowie Mouhameds „Einreiseverhalten“. Das Wesentliche der Informationen, etwa „Vortatgeschehen“ und „Antreffsituation“, seien unstreitig. Nur bezüglich Mouhameds Geschwindigkeit nach dem Reizgaseinsatz gebe es widersprüchliche Aussagen. Die Beamten hätten übereinstimmende Angaben gemacht, mit nur wenigen Abweichungen. Zwei Zeugen hatten ausgesagt, Mouhamed sei langsam hinter der Hauswand hervorgekommen, alle anderen beschrieben schnelle Bewegungen. Die Kammer gehe von schnellen Bewegungen aus. Das ergebe sich schon aus der Situation. Mouhamed habe flüchten wollen – dabei gehe man nicht langsam. Allerdings war die Strecke „zu kurz, um schon zu laufen“. Vielmehr habe er sich in einer „Startphase“ befunden, daher auch die von Zeug*innen beschriebene leicht gebückte Haltung.

Kelm spricht weiter über das „Schutzgut der öffentlichen Sicherheit“ und die Frage nach einer konkreten Gefahr. Er urteilt, ein „alsbaldiger Schadenseintritt“ sei zu erwarten gewesen, denn er habe das Messer stichbereit gehalten und sich apathisch verhalten. Auch ex ante sei dies – wie ex post – nicht klar zu beantworten: „Wir wissen nicht, was im Kopf des Herrn Dramé vorging.“

Das „Schutzgut Leben“ sei insofern betroffen gewesen, dass klar eine gegenwärtige Gefährdung gegeben habe. Kelm erklärt, dass Mouhamed mit dem Leben abgeschlossen habe. An der Ernsthaftigkeit bestünden keine Zweifel. Konkreter ginge kaum – „da müsse er sich das Messer schon in den Bauch gestochen haben.“
Demnach bestünde „ganz klar eine gegenwärtige konkrete Gefahr.“ Wenn die Angeklagten nicht eingegriffen hätten, hätte „Dramé“ sich töten können. Dies hätte wiederum möglicherweise auch strafrechtliche Konsqeuenzen für mindestens einen der Beamt*innen haben können.

Zur Notlage urteilt Kelm: Die Kammer sei überzeugt, dass „Herr Dramé keinen Angriff geplant hat. Nachvollziehbar ist durchaus die Fluchtsituation“. Insbesondere sei festzustellen, dass keinerlei Fremdgefährdung zu erkennen sei. Mouhamed habe keine Zeit gehabt, sich Gedanken über einen Angriff zu machen. Es habe bis zum Pfeffersprayeinsatz keine Fremdgefährdung gegeben, dazu habe auch kein Grund bestanden. „Aufgrund der Indizien sind wir überzeugt: Kein Angriff.“, aber ergänzt: „Man kann das möglicherweise anders sehen.“

Er bestimmt auch: „Der Einsatz erfolgte nachvollziehbar zur Überwältigung des Herrn Dramé.“ Bei der Motivlage gäbe es keine Gründe dafür, dass geprüft werden müsse, ob auch andere Gründe in die Entscheidungen der Beamt*innen hineingespielt haben könnten. Aus der Sicht der Taserschützin und des MP5-Schützen waren diese zur Abwendung einer Gefahr erforderlich, denn es bestand aus ihrer Sicht (!) ein Angriff. Herr Dramé habe mit dem Messer auf sie bedrohlich gewirkt.

Er führt dazu aus: „Es kommt nicht darauf an, ob das Messer von oben oder von unten kam“, auch wenn erfahrungsgemäß stärkere Verletzungen erfolgen, wenn das Messer von oben kommt, „was Sie ja etwas komisch beschrieben haben, Herr Kollege“ und bezieht sich auf die Referenz auf den Film „Psycho“ im Plädoyer des Verteidigers Krekeler.

Zur Strafbarkeit der Angeklagten Jeannine-Denise B. und in Bezug auf die Vorwürfe des § 340 Abs. 1-2 Körperverletzung im Amt, Körperverletzung bzw. gefährliche Körperverletzung §§ 223, 224 führt Kelm aus: „Wir haben zumindest eine Körpermisshandlung. Dass es ihn pathologisch irgendwie beeinträchtigt hat, können wir nicht feststellen.“ Zum Tatbestand führt er aus: „Sie wollte ihn verletzten und beeinträchtigen, damit er das Messer fallen lässt.“ Hier greife PolG NRW §8 Absatz 2, konkrete gegenwärtige Gefahr und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Das Pfefferspray sei ein Einsatzmittel mit grundsätzlich geringen Folgen, einer Reizung der Augen. Es habe keine erheblichen Folgen, sei kein erheblicher Eingriff. Es sei erforderlich gewesen „zur Abwehr des Angriffs“.

Hier tut sich für Prozessbeobachter*innen ein erheblicher Widerspruch auf, denn zum Zeitpunkt des Pfeffersprayeinsatzes war nie von einem Angriff die Rede. Möglicherweise war eigentlich der Erlaubnistatbestandsirrtum gemeint, der den Pfeffersprayeinsatz möglicherweise rechtfertigt.

Eine gegenwärtige Gefahr habe vorgelegen, die Verhältnismäßigkeit des Zwangsmittels sei geeignet, erforderlich und verhältnismäßig im engeren Sinne gewesen. Er sagt, dass Pfefferspray in 80-90 % der Fälle Wirkung entfalte. Er bejaht die Geeignetheit und bezeichnet Pfefferspray als ein „Einsatzmittel mit geringen Folgen“ und ergänzt: „Ich hab’ schon von einem Einsatz gehört, der tödlich erfolgte, aber grundsätzlich hat das geringe Folgen.“ Dadurch, dass es keine erheblichen Folgen von Pfefferspray gebe, gebe es auch keinen erheblichen Eingriff. „Haben wir ein milderes Mittel?
Es wurde diskutiert, ob andere Mittel infrage gekommen wären. Nach Ansicht der Kammer wären diese nicht geeignet oder wären zu spät gekommen.“

Im Folgenden bespricht Kelm einige alternative Mittel, die im Laufe des Prozesses diskutiert wurden. Dabei spricht er frei und teils abfällig, als wären diese dumme Ideen. Das SEK etwa habe ganz andere Aufgaben. „Die sind völlig anders ausgerüstet und sind völlig anders trainiert. Die greifen durch, da wird nicht gezögert.“ Wenn das SEK zum Einsatz gekommen wäre, hätte es auf jeden Fall „Gewalt“ gegeben. Man solle auch nicht glauben, dass das SEK sofort da gewesen wären, sondern sich erst hätten am Standort ausrüsten und dann zum Einsatzort kommen müssen. „Die sitzen da nicht wie die Feuerwehr und springen eine Stange runter. Die brauchen ’ne Weile.“

Zum Einsatz eines Polizeihundes sagt er: „Das ist meiner Einschätzung nach völlig absurd. Was macht ein Hund? Das sind Polizeihunde. Die beißen und die beißen feste.“ Er beschreibt, wie das erhebliche Verletzungen hervorrufen kann. „Dann wissen wir aber auch nicht, wie Herr Dramé dann reagiert hätte. Oder dann müssen Sie sich mal vorstellen, was er gemacht hätte, wenn das SEK kommt.“

Zu der Möglichkeit, einen Psychologen und einen Dolmetscher hinzuzuziehen sagt er stark abfällig: „Das geht nicht so schnell.“ Er vergleicht die Situation mit Dolmetschern im Gerichtssaal und deutet damit an, dass diese unzuverlässig seien: „Wir haben es häufig, dass ein Dolmetscher den Termin vergisst. Bis wir den hier haben dauert das auch. Und das nur für weniger Sprachen. Das geht nicht so schnell. Und noch viel weniger schnell geht es mit einem Psychologen. Die Person des Herrn Dramé ist dem doch völlig unbekannt. Was will der erreichen? Meines Erachtens liegt das völlig daneben. Das wäre „ein erheblicher Zeitaufwand.“

Zu der Möglichkeit der Androhung von Zwangsmitteln sagt er: „Die Androhung soll etwas in Gang setzen. Das war hier nicht zu erwarten. Herr Dramé habe aufgrund der psychischen Verfassung ohnehin nicht reagieren können.“ und stellt die Androhung als gänzlich überflüssig dar, da Mouhamed ja auch nicht ansprechbar gewesen sei, und bei §34 ohnehin nicht notwendig. Alles andere sei eine Unterstellung zu Lasten der Angeklagten.

Richter Kelm geht dann zum angeklagten Schützen Fabian S. wegen Totschlags nach § 212 StGB über: „Kommen wir zu Herrn S., das ist ja die Person, um die es hier geht, sonst säßen wir hier ja nicht vor einem Schwurgericht.“ Hier sei es der Erlaubnistatbestand, der zu S. Gunsten greifen würde. „Es geht hier um den Paragraphen 212 [StGB – Totschlag], vorsätzlich, bewusst.“ Es greife zu seinen Gunsten ein Erlaubnistatbestandsirrtum. „Aus seiner Sicht lag ein gegenwärtiger rechtswidriger Angriff vor. Der war auch gegenwärtig, denn von Frau B. war er [Mouhamed] nur zwei Meter entfernt.“ Eine mögliche Rechtfertigung sei also die Nothilfe nach § 32 StGB zugunsten von Frau B. „Rechtlich geschützte Güter sind hier das Leben von Frau B., äh, ’tschuldigung, Frau B.“ (er verwechselt die beiden weiblichen Angeklagten).
Die Schussabgabe sei erforderlich gewesen, andere Mittel nicht erreichbar. Der sofortige Einsatz sei zwingend gewesen. „Es war das einzige Abwehrmittel. Gebotenheit haben wir auch. Wir erkennen hier keine Einschränkung der Notwehr. Die Nähe war aufgrund des Einsatzplans vorgegeben. Es war klar, der musste dahin laufen.“ Alle sechs Schüsse seien gedeckt – „der Angriff ist erst beendet, wenn der Täter [sic!] zu Boden geht.“ Alles das sei für die Kammer nachvollziehbar. Es wurde auch nicht länger geschossen, bis „der Dramé“ zu Boden gegangen sei. Damit sei sich in der Situation eine Notwehrlage vorgestellt worden. Hier handele es sich um einen Tatbestandsirrtum, nach BGH und auch nach der geltenden Lehre – eine Bestrafung wegen Vorsatztat sei nicht möglich. „Fahrlässigkeit“ wäre möglich, das hänge aber von der individuellen Vermeidbarkeit ab. Objektiv sei die Bewegung vom Mouhamed Lamine Dramé als Angriff einzustufen. „Subjektiv wissen wir es nicht. Es waren nur zwei Meter bis Frau B..“ Für die Beurteilung der Lage habe es eigentlich „überhaupt keine Zeitspanne“ gegeben, damit sei das Handeln unvermeidbar und damit auch ein Freispruch richtig.

In Bezug auf die Taserschützin Pia-Katharina B. urteilt Kelm, das die zwei Treffer aus dem DEIG aus Notwehr und im Rahmen des Erlaubnistatbestandsirrtums abgegeben worden seien. Das DEIG sei in der Kürze der Zeit das einzige Abwehrmittel gewesen.

Der Angeklagte Markus B. hatte mit nur einer Patrone aus dem DEIG getroffen. Eine daraus resultierende Körperverletzung sei völlig unerheblich und ergebe „mit Sicherheit keine Freiheitsstrafe“. Es habe ein Motivbündel vorgelegen im Rettungswillen von Mouhamed sowie seiner Kollegin B.
Eine Androhung sei aufgrund der kurzen Zeit nicht möglich gewesen. Auch ein Rückzug aus dem Einsatzfeld sei nicht möglich gewesen. Sofortiger Einsatz sei geboten gewesen.

Abschließend widmet sich Richter Kelm dem Einsatzleiter Thorsten H. Er sagt, eine Verurteilung nach § 357 StGB scheide schon mangels rechtswidriger Vortat aus. Es komme lediglich eine eigene Fahrlässigkeit in Betracht. Dann müsste eine Sorgfaltspflichtverletzung vorliegen.
Es sei Herrn H. alles bekannt gewesen, die Wirkweise der Einsatzmittel, der mögliche Fluchtweg. Infrage stehe bei objektiver Vorhersehbarkeit die Vermeidbarkeit der Anwendung; „Wir haben das natürlich so objektiv und nach umfassender Bewertung begründet. Ex post lässt sich das vielleicht begründen. Und im Nachhinein ist man immer schlauer, insbesondere, wenn man im Gerichtssaal sitzt.“ Wegen der „Kürze der Zeit“ in der Situation sei ein sofortiges Einschreiten nötig gewesen.
Man habe auch gewährleisten müssen, dass bei Fehlschlag Herr Dramé keine Dritten verletzten würde. Es habe sich in der Hauptverhandlung ergeben, dass ein Zurückweichen gefährlich für den Polizeibeamt*innen selbst habe sein können.
Die dichte Aufstellung der Polizeibeamt*innen, die Thorsten H. zwar nicht angeordnet, aber auch nicht beanstandet hatte, diente der geplanten Entwaffnung und dazu, dass Mouhamed dabei nicht „abhaut“ und Dritte verletzt werden könnten. Eine gelockertere Aufstellung sei laut der Kammer unmöglich gewesen, denn dann hätte Mouhamed in den Innenhof kommen und Dritte verletzten können – „Herr Dramé hatte das nicht vor, das ist klar, das wissen wir im Nachhinein.“ In der Situation selbst habe man das aber nicht klar wissen können. So sei auch Sicherungsschütze Fabian S. nicht „anders zu positionieren“ gewesen. Es läge also keine Pflichtverletzung vor und Thorsten H. sei demnach ebenfalls freizusprechen.

Er schließt mit den Worten „Das ist nicht einfach. Das ist auch nicht einfach zu verstehen. Vielen Dank.“

Die 5 Polizist*innen werden so weiterhin ihre Berufe ausüben bzw. im Fall des suspendierten Schützen Fabian S. diesen wiederaufnehmen dürfen und ihren Beamt*innenstatus nicht verlieren.

Der vorsitzende Richter Kelm und die Kammer erheben sich und beginnen, den Saal zu verlassen.
Das Publikum erhebt sich auch und es beginnen Rufe. „Justice for Mouhamed!“. „Das war Mord!“, „Oury Jalloh – das war Mord“, „Ante P. – das war Mord!“. Die Justizbeamten: „Verlassen Sie den Saal, wir räumen den Saal“. Die Justizbeamten fordern die Pressevertreter*innen auf, den Saal zu verlassen. Gerichtssprecherin Nesrin Özal: „Das hat auch einen Sicherheitsaspekt“. Vor den Pressebänken haben sich die Justizbeamten positioniert, die Angeklagten und ihre Rechtsanwälte werden in schnellen Schritten hinausgebracht.

Kurz später kommt Sidy Dramé in Begleitung der Anwältin Lisa Grüter aus dem Gericht mit erhobener Faust und ruft „Justice for Mouhamed!“. Er wird von einer Mahnwache und vielen dutzenden Unterstützer*innen empfangen. Viele weinen und sind entsetzt über die Freisprüche. In den Tagen nach dem Urteil folgen eine Sponti durch die Nordstadt und eine Großdemonstration durch die Dortmunder Innenstadt.

Jetzt Revision unterstützen – Familie Dramé weitere Prozessteilnahme ermöglichen!


Nach den tödlichen Schüssen auf Mouhamed Lamine Dramé aus einer Maschinenpistole standen im Jahr 2024 die beteiligten Polizist*innen in Dortmund vor Gericht und wurden am 12. Dezember freigesprochen. ​

Doch der Kampf um Gerechtigkeit geht weiter: Staatsanwaltschaft und Nebenklage haben Revision beim Bundesgerichtshof eingelegt. Mouhameds Familie muss ermöglicht werden, weiter am Prozess teilzunehmen. Dafür brauchen wir deine Unterstützung!

Über das Projekt – UPDATE Mai 2025:
Es ist noch nicht vorbei. Nach dem Freispruch der beteiligten Polizist*innen geht der Prozess in Revision. Das bedeutet: Das Urteil wird auf Verfahrens- und Rechtsfehler geprüft. Daher benötigen wir weiterhin Spenden für die Unterstützung der Familie Dramé und die öffentlichkeitswirksame Begleitung des Prozesses.

Weitere Infos: https://justice4mouhamed.org/spenden/

Wir freuen uns über Verbreitung und Unterstützung unserer Spendenkampane:
https://www.betterplace.org/de/projects/131472-prozessteilnahme-der-familie-drame-sowie-solidarische-prozessbegleitung

    „Their names are whispered prayers in a land that would like to forget“


    Pressemitteilung von der Demonstration am 14.12.2024

    „Mouhamed – das war Mord“ skandierten etwa 1500 Menschen auf der Großdemo am 14. Dezember 2024 lautstark trotz eisiger Kälte und einer von der rechten Partei „Die Heimat“ angekündigten Demonstration in unmittelbarer Nähe. Zur Demonstration, die am Samstag in der Dortmunder Innenstadt gegenüber dem Hauptbahnhof startete, waren Menschen und Initiativen aus ganz Deutschland dem Aufruf des Solidaritätskreis Justice4Mouhamed gefolgt, um Mouhamed Lamine Dramé zu gedenken und um Gerechtigkeit für seinen Tod zu fordern. Am vorherigen Donnerstag wurden alle fünf angeklagten Polizist*innen, die an dem tödlichen Einsatz beteiligt waren, vor dem Dortmunder Landgericht freigesprochen.

    „Wir möchten mit der Großdemonstration unsere Wut und unser Unverständnis über die Freisprüche vor dem Landgericht zum Ausdruck bringen“, so Anna Neumann, Pressesprecher*in des Solidaritätskreises Justice4Mouhamed im Vorfeld der Demonstration. „Das Urteil wird nicht dazu beitragen, tödliche Polizeieinsätze in Zukunft zu verhindern. Im Gegenteil, das Urteil ist ein Signal an die Polizei: Ihr könnt weitermachen wie bisher, für tödliche Schüsse drohen keine Konsequenzen“, ergänzt Britta Raabe vom Komitee für Grundrechte und Demokratie. „Daher ist es uns ein Anliegen mit der Demonstration weiterhin für Verantwortungsübernahme für Mouhameds Tod und die vielen anderen Polizeitoten zu kämpfen.“

    Zum Auftakt der Veranstaltung sprach der Solidaritätskreis selbst, welcher die Brüder Mouhameds, Sidy und Lassana Dramé, zum ersten Mal auch persönlich auf einer Großdemonstration begrüßen konnte. Das Urteil hat gezeigt, dass durch strafrechtliche Verfahren keine Verantwortungsübernahme und Gerechtigkeit für tödliche Polizeigewalt hergestellt wird. Es zeigt die Notwendigkeit sich kollektiv für Selbstermächtigung zusammen zu schließen.

    In sehr berührenden, kraftvollen Worten betonte eine Sprecherin der Black Community Coalition Hamburg die Macht, die von Schwarzen Menschen und Verbündeten ausgeht, um das koloniale, kapitalistische System zu überwinden: „We carry fire in our veins and it is time to burn. When we take our bodies back, our voices back, when we stand together and refuse to play their game – they crumble. […] It is time to dismantle the system. Actually not dismantle but break it down and burn it down.“

    Der kämpferische Demonstrationszug setzte sich unter Trubel los, als die MLPD, trotz wiederholter Aufforderungen, ihre Parteifahnen nicht herunter nahmen. Sie reihten sich mit eigenem Lautsprecher in den Demonstrationszug ein. Nachdem ihnen ein Mikrofon von einer Person entwendet wurde, erstatteten sie Anzeige bei der Polizei – wohlgemerkt als Teilnehmer*innen auf einer Demonstration, die sich gegen Polizeigewalt und für das Aufbauen von Alternativen zu dieser, stark macht. Nichtsdestotrotz konnte die Demonstration weiter bis zum Zwischenkundgebungsort laufen, wo die Dortmunder Initiative Schlafen statt Strafen, ihre Rede hielt. Sie machten in ihrer Rede auf zwei weitere, seit 2022 durch die Dortmunder Polizei getöteten Menschen aufmerksam. Die beiden Todesopfer befanden sich ebenfalls in einer psychischen Ausnahmesituation und waren obdachlos. Tödliche Polizeigewalt ist nur die „Spitze des Eisbergs“ einer systematischen, strukturellen Gewalt, die schon viel früher beginnt – in der Stigmatisierung und Ausgrenzung mehrfachmarginalisierter Menschen und ihrer Vertreibung aus der Öffentlichkeit durch Gewalt.

    Nicht nur nach Mouhameds Tod hielt die Polizei an der Erzählung fest, sie habe aus Notwehr gehandelt. Auch nachdem Amin F. 2022 von der Polizei im Frankfurter Bahnhofsviertel erschossen wurde, stellte die Staatsanwaltschaft das Verfahren mit dem Argument der Notwehr ein. „Nur wer den gesamten Kontext rassistischer Machtstrukturen ausblendet, kann auf die Idee kommen, dass sich Biriq, dass sich Mouhamed, Bilel oder so viele andere nur anders hätten verhalten müssen, um nicht Opfer brutaler Polizeigewalt zu werden“, resümiert der Solidaritätskreis Biriq, in ihrem Redebeitrag.

    Für Aufruhr sorgte nicht nur das Verhalten der MLPD, welche, während Betroffene und Angehörige von Ermordeten sprachen, eigene Reden durch ihre Lautsprecher hielten, sondern auch die Polizei. Nach dem Ende der Zwischenkundgebung blockierte eine behelmte, mit Pfefferspray im Anschlag aufgestellte Reihe an Polizist*innen die vorausliegende Straße. Erst nach langen Diskussionen ließen sie den Demonstrationszug weiterziehen.

    Dreiviertel aller von der Polizei getöteten Menschen befanden sich in einer psychischen Ausnahmesituation. Das sind keine tragischen Einzelfälle, sondern deutet auf ein strukturelles Problem hin. Studien zeigen, dass die Gefährlichkeit von Menschen mit psychischen Erkrankungen überschätzt werden. Die Wahrnehmung und Einschätzung von Gefahrenprognosen der Polizei in Einsätzen sind nicht wertneutral, sondern haben eben jenen bias. Auch in Bochum wurde vor kurzer Zeit eine Person in einer psychischen Ausnahmesituation von der Polizei getötet. Die Anti-Ableistische-Aktion leitet mit ihrem Redebeitrag die Abschlusskundgebung ein und machten ihren Kampf um Aufklärung und Gerechtigkeit für den Getöteten, sichtbar.

    „Am 12.12. wurde Geschichte geschrieben,“ beginnt das Kollektiv Afrik ihren Redebeitrag, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Geschichten Schwarzer Menschen in NRW sichtbar zu machen. „Keine gute Geschichte, aber eine, die genau dafür steht – emotionale Kälte, Ungerechtigkeit und Ohnmacht!“ Das Urteil hat Wunden hinterlassen. Bei Familie Dramé und allen Menschen, die gemeinsam mit ihnen seit zwei Jahren unermüdlich für Gerechtigkeit gekämpft haben – in Andenken an Mouhamed, aber auch dafür, dass andere Schwarze (Jugendliche) sich sicher fühlen können, dass die Hautfarbe eines Menschen nicht über seinen Tod bestimmt und dass Menschen notwendige psychologische Unterstützung bekommen. „All diese Ziele hat der vorsitzende Richter mit seinem Urteil mit Füßen getreten.“ Das Urteil zeigt, dass von dem Staat keine Gerechtigkeit zu erwarten ist wenn seine Exekutive Gewalt ausübt. Wir schließen uns den Worten des Kollektivs an, dass die Hoffnung in den Menschen liegt, die zeigen, dass ihnen nicht egal ist, dass Mouhamed getötet wurde und die nicht damit einverstanden sind, dass niemand für seinen Tod zur Verantwortung gezogen wird.

    Ein ganz besonderer Moment war es für Sidy und Lassana Dramé, gemeinsam mit Salio Mamadou, Bruder des Ermordeten Oury Jalloh, auf der Bühne zu stehen. Salio kämpft seit nunmehr 20 Jahren unermüdlich für Aufklärung und Sichtbarkeit für die Ermordung seines Bruders, der von Polizisten in Dessau in Gewahrsam in Brand gesetzt wurde. Am 07. Januar 2025 fand die 20. Großdemonstration in Dessau in Gedenken an Oury statt.

    Der Kampf um Gerechtigkeit für Mouhamed und alle anderen Getöteten von der Polizei geht weiter. Mit den Freisprüchen der Angeklagten stehen eine ernsthafte Entschuldigung und Verantwortungsübernahme für das tödliche Verhalten weiterhin aus. Das Gericht hat festgehalten, dass Mouhamed kein Angreifer war. Doch es braucht auch eine Anerkennung, dass Mouhamed von der Polizei getötet wurde, obwohl es alternative Handlungsmöglichkeiten gab. Denn somit kann das Urteil als Signalwirkung unter Polizist*innen betrachtet werden: sie können konsequenzenlos schießen.

    Der Kampf der Familie Dramé, des Solidaritätskreises Justice4Mouhamed sowie all der anderen Initiativen, für eine strukturelle Veränderung, die das tödliche Handeln der Polizei beenden kann, geht weiter. Um in den Worten des Kollektiv Afrik abzuschließen: „Lasst uns unsere Wut spüren. Sie nehmen und benutzen um dafür zu sorgen, dass es Gerechtigkeit geben wird. Wenn sie uns keine Gerechtigkeit bringen wollen, müssen wir sie uns eben holen. Wir dürfen nicht schweigen, nicht leise werden und nicht unseren Kopf einziehen. Wir müssen aufstehen, laut sein und schreien! Wir müssen Mouhameds Namen so laut schreien, dass er noch über Generationen zu hören ist und die Ungerechtigkeit des 12.12. übertönt. So laut, dass sein Name nie wieder vergessen wird!“

    Pressemitteilung vom Solidaritätskreis Justice4Mouhamed, anlässlich der Großdemonstration zum Prozessende

    Der Solidaritätskreis Justice4Mouhamed ruft für den 14. Dezember ab 13:15 Uhr zu einer Großdemonstration mit Start an den Katharinentreppen (gegenüber Dortmund Hbf) auf, um dem von der Polizei erschossenen Mouhamed Lamine Dramé zu gedenken und das Urteil im gerade zu Ende gekommenen Gerichtsprozess zu skandalisieren. An der Demonstration werden die Familie Dramé sowie weitere Familien von Opfern von Polizeigewalt sowie verschiedene zivilgesellschaftliche Initiativen aus Dortmund und darüber hinaus teilnehmen.

    Auf der Demonstration sprechen unter anderem Mamadou Saliou Diallo, der Bruder des vor fast 20 Jahre in einer Polizeizelle in Dessau verbrannten Oury Jalloh, die Initiative Schlafen statt Strafen, welche sich mit Wohnungslosigkeit befasst und die tödlichen Polizeieinsätze an zwei Wohnungslosen 2022 und 2024 in Dortmund beklagt, das Kollektiv Afrik NRW, der Solikreis Biriq sowie die Antiableistische Aktion Ruhr, die jüngst eine Kundgebung in Bochum abhielt, nachdem im Oktober dort eine psychisch auffällige Person von der Polizei erschossen wurde.
    Seit Dezember 2023 wurde der tödliche Einsatz gegen Mouhamed Dramé vor dem Dortmunder Landgericht verhandelt. Dabei blieben die strukturelle Dimension von (tödlicher) Polizeigewalt sowie der Mensch Mouhamed und seine Familie unsichtbar. Der Solidaritätskreis und andere solidarische Prozessbeobachter*innen mussten beobachten, wie eine Notwehrsituation für die Beamt*innen und somit eine Täter-Opfer-Umkehr inszeniert wurde. Die Staatsanwaltschaft erkannte jedoch am 29. Prozesstag an, dass es sich nicht um eine Notwehrsituation handelte, weil kein Angriff von Mouhamed ausging. Sie gestand den Beamt*innen aber ein, sich fälschlich in einer Notwehrlage gesehen zu haben – wodurch sie nur wegen Fahrlässigkeit statt Vorsatz belang werden können („Erlaubnistatbestandsirrtum“), und forderte für alle vier, außer dem Einsatzleiter, Freisprüche. Wie es zu dieser Annahme kommen konnte, ist dem Solidaritätskreis bis heute unklar: Der Notruf der Jugendhilfeeinrichtung wurde aufgrund einer suizidalen Gefahr getätigt, bei der Mouhamed sich selbst in einer Ecke kauernd ein Messer an den Bauch hielt. Die Situation war bis zum Einsatz einer Flasche Pfefferspray statisch, auf welchen hin erst Mouhamed apathisch aufrichtete. Pressesprecher*in Anna Neumann beklagt: „Leider mussten wir viele Falschdarstellungen, in denen Mouhamed als aggressiver Messerangreifer stilisiert wurde, beobachten. Diese Darstellung befeuert rassistische Erzählungen, die gerade in einer Zeit, in der die AfD viel Zuspruch erhält, fatal sind.“

    Das Urteil des Prozesses hielt sich an die Plädoyers der Angeklagten: Alle Polizist*innen wurden freigesprochen. Der Solidaritätskreis sieht darin ein Fehlen von Verantwortungsübernahme und Reflexion. Kritisiert wird die Schuldabwehr bezüglich rassistischer, ableistischer und klassistischer polizeilicher Einstellungen, die sich in Einsatzkonzepten mit tödlichen Folgen niederschlagen. „Mouhameds Brüder Sidy und Lassana Dramé fordern, dass so etwas nie wieder passiert. Seit Mouhameds Tod sind jedoch bereits zahlreiche weitere Menschen durch oder in den Händen der Polizei gestorben. Mouhamed ist kein Einzelfall.“, stellt Neumann fest.
    Eine ehrliche, aufrichtige Entschuldigung steht noch immer aus. 

    Für die Zukunft stellt der Solidaritätskreis folgende Forderungen:
    – Anerkennung, dass Mouhamed von der Polizei getötet wurde, obwohl es alternative Handlungsmöglichkeiten gab!
    – Verantwortungsübernahme, Reflexion und aufrichtige Entschuldigung bei Mouhameds Familie
    – Ausbau von niedrigschwelligen Angeboten und Anlaufstellen für Menschen in sozialen Not- und Krisensituationen
    – Etablierung einer unabhängigen Beschwerde- und Kontrollinstanz gegenüber der Polizei
    – Rücknahme des Polizeigesetzes NRW und den Einsatz von Tasern. Taser sind tödliche Waffen!
    – Kein Neubau der Wache Nord
    – Diskussionen zu Alternativen der Polizei

    Pressekontakt: Anna Neumann, Solidaritätskreis Justice4Mouhamed: solidaritaetskreismouhamed@riseup.net

    Freisprüche in Dortmund: Keine Gerechtigkeit für Mouhamed.

    Urteil wird der Kultur tödlicher Polizeigewalt kein Ende setzen.

    Gemeinsame Pressemitteilung zum Prozessende.
    Solidaritätskreis Mouhamed und Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V.


    Heute, am 12. Dezember 2024, wurde nach einem Jahr Prozess gegen fünf Polizist*innen das Urteil verkündet. Diese waren an der Tötung von Mouhamed Lamine Dramé am 8. August 2022 in der Dortmunder Nordstadt beteiligt.

    Alle fünf Polizist*innen wurden freigesprochen. Die Verfahrenskosten trägt die Staatskasse.
     
    Der Solidaritätskreis und das Grundrechtekomitee sind fassungslos, wütend und traurig. Es geht nicht um die Angemessenheit von Strafe, sondern um das völlige Fehlen einer  Verantwortungsübernahme. Das Gericht billigte mit den Freisprüchen und der Würdigung das Einsatzverhalten aller 5 Beamt*innen., die tödliche Einsatzlogik wurde anerkannt.
    Die 5 Polizist*innen, die an dem Einsatz beteiligt waren, werden weiterhin ihre Berufe ausüben dürfen und ihren Beamt*innenstatus nicht verlieren. Eine ernsthafte Entschuldigung und Verantwortungsübernahme durch die Polizei stehen auch nach einem Jahr Prozess weiterhin aus.

    „Das heutige Urteil wird nicht dazu beitragen, tödliche Polizeieinsätze in Zukunft zu verhindern. Im Gegenteil, das Urteil ist ein Signal an die Polizei: Ihr könnt weitermachen wie bisher, für tödliche Schüsse drohen keine Konsequenzen“ , kritisiert Britta Rabe, die den Prozess für das Komitee für Grundrechte und Demokratie beobachtet hat..

    Anna Neumann, Pressesprecher*in des Solidaritätskreises Justice4Mouhamed kritisiert: „Dieses Urteil wird Geschichte schreiben: Zukünftige Urteile werden sich darauf beziehen. Damit rückt eine selbstkritische Reflexion und Auseinandersetzung mit strukturellem Rassismus seitens der Polizei in weite Ferne. Das ist fatal, denn wir brauchen strukturelle Veränderungen, um weitere Tötungen durch die Polizei zu verhindern.“
    Mouhameds Familie fordert, dass so etwas nie wieder passiert. Seit Mouhameds Tod sind jedoch bereits zahlreiche weitere Menschen durch oder in den Händen der Polizei gestorben.
    Der Prozess ist durch Ungleichheit gekennzeichnet gewesen. Die Brüder Sidy und Lassana Dramé wurden von der Stadt Dortmund nicht darin unterstützt, dem Prozess beizuwohnen. Dies musste von zivilen Akteur*innen und zahlreiche Spender*innen erstritten werden, welche Visa organisierten sowie die Kosten des Aufenthalts privat finanzierten .Auch das Urteil leistet keine Anerkennung des Leids der Familie und der Belastung durch den Prozess: Mouhamed kam als Mensch nicht vor. Die Entschuldigung des Schützen Fabian S. fand im Zuge seiner PR-Kampagne im Sommer statt, mit der es ihm – erfolgreich – gelang, sein Image aufzubessern. Seinem Exklusivinterview und seinen Aussagen wurde deutlich mehr Gewicht gegeben als den Perspektiven der Familie Mouhameds – was einer Täter-Opfer-Umkehr und der Inszenierung einer Notwehrsituation den Weg bereitete.

    Der Kampf um ein würdevolles Gedenken an Mouhamed Dramé, Gerechtigkeit für seine Familie und ein Ende tödlicher Polizeigewalt werden auch nach dem Prozess weitergehen.
    Dazu ruft der Solidaritätskreis am 14.12, um 13:12 Uhr, mit dem Startpunkt Katharinentreppen, zu einer Demonstration auf, um das Urteil zu skandalisieren und weiterhin Gerechtigkeit für Mouhamed, seine Familie und Betroffenen von tödlicher Polizeigewalt zu fordern.
    No Justice, no Peace.
    Kontakte Presse:


    Anna Neumann, Solidaritätskreis Justice4Mouhamed:
    solidaritaetskreismouhamed@riseup.net

    Britta Rabe, Grundrechtekomitee:
    brittarabe@grundrechtekomitee.de

    Pressemitteilung des Solidaritätskreis Justice4Mouhamed vor der Urteilsverkündung gegen die angeklagten fünf Polizist*innen, die an dem für Mouhamed Dramé tödlichen Polizeieinsatz beteiligt waren.

    Am 12.12.2024 ab 13 Uhr wird nach 31 Prozesstagen, die sich über fast ein Jahr erstreckten, am Dortmunder Landgericht das Urteil erwartet. Gegenstand ist der tödliche Einsatz im August 2022, bei dem Mouhamed Lamine Dramé durch die Polizei erschossen wurde. Fünf der zwölf am Einsatz beteiligten Polizist*innen mussten sich vor Gericht verantworten
    Der Solidaritätskreis Justice4Mouhamed unterstützt die Nebenklage und schließt sich deren Plädoyer, sowie den Forderungen der Familie Dramé an. So benannte die Anwältin der Nebenklage Lisa Grüter strukturellen Rassismus in polizeilichem Erfahrungswissen und Handeln etwa in Form von „shooting bias“, welche zu Fehlern in der Einsatzplanung führen und tödliche Ausgänge begünstigen. Das Phänomen shooting bias wurde in den vergangenen Jahren immer wieder untersucht. Eine Studie aus dem Jahre 2023 kommt zu dem Schluss, dass Personen, die sich für vorurteilsfrei halten dennoch shooting bias aufweisen. Darüber hinaus ist bekannt, dass Polizist*innen eine mangelnde Selbstreflexion in Bezug auf ihr eigenes Handeln oder eben diese Einstellungen aufweisen.
     „Jeder Mensch trägt gewisse Vorurteile in sich. Aufgabe ist jedoch die Bewusstwerdung und der Abbau dieser Vorurteile. Sich der Einsicht zu verschließen, ist Teil des Problems.“ kritisiert Anna Neumann, Sprecher*in des Solidaritätskreises und ergänzt folgend: „Vor allem Menschen mit Migrationsgeschichte, Menschen in psychischen Krisensituationen sowie von starker Armut betroffene Menschen wie Wohnungslose sind von den Folgen dieser Einstellungen bei der Polizei betroffen.“ Im Falle Mouhameds wurde von der Polizei das Bild eines aggressiven Messertäters gezeichnet. Medien wie beispielsweise Spiegel TV übernahmen unkritisch diese Darstellung. Solche Darstellungen vertiefen rassistische Vorurteile, die letzten Endens dem beschriebenen shooting bias Vorschub leisten. „Solch eine Darstellung ist traumatisierend für die Familie Dramé. Ihr Sohn wird in aller Öffentlichkeit diffamiert und eine angemessene und glaubhafte Entschuldigung steht immer noch aus“, sagt Pressesprecher*in Anna Neumann. Inzwischen wurde durch die Staatsanwaltschaft anerkannt, dass Mouhamed kein Angreifer war.

    Ebenso wenig nachvollziehbar wie für Anwältin Grüter ist auch für den Solidaritätskreis, warum sich der Strafantrag der Dortmunder Staatsanwaltschaft für Einsatzleiter Thorsten H. unterhalb der Grenze zum Verlust des Beamtenstatus befindet. Laut Grüter solle es zudem nicht nur für ihn, sondern auch für Jeannine B. und Markus B. Konsequenzen geben, da diese sich nicht auf die Annahme von Notwehr berufen könnten. Entgegen dem Plädoyer der Nebenklage fordern die Verteidiger Freispruch für alle fünf Angeklagten. Die Staatsanwaltschaft fordert eine Haftstrafe von 10 Monaten für Einsatzleiter Thorsten H., welche in zwei Jahre Bewährung umgewandelt werden könnte. Zusätzlich soll er 5000€ an eine Dortmunder Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe zahlen.
     
     Es geht nicht um hohe Strafen, sondern um Konsequenzen für unrechtmäßiges polizeiliches Handeln, macht auch das Plädoyer der Nebenklage deutlich. „Es kann nicht sein, dass derart folgenreiches Handeln ohne Konsequenzen bleibt. In unseren Forderungen geht es gar nicht um besonders hohe Strafen, sondern um Verantwortungsübernahme und Veränderung“, so Anna Neumann. Auch brauche es weiterhin eine kritische Reflexion und Aufarbeitung, egal wie das Urteil ausfällt. Neumann betont: „Unsere Gedanken sind heute bei Mouhamed und seiner Familie, sowie bei den vielen Menschen, die durch tödliche Polizeieinsätze ihr Leben verloren haben und für die es immer noch keine Gerechtigkeit gibt.“

    Der Solidaritätskreis Justice4Mouhamed wird der Urteilsverkündung beiwohnen und mit einer Mahnwache vor dem Gericht vor Ort sein. Darüber hinaus wird vor diesem Hintergrund für Samstag, den 14. Dezember, ab 13:15 Uhr zu einer Demonstration mit Start an den Dortmunder Katharinentreppen (gegenüber dem Hauptbahnhof) aufgerufen.

    Radio Nordpol – Gespräch mit Sidy und Lasanna auf Wolof

    Diese Folge ist auf Wolof um die Stimmen von Sidy und Lassana zu dem Gerichtstermin und Mouhameds Fall in den Senegal zu transportieren.

    Lu tollu ci benn at Radio Nordpol ci Dortmund mungi doon topp atte bu jigeen poliis yi faat Mouhamed Lamine Drame ci seeni jëf.

    Fi ñu tolli nii ñungi doon joxe xibaar ci Allemand te deñoo bëgga tabax ab pont ci lakk yi ak waxtaan bu gàtt bii ak rak yu Mouhamed yi di Sidy ak Lassana.

    Yoon ngir Mouhamed!

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    Radio Nordpol – Plädoyer der Nebenklage

    Das Radio Nordpol hat in diesem Beitrag das Plädoyer der Nebenklage, die Mouhameds Familie vertritt, gegen die fünf angeklagten Polizeibeamt*innen am 4. Dezember 2024 vorlesen hat. Dieses Plädoyer ist eines der wichtigsten Dokumente des einjährigen Prozesses am Dortmunder Landgericht. Es zeigt nicht nur eine ganz andere Sicht auf die Ermittlungsergebnisse, indem es daraufhin weist, dass die angenommene Notwehr der Angeklagten durch sie selbst und ihr eigenes polizeiliches Handeln verursacht wurde. Es zeugt davon, dass die Schuld der Angeklagten dadurch verursacht wurde, dass sie nicht in der Lage gewesen sind, das Leid Mouhameds zu erkennen. Lisa Grüter hat damit zum Schluss des Prozesses eine Diskussion zu strukturellem Rassismus in den Gerichtssaal eingeführt. Sie hat dem Menschen Mouhamed seine Geschichte und seine Würde zurückzugeben und seinen Angehörigen ebenso wie weiteren Betroffenen ihre Trauer.

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    Vielen Dank an das Radio Nordpol Team!

    Radio Nordpol – Beitrag zum 30. Prozesstag

    In dieser Folge hat das Radio Nordpol mit Lisa Grüter, Anwältin der Nebenklage sowie Vertreter:innen des Solidaritätskreises Justice4Mouhamed, dem Arbeitskreis Kritischer Jurist:innen und dem Komitee für Grundrechte und Demokratie e. V. zu den insgesamt sechs Plädoyers gesprochen.

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    Radio Nordpol – Beitrag zum 29. Prozesstag

    Am 02.12.2024 fand der 29. Prozess am Dortmunder Landgericht im Fall der Tötung Mouahmed Lamine Dramés statt. Neben den Aussagen der letzten beiden Sachverständigen, hat die Staatsanwaltschaft ihr Plädoyer verlesen.

    Vielen Dank an das Radio Nordpol!

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