Pressemitteilung vom Solidaritätskreis Justice4Mouhamed, anlässlich der Großdemonstration zum Prozessende

Der Solidaritätskreis Justice4Mouhamed ruft für den 14. Dezember ab 13:15 Uhr zu einer Großdemonstration mit Start an den Katharinentreppen (gegenüber Dortmund Hbf) auf, um dem von der Polizei erschossenen Mouhamed Lamine Dramé zu gedenken und das Urteil im gerade zu Ende gekommenen Gerichtsprozess zu skandalisieren. An der Demonstration werden die Familie Dramé sowie weitere Familien von Opfern von Polizeigewalt sowie verschiedene zivilgesellschaftliche Initiativen aus Dortmund und darüber hinaus teilnehmen.

Auf der Demonstration sprechen unter anderem Mamadou Saliou Diallo, der Bruder des vor fast 20 Jahre in einer Polizeizelle in Dessau verbrannten Oury Jalloh, die Initiative Schlafen statt Strafen, welche sich mit Wohnungslosigkeit befasst und die tödlichen Polizeieinsätze an zwei Wohnungslosen 2022 und 2024 in Dortmund beklagt, das Kollektiv Afrik NRW, der Solikreis Biriq sowie die Antiableistische Aktion Ruhr, die jüngst eine Kundgebung in Bochum abhielt, nachdem im Oktober dort eine psychisch auffällige Person von der Polizei erschossen wurde.
Seit Dezember 2023 wurde der tödliche Einsatz gegen Mouhamed Dramé vor dem Dortmunder Landgericht verhandelt. Dabei blieben die strukturelle Dimension von (tödlicher) Polizeigewalt sowie der Mensch Mouhamed und seine Familie unsichtbar. Der Solidaritätskreis und andere solidarische Prozessbeobachter*innen mussten beobachten, wie eine Notwehrsituation für die Beamt*innen und somit eine Täter-Opfer-Umkehr inszeniert wurde. Die Staatsanwaltschaft erkannte jedoch am 29. Prozesstag an, dass es sich nicht um eine Notwehrsituation handelte, weil kein Angriff von Mouhamed ausging. Sie gestand den Beamt*innen aber ein, sich fälschlich in einer Notwehrlage gesehen zu haben – wodurch sie nur wegen Fahrlässigkeit statt Vorsatz belang werden können („Erlaubnistatbestandsirrtum“), und forderte für alle vier, außer dem Einsatzleiter, Freisprüche. Wie es zu dieser Annahme kommen konnte, ist dem Solidaritätskreis bis heute unklar: Der Notruf der Jugendhilfeeinrichtung wurde aufgrund einer suizidalen Gefahr getätigt, bei der Mouhamed sich selbst in einer Ecke kauernd ein Messer an den Bauch hielt. Die Situation war bis zum Einsatz einer Flasche Pfefferspray statisch, auf welchen hin erst Mouhamed apathisch aufrichtete. Pressesprecher*in Anna Neumann beklagt: „Leider mussten wir viele Falschdarstellungen, in denen Mouhamed als aggressiver Messerangreifer stilisiert wurde, beobachten. Diese Darstellung befeuert rassistische Erzählungen, die gerade in einer Zeit, in der die AfD viel Zuspruch erhält, fatal sind.“

Das Urteil des Prozesses hielt sich an die Plädoyers der Angeklagten: Alle Polizist*innen wurden freigesprochen. Der Solidaritätskreis sieht darin ein Fehlen von Verantwortungsübernahme und Reflexion. Kritisiert wird die Schuldabwehr bezüglich rassistischer, ableistischer und klassistischer polizeilicher Einstellungen, die sich in Einsatzkonzepten mit tödlichen Folgen niederschlagen. „Mouhameds Brüder Sidy und Lassana Dramé fordern, dass so etwas nie wieder passiert. Seit Mouhameds Tod sind jedoch bereits zahlreiche weitere Menschen durch oder in den Händen der Polizei gestorben. Mouhamed ist kein Einzelfall.“, stellt Neumann fest.
Eine ehrliche, aufrichtige Entschuldigung steht noch immer aus. 

Für die Zukunft stellt der Solidaritätskreis folgende Forderungen:
– Anerkennung, dass Mouhamed von der Polizei getötet wurde, obwohl es alternative Handlungsmöglichkeiten gab!
– Verantwortungsübernahme, Reflexion und aufrichtige Entschuldigung bei Mouhameds Familie
– Ausbau von niedrigschwelligen Angeboten und Anlaufstellen für Menschen in sozialen Not- und Krisensituationen
– Etablierung einer unabhängigen Beschwerde- und Kontrollinstanz gegenüber der Polizei
– Rücknahme des Polizeigesetzes NRW und den Einsatz von Tasern. Taser sind tödliche Waffen!
– Kein Neubau der Wache Nord
– Diskussionen zu Alternativen der Polizei

Pressekontakt: Anna Neumann, Solidaritätskreis Justice4Mouhamed: solidaritaetskreismouhamed@riseup.net

Freisprüche in Dortmund: Keine Gerechtigkeit für Mouhamed.

Urteil wird der Kultur tödlicher Polizeigewalt kein Ende setzen.

Gemeinsame Pressemitteilung zum Prozessende.
Solidaritätskreis Mouhamed und Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V.


Heute, am 12. Dezember 2024, wurde nach einem Jahr Prozess gegen fünf Polizist*innen das Urteil verkündet. Diese waren an der Tötung von Mouhamed Lamine Dramé am 8. August 2022 in der Dortmunder Nordstadt beteiligt.

Alle fünf Polizist*innen wurden freigesprochen. Die Verfahrenskosten trägt die Staatskasse.
 
Der Solidaritätskreis und das Grundrechtekomitee sind fassungslos, wütend und traurig. Es geht nicht um die Angemessenheit von Strafe, sondern um das völlige Fehlen einer  Verantwortungsübernahme. Das Gericht billigte mit den Freisprüchen und der Würdigung das Einsatzverhalten aller 5 Beamt*innen., die tödliche Einsatzlogik wurde anerkannt.
Die 5 Polizist*innen, die an dem Einsatz beteiligt waren, werden weiterhin ihre Berufe ausüben dürfen und ihren Beamt*innenstatus nicht verlieren. Eine ernsthafte Entschuldigung und Verantwortungsübernahme durch die Polizei stehen auch nach einem Jahr Prozess weiterhin aus.

„Das heutige Urteil wird nicht dazu beitragen, tödliche Polizeieinsätze in Zukunft zu verhindern. Im Gegenteil, das Urteil ist ein Signal an die Polizei: Ihr könnt weitermachen wie bisher, für tödliche Schüsse drohen keine Konsequenzen“ , kritisiert Britta Rabe, die den Prozess für das Komitee für Grundrechte und Demokratie beobachtet hat..

Anna Neumann, Pressesprecher*in des Solidaritätskreises Justice4Mouhamed kritisiert: „Dieses Urteil wird Geschichte schreiben: Zukünftige Urteile werden sich darauf beziehen. Damit rückt eine selbstkritische Reflexion und Auseinandersetzung mit strukturellem Rassismus seitens der Polizei in weite Ferne. Das ist fatal, denn wir brauchen strukturelle Veränderungen, um weitere Tötungen durch die Polizei zu verhindern.“
Mouhameds Familie fordert, dass so etwas nie wieder passiert. Seit Mouhameds Tod sind jedoch bereits zahlreiche weitere Menschen durch oder in den Händen der Polizei gestorben.
Der Prozess ist durch Ungleichheit gekennzeichnet gewesen. Die Brüder Sidy und Lassana Dramé wurden von der Stadt Dortmund nicht darin unterstützt, dem Prozess beizuwohnen. Dies musste von zivilen Akteur*innen und zahlreiche Spender*innen erstritten werden, welche Visa organisierten sowie die Kosten des Aufenthalts privat finanzierten .Auch das Urteil leistet keine Anerkennung des Leids der Familie und der Belastung durch den Prozess: Mouhamed kam als Mensch nicht vor. Die Entschuldigung des Schützen Fabian S. fand im Zuge seiner PR-Kampagne im Sommer statt, mit der es ihm – erfolgreich – gelang, sein Image aufzubessern. Seinem Exklusivinterview und seinen Aussagen wurde deutlich mehr Gewicht gegeben als den Perspektiven der Familie Mouhameds – was einer Täter-Opfer-Umkehr und der Inszenierung einer Notwehrsituation den Weg bereitete.

Der Kampf um ein würdevolles Gedenken an Mouhamed Dramé, Gerechtigkeit für seine Familie und ein Ende tödlicher Polizeigewalt werden auch nach dem Prozess weitergehen.
Dazu ruft der Solidaritätskreis am 14.12, um 13:12 Uhr, mit dem Startpunkt Katharinentreppen, zu einer Demonstration auf, um das Urteil zu skandalisieren und weiterhin Gerechtigkeit für Mouhamed, seine Familie und Betroffenen von tödlicher Polizeigewalt zu fordern.
No Justice, no Peace.
Kontakte Presse:


Anna Neumann, Solidaritätskreis Justice4Mouhamed:
solidaritaetskreismouhamed@riseup.net

Britta Rabe, Grundrechtekomitee:
brittarabe@grundrechtekomitee.de

Pressemitteilung des Solidaritätskreis Justice4Mouhamed vor der Urteilsverkündung gegen die angeklagten fünf Polizist*innen, die an dem für Mouhamed Dramé tödlichen Polizeieinsatz beteiligt waren.

Am 12.12.2024 ab 13 Uhr wird nach 31 Prozesstagen, die sich über fast ein Jahr erstreckten, am Dortmunder Landgericht das Urteil erwartet. Gegenstand ist der tödliche Einsatz im August 2022, bei dem Mouhamed Lamine Dramé durch die Polizei erschossen wurde. Fünf der zwölf am Einsatz beteiligten Polizist*innen mussten sich vor Gericht verantworten
Der Solidaritätskreis Justice4Mouhamed unterstützt die Nebenklage und schließt sich deren Plädoyer, sowie den Forderungen der Familie Dramé an. So benannte die Anwältin der Nebenklage Lisa Grüter strukturellen Rassismus in polizeilichem Erfahrungswissen und Handeln etwa in Form von „shooting bias“, welche zu Fehlern in der Einsatzplanung führen und tödliche Ausgänge begünstigen. Das Phänomen shooting bias wurde in den vergangenen Jahren immer wieder untersucht. Eine Studie aus dem Jahre 2023 kommt zu dem Schluss, dass Personen, die sich für vorurteilsfrei halten dennoch shooting bias aufweisen. Darüber hinaus ist bekannt, dass Polizist*innen eine mangelnde Selbstreflexion in Bezug auf ihr eigenes Handeln oder eben diese Einstellungen aufweisen.
 „Jeder Mensch trägt gewisse Vorurteile in sich. Aufgabe ist jedoch die Bewusstwerdung und der Abbau dieser Vorurteile. Sich der Einsicht zu verschließen, ist Teil des Problems.“ kritisiert Anna Neumann, Sprecher*in des Solidaritätskreises und ergänzt folgend: „Vor allem Menschen mit Migrationsgeschichte, Menschen in psychischen Krisensituationen sowie von starker Armut betroffene Menschen wie Wohnungslose sind von den Folgen dieser Einstellungen bei der Polizei betroffen.“ Im Falle Mouhameds wurde von der Polizei das Bild eines aggressiven Messertäters gezeichnet. Medien wie beispielsweise Spiegel TV übernahmen unkritisch diese Darstellung. Solche Darstellungen vertiefen rassistische Vorurteile, die letzten Endens dem beschriebenen shooting bias Vorschub leisten. „Solch eine Darstellung ist traumatisierend für die Familie Dramé. Ihr Sohn wird in aller Öffentlichkeit diffamiert und eine angemessene und glaubhafte Entschuldigung steht immer noch aus“, sagt Pressesprecher*in Anna Neumann. Inzwischen wurde durch die Staatsanwaltschaft anerkannt, dass Mouhamed kein Angreifer war.

Ebenso wenig nachvollziehbar wie für Anwältin Grüter ist auch für den Solidaritätskreis, warum sich der Strafantrag der Dortmunder Staatsanwaltschaft für Einsatzleiter Thorsten H. unterhalb der Grenze zum Verlust des Beamtenstatus befindet. Laut Grüter solle es zudem nicht nur für ihn, sondern auch für Jeannine B. und Markus B. Konsequenzen geben, da diese sich nicht auf die Annahme von Notwehr berufen könnten. Entgegen dem Plädoyer der Nebenklage fordern die Verteidiger Freispruch für alle fünf Angeklagten. Die Staatsanwaltschaft fordert eine Haftstrafe von 10 Monaten für Einsatzleiter Thorsten H., welche in zwei Jahre Bewährung umgewandelt werden könnte. Zusätzlich soll er 5000€ an eine Dortmunder Einrichtung der Kinder- und Jugendhilfe zahlen.
 
 Es geht nicht um hohe Strafen, sondern um Konsequenzen für unrechtmäßiges polizeiliches Handeln, macht auch das Plädoyer der Nebenklage deutlich. „Es kann nicht sein, dass derart folgenreiches Handeln ohne Konsequenzen bleibt. In unseren Forderungen geht es gar nicht um besonders hohe Strafen, sondern um Verantwortungsübernahme und Veränderung“, so Anna Neumann. Auch brauche es weiterhin eine kritische Reflexion und Aufarbeitung, egal wie das Urteil ausfällt. Neumann betont: „Unsere Gedanken sind heute bei Mouhamed und seiner Familie, sowie bei den vielen Menschen, die durch tödliche Polizeieinsätze ihr Leben verloren haben und für die es immer noch keine Gerechtigkeit gibt.“

Der Solidaritätskreis Justice4Mouhamed wird der Urteilsverkündung beiwohnen und mit einer Mahnwache vor dem Gericht vor Ort sein. Darüber hinaus wird vor diesem Hintergrund für Samstag, den 14. Dezember, ab 13:15 Uhr zu einer Demonstration mit Start an den Dortmunder Katharinentreppen (gegenüber dem Hauptbahnhof) aufgerufen.

Radio Nordpol – Gespräch mit Sidy und Lasanna auf Wolof

Diese Folge ist auf Wolof um die Stimmen von Sidy und Lassana zu dem Gerichtstermin und Mouhameds Fall in den Senegal zu transportieren.

Lu tollu ci benn at Radio Nordpol ci Dortmund mungi doon topp atte bu jigeen poliis yi faat Mouhamed Lamine Drame ci seeni jëf.

Fi ñu tolli nii ñungi doon joxe xibaar ci Allemand te deñoo bëgga tabax ab pont ci lakk yi ak waxtaan bu gàtt bii ak rak yu Mouhamed yi di Sidy ak Lassana.

Yoon ngir Mouhamed!

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Radio Nordpol – Plädoyer der Nebenklage

Das Radio Nordpol hat in diesem Beitrag das Plädoyer der Nebenklage, die Mouhameds Familie vertritt, gegen die fünf angeklagten Polizeibeamt*innen am 4. Dezember 2024 vorlesen hat. Dieses Plädoyer ist eines der wichtigsten Dokumente des einjährigen Prozesses am Dortmunder Landgericht. Es zeigt nicht nur eine ganz andere Sicht auf die Ermittlungsergebnisse, indem es daraufhin weist, dass die angenommene Notwehr der Angeklagten durch sie selbst und ihr eigenes polizeiliches Handeln verursacht wurde. Es zeugt davon, dass die Schuld der Angeklagten dadurch verursacht wurde, dass sie nicht in der Lage gewesen sind, das Leid Mouhameds zu erkennen. Lisa Grüter hat damit zum Schluss des Prozesses eine Diskussion zu strukturellem Rassismus in den Gerichtssaal eingeführt. Sie hat dem Menschen Mouhamed seine Geschichte und seine Würde zurückzugeben und seinen Angehörigen ebenso wie weiteren Betroffenen ihre Trauer.

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Vielen Dank an das Radio Nordpol Team!

Radio Nordpol – Beitrag zum 30. Prozesstag

In dieser Folge hat das Radio Nordpol mit Lisa Grüter, Anwältin der Nebenklage sowie Vertreter:innen des Solidaritätskreises Justice4Mouhamed, dem Arbeitskreis Kritischer Jurist:innen und dem Komitee für Grundrechte und Demokratie e. V. zu den insgesamt sechs Plädoyers gesprochen.

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Radio Nordpol – Beitrag zum 29. Prozesstag

Am 02.12.2024 fand der 29. Prozess am Dortmunder Landgericht im Fall der Tötung Mouahmed Lamine Dramés statt. Neben den Aussagen der letzten beiden Sachverständigen, hat die Staatsanwaltschaft ihr Plädoyer verlesen.

Vielen Dank an das Radio Nordpol!

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Bericht vom 30. Prozesstag – 04.12.2024

Der 30. Prozesstag in Kürze:

  • Plädoyer der Nebenklageanwältin Lisa Grüter benennt strukturellen Rassismus in polizeilichem Erfahrungswissen und Handeln („shooting bias“), Fehler der Einsatzplanung, Folgen des Angriffs-Narrativs für die Familie Dramé. Für den Strafantrag unterhalb der Grenze zum Verlust des Beamtenstatus für Einsatzleiter H. habe sie „großes Unverständnis“. Sie fordert, anders als die Staatsanwaltschaft, auch für Jeanine B. und Markus B. Konsequenzen, die sich nicht auf Notwehr oder Annahme von Notwehr berufen könnten.
  • Alle fünf Verteidiger plädieren auf Freispruch ihrer Mandant*innen, einhergehend mit Schuldverschiebung auf Sozialarbeiter*innen oder LWL-Personal sowie teils langen Ausführungen über Gefahren für Polizeibeamt*innen und mediale „Vorverurteilung“.
  • Anwalt des Schützen führt Angriffsnarrativ wieder ein und streitet (auch unbewussten) Rassismus im Handeln seines Mandanten ab. Mehrmals fallen durch die Verteidiger rassistische und veraltete Begriffe wie „Ausländerfeindlichkeit“.
  • Schuldentlastung statt Entschuldigung: Im letzten Wort drückt Pia-Katharina B. unter Tränen ihre Trauer über den Einsatz aus – nur um sich dann von den „Rassismusvorwürfen [zu] distanzieren“. Ihre vorhergegangenen Worte wirken so hohl.
  • Urteilsverkündung am 12. Dezember erst um 13 Uhr!

Bericht vom 29. Prozesstag – 02.12.2024

Der 29. Prozesstag in Kürze:

  • Die Staatsanwaltschaft beantragt Freispruch für den Schützen und die drei Beamt*innen, die Mouhamed mit Pfefferspray und Tasern angriffen.
  • Die Freisprüche für die vier Beamt*innen begründet die Staatsanwaltschaft anhand des sogenannten Erlaubnistatbestandirrtums. So gesteht sie den Angeklagten eine fälschlich angenommene Notwehrsituation zu. Sie seien zu der Einschätzung gekommen, dass die fälschliche Wahrnehmung der Polizist*innen, sich in einer Notwehrsituation zu befinden, glaubhaft und plausibel seien.
  • Für den Einsatzleiter beantragt die Staatanwaltschaft 10 Monate Freiheitsstrafe, welche auf zwei Jahre Bewährung und eine Geldstrafe von 5.000€ an eine gemeinnützige Einrichtung der Jugendhilfe in Dortmund, ausgesetzt werden kann.
  • Der Einsatzleiter wird für die Verleitung von Untergebenen im Amt zu gefährlicher Körperverletzung und fahrlässiger Tötung für schuldig befunden.
  • Die Staatsanwaltschaft benennt ganz deutlich, dass sich die Polizist*innen am 8.8.22 NICHT in einer Notwehrsituation befanden! Sie erkennt an, dass Mouhamed aus der Ecke und in Richtung der Polizist*innen ging, weil es der einzige Ausweg für ihn war – und NICHT um die Polizist*innen anzugreifen!
  • Aufgrund dieser klaren Einschätzung der Situation – eine statische, welche durch das Vorgehen der Polizei eskaliert wurde – sind die geforderten Freisprüche für die Angeklagten umso skandalöser! Denn es nimmt jegliche Verantwortung für das tödliche Geschehen von den Angeklagten. Und setzt ein klares Zeichen in Richtung der Polizei, dass jegliches falsches, brutales/gewalttätiges/tödliches Verhalten mit einer irrtümlichen Notwehrsituation gerechtfertigt werden kann.
  • Das geforderte Strafmaß für den Einsatzleiter erschüttert angesichts der Tatsache, dass sie ihm sehr klar die Verantwortung für den tödlichen Ausgang dieses Einsatzes zuschreiben. Er habe „salopp formuliert stumpf den ersten Plan von der Holsteinerstraße [Ort der Einsatzbesprechung] umgesetzt“ und ihn nicht erneut den gegebenen/örtlichen Umständen angepasst.
  • Zu Beginn des Plädoyers stellt die Staatsanwaltschaft den Prozess in den Kontext des öffentlichen Interesses. Dabei bedient sich der Oberstaatsanwalt der Hufeisentheorie, indem er linke Kritik an dem Einsatz und rassistische, rechte Hetze gegen Mouhamed gleichsetzt.
  • Vor dem Plädoyer der Staatsanwaltschaft wurden die letzten beiden Zeugen vernommen. Ein Dolmetscher aus der LWL-Klinik, welcher Mouhameds Gespräch mit der Therapeutin am 7.8.22 übersetzte und ein Polizeibeamter der Polizeihochschule Köln waren geladen.
  • Das Verhalten des Richters Kelm gegenüber dem geladenen Dolmetscher war von Herabwürdigungen geprägt. Ungeduldig unterbrach er ihn mehrmals und erhob sehr laut seine Stimme gegen ihn, wenn ihm genannte Details des Zeugen unwichtig erschienen. Dem Zeugen war wichtig zu betonen, wie traurig Mouhamed in dem damaligen Gespräch wirkte. Am Ende seiner Befragung wollte er noch erzählen, dass Mouhamed zum Ende des Gesprächs ein Foto seiner Mutter auf dem Handy zeigte, was ihm wichtig war. Wirsch unterbrach Richter Kelm den Zeugen abermals, mit der Begründung, dass die Befragung zu Ende sei und ließ den Zeugen nicht mehr ausreden.

Bericht vom 28. Prozesstag – 26.11.2024

Im folgenden Bericht werden die Taten der angeklagten Polizist*innen benannt.

Info für Rollifahrer*innen: Beim heutigen Prozesstag haben wir erstmals erfahren, wie der Zugang für Menschen mit Rolli funktioniert. Dafür klingelt mensch frühzeitig vor Prozessbeginn an der Klingel beim Aufzug auf der rechten Seite des Gerichtsgebäudes vom Haupteingang aus (Kaiserstraße 34 – dort gibt es Parkplätze sowie wenige hundert Meter entfernt einen rollstuhlgerechten Aufgang aus der U-Bahn-Station „Ostentor“). Über diesen Eingang kommt man zur Sicherheitskontrolle hinter dem Haupteingang, wo es eine „Flughafenkontrolle“ gibt, und dann über Aufzug und Treppenlift zum Saal 130. Auf dem Weg gibt es eine rollstuhlgerechte Toilette. Es ist möglich, eine Begleitperson mitzubringen, was sich auch empfiehlt, da die Brandschutztüren im Gebäude, in dem mensch sich sonst ohne Begleitung bewegt, nicht automatisch sind. Im Gerichtsaal gibt es einen Rolliplatz zwischen den Sitzbänken. Wir wollen alle Menschen zur Teilnahme ermutigen und können auch für Begleitung und mehr Infos kontaktiert werden unter solidaritaetskreismouhamed@riseup.net oder über Instagram.

In Kürze:

  • Richter zieht Heruntersetzung der Anklagepunkte von Vorsatz auf Fahrlässigkeit wegen „Erlaubnistatbestandsirrtums“ bei drei der fünf Angeklagten als möglich an.
  • Die verbleibenden drei (!) Termine sind 2., 4. und 12. Dezember je ab 9:30.

Der heutige Prozesstag beginnt mit fast einer Stunde Verspätung und dauert wenige Minuten.

Beim Termin in der letzten Woche hatte die Staatsanwältin angeregt, eine Heruntersetzung der Anklagen aller fünf Angeklagten von vorsätzlichem auf fahrlässiges Handeln in Erwägung zu ziehen, was erheblich geringere Strafen zur Folge hätte. Darüber hatte Richter Kelm angekündigt heute zu entscheiden. Dafür verliest er einen Entscheid.

Hinsichtlich des angeklagten Einsatzleiters Thorsten H. sieht die Kammer keine Irrtumsmöglichkeit nach „Erlaubnistatbestandsirrtum“, also der irrigen Annahme einer Notwehrlage, da Mouhamed zum Zeitpunkt der Einsatzplanung und der Befehle ruhig saß und unansprechbar war. In diesem Fall käme eine eigene Fahrlässigkeitsstrafbarkeit nach § 229 und § 222 Strafgesetzbuch (fahrlässige Körperverletzung und fahrlässige Tötung) wegen unzureichender Planung des Einsatzes in Betracht. Richter Kelm bezeichnet den Ausgang der Einsatzplanung als „eine Frage der Vorhersehbarkeit“. Allerdings würde, wenn die Handlungen der ihm untergebenen Beamt*innen nicht als Straftaten beurteilt werden, auch bei H. keine Anstiftung zu solchen mehr vorliegen.

Auch hinsichtlich der Angeklagten B., die Pfefferspray auf den ruhig sitzenden Mouhamed abgab, gebe es keine Möglichkeit des Irrtums über eine Notwehrlage. Es käme aber eine Rechtfertigung nach §34 StGB (Strafgesetzbuch) infrage, in dem der rechtfertigende Notstand festgelegt ist, in diesem Fall wegen der Abwendung von Suizidgefahr; ebenso § 8 bzw. § 59 PolG NRW (Polizeigesetz Nordrhein-Westfalen), welche die allgemeine Befugnis der Polizei sowie das Anwenden unmittelbaren Zwangs erlauben (§ 59 PolG beinhaltet allerdings auch das Verbot, rechtswidrige Anordnungen zu befolgen und die Pflicht, Bedenken an der Rechtmäßigkeit einer Anordnung mitzuteilen („Remonstrationspflicht“), was durch Richter Kelm unerwähnt bleibt).

Hinsichtlich der anderen drei Beamt*innen B., B. und S. bestätigt Richter Kelm, dass, auch wenn keine tatsächliche Notwehrlage festgestellt wird, die Möglichkeit in Betracht käme, die Anklagen auf Fahrlässigkeit herunterzusetzen, da die drei Beamt*innen sich im Moment der Schussabgabe durch zwei Taser und die Maschinenpistole, in denen Mouhamed sich auf sie zubewegt haben soll, wenn auch möglicherweise irrtümlich, in einer Notwehrlage gesehen haben könnten (“Erlaubnistatbestandsirrtum”). Bei den beiden Taserschütz*innen würde dann über fahrlässige Körperverletzung (§ 229 StGB), beim MP5-Schützen Fabian S. um fahrlässige Tötung (§ 222 StGB) entschieden werden, statt wie bisher um den Vorsatz dazu.

Richter Kelm trägt abschließend frei vor: „Der Hinweis wurde damit erteilt. Gerade zur Notwehrlage… was im Kopf des Geschädigten vorging, wissen wir nicht. Wir wissen nicht, warum er aus der Ecke rannte [sic]. Die Rechtsprechung macht hier in dubio für den Angeklagten – was ich zweifelhaft finde. Danach könnten wir hier Notwehr annehmen. In jedem Fall ist das so, dass die Angeklagten sich eine Notwehrlage vorgestellt haben, nach den Grundsätzen des Erlaubnistatbestandsirrtums, Herr Dramé wollte sie mit dem Messer angreifen. Das ist nach dem Antrag der Staatsanwaltschaft zu prüfen. Die Rechtsprechung zumindest ist, dass der Vorsatz dann nicht gegeben ist und es auf die Vermeidbarkeit des Erlaubnistatbestandsirrtums auf subjektiver Ebene ankommt.“

Weder Nebenklage noch Verteidiger haben hierzu Anmerkungen.

Richter Kelm informiert, dass am nächster Termin (2. Dezember ab 9:30) die letzten beiden Zeugen und das Plädoyer der Staatsanwaltschaft gehört werden.

Die Nebenklage wird am 4. Dezember ihr Plädoyer halten. Hier wird ein weiterer Termin, ebenfalls mit Beginn um 9:30, stattfinden.

Zuletzt verliest Richter Kelm die Bundeszentralregistereinträge der fünf Angeklagten, die allesamt ohne Einträge sind, vor.


Richter Kelm schließt die Sitzung nach knapp 10 Minuten.

Wir freuen uns auch beim kommenden Termin und insbesondere bei den wohl letzten Prozesstagen am 2., 4. und 12. Dezember sehr über solidarische Unterstützung, ob im Gerichtssaal oder an der Mahnwache vor dem Haupteingang.