Der folgende Bericht gibt die Perspektive des Schützen wieder, der Mouhamed Dramé tötete.
Der 27. Prozesstag, der ein Ersatztermin für den entfallenen Termin am 4. November ist, befasst sich mit der Folge des WDR-Podcasts “Mouhamed Dramé – Wenn die Polizei tötet”, in der der Schütze Fabian S. spricht. Sein fast einstündiges Interview in der Podcastfolge wird vom Gericht als seine Aussage vor Gericht am 22. Mai diesen Jahres zusätzliche Einlassung (“Aussage”) gewertet und zu diesem Zweck am heutigen Verhandlungstag vollständig im Gerichtssaal abgespielt. Vor Ort sind einige Besucher*innen, Presse, darunter auch die beiden WDR-Mitarbeitenden, die den Podcast produziert haben, als Prozessteilnehmende wie immer Fabian S. und die anderen Angeklagten sowie die Brüder Sidy und Lassana Dramé. Im Anschluss an das Hören, kurz vor Ende des kurzen Prozesstags noch eine überraschende Wortmeldung der Staatsanwältin Yazir: Eine Änderung des Strafmaßes für alle fünf Angeklagten wird erwogen. Bei allen fünf Angeklagten könnte von fahrlässigem statt vorsätzlichem Handeln ausgegangen werden. Damit könnte das Strafmaß deutlich geringer ausfallen.
Wie so oft beginnt die Verhandlung auch heute mit Verspätung gegen 10:10. Der versammelte Saal wartet zuletzt auf Verteidiger Brögeler, der noch ohne Robe hereinstürmt.
Für das Anhören des Podcasts nutzt das Gericht wie sonst selten den großen Bildschirm, der hinter dem Richterpult angebracht ist. Unmittelbar nach Beginn der Verhandlung wird die Folge gestartet (die Folge gibt es zum Anhören hier: https://www.ardaudiothek.de/episode/mouhamed-dram-wenn-die-polizei-toetet-wdr-lokalzeit/folge-7-der-schuetze/wdr/13539125/). Über die Dauer der Folge ist es im Saal ruhig. Die Simultanübersetzung des Übersetzers für Sidy und Lassana Dramé ist leise zu hören.
Die Podcastfolge bietet dem Schützen Fabian S., einem jungen Polizeibeamten, etwa eine Stunde Zeit, sich selbst, seine Lebenssituation, seinen Blick auf den Einsatz am 8. August 2022 sowie die „Belastung für ihn und seine Familie” durch die gesellschaftliche Aufmerksamkeit und den Prozess darzustellen. Er will zeigen, dass (auch) er ein Mensch ist und ihn das Getane bewegt. Zu Anfang des Interviews formuliert er, dass er „der Nebenklage nicht so ganz die Deutungshoheit überlassen” will. Er berichtet, wie gerne er wieder arbeiten würde, ist aber seit dem Einsatz, als einziger der fünf Angeklagten, „freigestellt”, also bei vollen Bezügen nicht arbeitend. Stattdessen, so im Podcast, renoviere er Haus und Garten seiner Familie.
Stellenweise spricht Fabian S. depersonalisiert von Getanem; etwa im Moment der Schüsse schwenkt er von der Ich-Erzählung ins anonyme „man”. Über die Anzahl der Schüsse sagt er, er habe so lang geschossen, bis Mouhamed „zum Stillstand gekommen” sei.
Er sagt, der Rassismus-Vorwurf gegen ihn „tat weh”, und dass glücklicherweise zumindest seine Freunde sich einig waren, dass sein Handeln im Einsatz „nichts mit Rassismus zu tun” gehabt habe. Er denke im Einsatz nicht über Hautfarbe nach, es sei ihm ganz im Gegenteil in seiner Arbeit in der Nordstadt wichtig, alle fair und gleich zu behandeln. Aus seiner Sicht erzählt scheinen diese Kritiken ihn zu verkennen, verletzen.
Auf die Frage nach Zweifeln am Einsatz verweist er auf die Entscheidungsstrukturen und die Rolle seines Einsatzleiters, dem Mitangeklagten Thorsten H. Nie aber führt er seine Kolleg*innen oder den Vorgesetzten vor, er nimmt sie eher in Schutz.
Die tödliche Folge seiner Schüsse tue ihm leid, bereuen würde er sein Handeln aber nicht – denn: wenn er nicht auf Mouhamed geschossen hätte, hätte dieser Kolleg*innen verletzten können, unter Umständen tödlich – und damit hätte er noch schlechter leben, sich das nie verzeihen können. Er wünscht sich abschließend „nicht mehr so viel böses Blut”, offen bleibt, ob gegen ihn persönlich, auch gegen seine Mitangeklagten, oder die Polizei insgesamt. Eigene Umgänge, wie eine organisierte Reflexion des Einsatzes oder Veränderungen der Polizei, nennt er nicht.
Im Ausklingen der Podcastfolge stoppt Richter Kelm die Aufnahme.
Da es sich um keine Aussage im herkömmlichen Sinne handelt, folgen keine Fragen an Fabian S.
Stattdessen ergreift Staatsanwältin Yazir das Wort: Die Angeklagten sollen darüber belehrt werden, dass die Staatsanwaltschaft eine Heruntersetzung der Anklage von Vorsatz auf Fahrlässigkeit in Bezug auf ihre jeweiligen Handlungen im Einsatz erwägt. Es könne sich, so Yazir, bei ihrem Handeln um einen Erlaubnistatbestandsirrtum gehandelt haben: Die Beamt*innen seien fälschlich von einer Notwehrsituation ausgegangen und haben dementsprechend gehandelt. In diesem Fall könnte das Strafmaß für die Angeklagten so viel geringer ausfallen, dass anders als beim Vorsatz nicht mit Konsequenzen für ihre berufliche Zukunft zu rechnen wäre. Richter Kelm lässt diesen Einwurf bezüglich einer eventuellen Neubewertung noch unkommentiert und will beim kommenden Prozesstag in der nächsten Woche darüber entscheiden.
Richter Kelm schließt mit der akustisch kaum verständlichen Information, dass der kommende Prozesstag, der 26. November, wegen der Anreise einer Schöffin statt um 14 Uhr erst um 15 Uhr beginnt. Dieser Termin solle wohl nur etwa eine halbe Stunde dauern. Für den darauffolgenden Termin, den 2. Dezember, seien die zwei vorerst letzten Zeug*innen geladen.
Gegen 11:10 endet die Verhandlung.
Wir freuen uns auch beim kommenden Termin und ganz insbesondere bei den beiden wohl letzten Prozesstagen am 2. und 12. Dezember sehr über solidarische Unterstützung, ob im Gerichtssaal oder an der Mahnwache vor dem Haupteingang.