Radio Nordpol – Beitrag zum 11. Prozesstag

Am 11. Prozesstag gab es die ersten Einlassungen der Angeklagten: Von Einsatzleiter Thorsten H., angeklagt wegen Verleitung eines Untergebenen zu einer Straftat (gefährlicher Körperverletzung), sowie Markus B., angeklagt wegen gefährlicher Körperverletzung.

In dieser Folge hört ihr Ausschnitte aus einem Pressegespräch mit der Anwältin der Nebenklage, Lisa Grüter. Außerdem kommen erneut die Prozessbeobachtenden Britta Rabe vom Komitee für Grundrechte und Demokratie, Fanny von nsu watch NRW, ein unabhängiger Journalist sowie William vom Solidaritätskreis Justice4mouhamed zu Wort.

Vielen Dank an das Radio Nordpol Team für die gute Arbeit!

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Bericht vom 11. Prozesstag – 17.04.2024

Der 11. Prozesstag in Kürze:

Im folgenden Bericht werden Aspekte der Tat vom 8. August 2022 benannt.

  • Erste Einlassungen der Angeklagten: Von Einsatzleiter Thorsten H., angeklagt wegen Verleitung eines Untergebenen zu einer Straftat (gefährlicher Körperverletzung), sowie Markus B., angeklagt wegen gefährlicher Körperverletzung.
  • Beide geben kein Bedauern und keine Zweifel am Einsatz zu. Sie stützen sich auf die schon bekannten Narrative einer für sie bedrohlichen Lage, von Zeitdruck und einem korrekten Vorgehen in einer durch Mouhameds Verhalten entgleisten Situation.
  • Beide behaupten: Geplant sei nur der Einsatz von Pfefferspray gewesen, durch dessen Anwendung Mouhamed entwaffnet werden sollte. DEIG (Taser) und Maschinenpistole seien nur vorsorglich zur Eigensicherung mitgenommen worden. Thorsten H. sagt aus: “Hätte Mouhamed das Messer weggelegt nach dem RSG, hätten DEIG und MP nicht benutzt werden müssen.” – eine deutliche Schuldumkehr, die den Betroffenen selbst dafür verantwortlich macht, nicht erschossen zu werden.
  • Die Befragung ergibt, dass weder Zivilbeamte noch Thorsten H. und seine Einheit sich Mouhamed gegenüber als Polizei zu erkennen gaben. Auch lenkt H. ein, dass die Zwangsmittel nicht, geschweige denn in einer für Mouhamed verständlichen Sprache, angedroht wurden: “Die Worte “Messer weg”, “Pfeffer”, sind nicht gefallen.”
  • Fingierter Zeitdruck: Obwohl die Polizei eine statische Lage vorfand und Mouhamed im gesamten Zeitraum ihres Aufstellens keinen Anschein machte, den Suizid zu realisieren, handelte die Polizei eilig und mit massiver Gewalt. Thorsten H. begründet dies so: “Soll ich darauf warten, dass Herr Dramé sich das Messer in den Bauch rammt und dann stehen da 12 Polizisten und machen nichts?“
  • DEIG-Schütze Markus B. stellt in seiner Befragung einen deutlich rassistisch aufgeladenen Zusammenhang zwischen Mouhameds “Muskelpartien” am unbekleideten Oberkörper an dem heißen Sommertag und einem “aggressiven Verhalten” her. Mouhamed verharrte zu diesem Zeitpunkt seit geraumer Zeit still und teilnahmslos in einer sichtgeschützten Ecke des Geländes.
  • Thorsten H. fasst die Einschätzung unmittelbar nach dem Einsatz so zusammen: „Wir waren der Ansicht, als wir noch vor Ort waren, dass der Einsatz gut gelaufen ist.“
  • H. hatte bei der Fesselung von Mouhamed zumindest drei der Schusswunden an Oberkörper und Kopf gesehen. Dennoch sagt er zur Nachricht über den späteren Tod Mouhameds im Krankenhaus: “Ich war erschrocken. Entsetzt. Ich hab damit nicht gerechnet.“
  • Angesprochen auf gelöschte Chats auf seinem Handy gibt H. an, dies tue er regelmäßig, er habe nichts verheimlicht.
  • Auf Rat von Hs. Anwalts Michael Emde wird seine Einlassung vorzeitig abgebrochen. Fragen der Nebenklage werden nicht mehr zugelassen.
  • Nach Diskussionen unter den Prozessbeteiligten um die Nutzung der ersten Aussagen der nun Angeklagten kurz nach der Tat, in der diese formal falsch als Zeug*innen statt als Beschuldigte befragt wurden, fordert die Nebenklage eine Grundsatzentscheidung der Kammer. Richter Thomas Kelm beurteilt die Aussagen kurzum als nicht verwertbar. Die Nebenklage verliest daraufhin eine ausführliche, förmliche Beanstandung, die die Wichtigkeit der Aussagen für eine effektive Aufklärung betont. Sollte die Entscheidung zur Anwendung des Beweisverwertungsverbots bestätigt werden, dürften wertvolle Aussagen der Angeklagten, bevor diese Zeit hatten, eine kohärente Aussage über ein vermeintlich korrektes Vorgehen ihrerseits zu formulieren, vom Gericht nicht beachtet werden.

Weiter geht es am Montag (!), den 22. April, ab 9:30. Dies soll nur ein kurzer Termin (30-60 min) mit Verlesung von Urkunden werden. Die Einlassungen sollen nach vier Wochen Pause fortgesetzt werden am übernächsten Termin, dem 22. Mai um 9:30. Wir freuen uns wie immer über solidarische Prozessbeobachter*innen (Eingang Hamburger Straße 11) sowie Teilnahme an unserer Mahnwache ab 7:30 vor dem Gericht (Kaiserstraße 34). Der Einlass zum Verfahren beginnt erfahrungsgemäß gegen 8:15.

Ausführlicher Bericht vom 11. Prozesstag:

Ein Verhandlungstag, an dem viel passiert: Die ersten beiden der fünf Angeklagten machen Einlassungen: Einsatzleiter Thorsten H., angeklagt wegen Verleitung eines Untergebenen zu einer Straftat (gefährlicher Körperverletzung), sowie Markus B., der einen von zwei Tasern gegen Mouhamed schoss, angeklagt wegen gefährlicher Körperverletzung.

Thorsten H. ist seit 1985 Polizeibeamter und arbeitet seit 2011 als Dienstgruppenleiter auf der Wache Nord. Markus B. hat 2005 bei der Bundespolizei angefangen, ist 2011 nach seinem Studium in den gehobenen Dienst gewechselt und arbeitet seit 2014 auf der Wache Nord. Seit seinem Dienstantritt 2014 bis zum 08.08.2022 haben sie in derselben Einheit gearbeitet. Zum 01.09.2022 wurden beide versetzt – Markus B. in den Innendienst und Thorsten H. zur Verkehrspolizei.

Beide Angeklagte rechtfertigen Einsatz

Die Angeklagten lassen kein Bedauern an Mouhameds Tod oder Zweifel an ihrem Einsatzvorgehen verlauten. Stattdessen stützen sie sich auf die schon bekannten Narrative einer für sie bedrohlichen Lage, welche von Zeitdruck geprägt war, sowie von einem korrekten Vorgehen in einer durch Mouhamed entgleisten Situation.

Beide behaupten: Geplant sei nur der Einsatz von Pfefferspray gewesen, durch dessen Anwendung Mouhamed entwaffnet werden sollte. Dies sei in Einsätzen mit suizidalen Personen üblich und in ihren langjährigen Erfahrungen auch sonst immer erfolgreich gewesen. DEIG (Distanzelektroimplusgerät, „Taser“) und Maschinenpistole seien nur vorsorglich zur Eigensicherung mitgenommen worden. Thorsten H. sagt aus: “Hätte Mouhamed das Messer weggelegt nach dem RSG, hätten DEIG und MP nicht benutzt werden müssen” – eine deutliche Schuldumkehr, die den Betroffenen selbst dafür verantwortlich macht, nicht erschossen zu werden.

Nachdrücklich betont Markus B. er habe eigenmächtig entschieden, das DEIG einzusetzen. Dieses sei ihm im Vorfeld zur Sicherung „der eigenen Personen“ zugewiesen worden. Eine Aufforderung, es einzusetzen, habe es in der Situation durch den Einsatzleiter H. nicht gegeben. Für ihn sei nicht erkenntlich gewesen, was Mouhamed, getroffen vom Pfefferspray, „mit dem Messer vor hatte“. Er habe Mouhameds Verhalten als Gefahr gedeutet, dass dieser sich selbst oder seine Kolleg*innen verletzt. In dem Moment sei das für ihn eine „Gefahr für Leib und Leben“ gewesen. Deshalb habe er in dem Moment den DEIG zum Selbstschutz für Mouhamed eingesetzt. In ihren Begründungen für den DEIG-Einsatz widersprechen er und Einsatzleiter H. sich. Denn Thorsten H. betont wiederholt, dass DEIG und MP5 lediglich zum Selbstschutz der Polizist*innen eingesetzt wurde.

Unklar bleibt in der Befragung der genaue Abstand der Beamt*innen zu Mouhamed zum Zeitpunkt der Schussabgabe. Die kritischen Fragen von Kammer und Nebenklage legen nah, dass diese Zweifel daran hegen, ob die Beamt*innen den vorgeschriebenen Mindestabstand zu Personen mit Messer eingehalten haben und ob eine Distanzierung anstelle der Schussabgaben möglich gewesen wäre, als Mouhamed sich näherte. Thorsten H. beharrt darauf, dass Mouhamed, getroffen vom Pfefferspray, statt in Richtung des Hofes, wo auch der Großteil der Beamt*innen stand, sich stattdessen auch weiter in die Nische Richtung Mauer, zum oder über den Zaun hätte bewegen können.

Die Befragung ergibt, dass weder Zivilbeamte noch Thorsten H. und seine Einheit sich Mouhamed gegenüber als Polizei zu erkennen gaben. Er sei davon ausgegangen, dass Mouhamed erkannt habe, dass es sich bei ihnen um Polizeibeamt*innen gehandelt habe. Augenkontakt zwischen ihm und Mouhamed fand nicht statt und zwischen Mouhamed und anderen Beamt*innen habe er jedoch nicht wahrgenommen. Dennoch sei er davon ausgegangen, dass die Beamten in Zivil sich Mouhamed gegenüber als Polizisten zu erkennen gegeben hätten. Dies taten sie laut eigenen Zeugenaussagen nicht. Thorsten H.: „Der Auftrag war ja, das Messer fallen zu lassen. Das machen ja keine Bürger.“ Auch lenkt H. ein, dass die Zwangsmittel nicht, geschweige denn in einer für Mouhamed verständlichen Sprache, angedroht wurden: “Die Worte “Messer weg”, “Pfeffer”, sind nicht gefallen.

Fingierter Zeitdruck

Obwohl die Polizei eine statische Lage vorfand und Mouhamed im gesamten Zeitraum ihres Aufstellens keinen Anschein machte, den Suizid zu realisieren, handelte die Polizei eilig und mit massiver Gewalt. Den Zeitpunkt des Pfeffersprayeinsatzes rechtfertigt Thorsten H. damit, dass er gesehen haben will, wie Mouhamed das Messer kurzzeitig sinken ließ, um es daraufhin wieder am Bauch“nachzujustieren“. Die vermeintliche Aktivität bei Mouhamed habe ihn somit zur Anordnung des Pfeffersprays veranlasst. Auf kritische Nachfragen entgegnet er: “Soll ich darauf warten, dass Herr Dramé sich das Messer in den Bauch rammt und dann stehen da 12 Polizisten und machen nichts?“

Markus B. räumt später ein, dass die Situation ihnen Zeit gelassen hätte, sich einzurichten und aufzustellen.

DEIG-Schütze Markus B. stellt in seiner Befragung einen deutlich rassistisch aufgeladenen Zusammenhang zwischen Mouhameds “Muskelpartien” am unbekleideten Oberkörper an dem heißen Sommertag und einem “aggressiven Verhalten” her. Mouhamed verharrte zu diesem Zeitpunkt seit geraumer Zeit still und teilnahmslos in einer sichtgeschützten Ecke des Geländes. Des weiteren entgegnete B. auf die Frage ob er Mouhamed als apathisch wahrgenommen habe: er wirkte so, „als hätte er auf Polizei als solches keine Lust und macht was er für richtig hält.“

Zur Frage, warum auch Thorsten H. seine Waffe aus dem Holster nahm, als Mouhamed wohl schon von den Schüssen der Maschinenpistole getroffen war, sagt dieser, es hätte ja sein können, dass Mouhamed wieder aufstehe. Gefragt, ob nicht auch ein Zielen auf Mouhameds Beine, statt auf Oberkörper und Gesicht, möglich gewesen wäre, sagt dieser aus, dass solche Schüsse häufig nicht dazu führen würden, dass Personen ihre Bewegungen einstellten. Es ginge in Situationen wie dieser darum, eine Person “kampfunfähig” zu machen. In einer Sprachnachricht des Angeklagten Markus B. an einen Kollegen und Freund erläutert dieser, ein sogenanntes „Messerkonzept“ der Polizei schreibe vor, dass „man so lange schießt“, bis ein „Wirkungstreffer erzielt“ wurde.

Auf die Nachfrage nach den mitgeführten Bodycams gibt Thorsten H. an, dass es in der anfänglichen Situation nicht zulässig gewesen wäre, diese anzuschalten, da Mouhamed suizidal war. Bodycams haben lediglich den “Sinn und Zweck, Angriffe auf Polizeibeamte zu dokumentieren.” Als Mouhamed dann auf das Pfefferspray reagierte, habe keiner Zeit gehabt, sie noch anzuschalten.

Als Teil der Rechtfertigung des Einsatzes sagt Einsatzleiter Thorsten H. aus: „Wir waren der Ansicht, als wir noch vor Ort waren, dass der Einsatz gut gelaufen ist.“ H. hatte bei der Fesselung von Mouhamed zumindest drei der Schusswunden an Oberkörper und Kopf gesehen. Dennoch sagt er zur Nachricht über den späteren Tod Mouhameds im Krankenhaus: “Ich war erschrocken. Entsetzt. Ich hab damit nicht gerechnet.“ Der gesamten am Einsatz beteiligten Beamt*innenschaft wurde in den Tagen nach der Tat vom Polizeipräsidenten persönlich Unterstützung ausgedrückt und “alle mögliche psychische Unterstützung” angeboten, wenn es jemandem von ihnen schlecht ginge. Eine inhaltliche oder rechtliche Besprechung des Einsatzes habe es jedoch nicht gegeben.

Angesprochen auf gelöschte Chats auf seinem Handy gibt H. an, dies tue er regelmäßig, er habe damals nichts verheimlichen wollen. Auch auf die Frage nach dem von Zeug*innen angegebenen Satz, H. habe den Schützen Fabian S. bei der Einsatzbesprechung als “last man standing” adressiert, gibt dieser an, dies sei “eigentlich nicht so sein Sprachgebrauch.” Auf Rat von Hs. Anwalts Michael Emde wird seine Einlassung vorzeitig abgebrochen.

Richter Kelm entscheidet über Beweisverwertungsverbot

Nach Diskussionen unter den Prozessbeteiligten um die Nutzung der ersten Aussagen der nun Angeklagten kurz nach der Tat fordert Lisa Grüter für die Nebenklage eine Grundsatzentscheidung der Kammer. Richter Thomas Kelm beurteilt daraufhin spontan die Aussagen als nicht verwertbar. Hier greife das Beweisverwertungsverbot, weil die ermittelnde Polizei Recklinghausen die fünf Beamt*innen als Zeug*innen statt als Beschuldigte geführt und daher vor der Befragung falsch belehrt hatte. Die Nebenklage verliest daraufhin eine ausführliche förmliche Beanstandung, die die Wichtigkeit der Aussagen für eine effektive Aufklärung betont. Auch werden z.B. drei Vorerfahrungen von Thorsten H. mit Schusswaffeneinsätzen sowie Chatnachrichten von Markus B. herangezogen, die beweisen, dass diese wussten oder wissen mussten, dass sie als Beschuldigte gelten. Richter Kelm, Staatsanwältin Yazir, die Verteidiger sowie Teile des Publikums reagieren spöttisch auf die Aktion der Nebenklage. Sollte die Entscheidung zur Anwendung des Beweisverwertungsverbots bestätigt werden, dürften wertvolle Aussagen der Angeklagten, bevor diese Zeit hatten, eine kohärente Aussage über ihr Vorgehen zu treffen, vom Gericht nicht beachtet werden.

Weiter geht es am Montag (!), den 22. April, ab 9:30. Dieser soll nur ein kurzer Termin (30-60 min) mit Verlesung von Urkunden werden. Die Einlassungen sollen fortgesetzt werden am übernächsten Termin, dem 22. Mai um 9:30. Wir freuen uns wie immer über solidarische Prozessbeobachter*innen (Eingang Hamburger Straße 11) sowie Teilnahme an unserer Mahnwache ab 7:30 vor dem Gericht (Kaiserstraße 34). Alle Folgetermine bis September siehe https://justice4mouhamed.org/prozessbegleitung/

Pressemitteilung 17. April 2024 – 11. Verhandlungstag in der Hauptverhandlung am Landgericht Dortmund zum Tod von Mouhamed Lamine Dramé

„Die späten Einlassungen gehören zur Verteidigungsstrategie“

16.04.2024 – In Zusammenarbeit mit dem Grundrechtekomitee und NSU-Watch NRW

Am nun kommenden Mittwoch, den 17. April 2024, wird vor dem Landgericht Dortmund zum 11. Mal in der Anklage gegen fünf Polizist*innen verhandelt. Das Gericht um den vorsitzenden Landgerichtsrichter Thomas Kelm soll Recht sprechen in der Frage, wie der 16-jährige Mouhamed Lamine Dramé am 8. August 2022 von Polizist*innen der Dortmunder Nordstadtwache getötet wurde.

Das Gericht verhandelt seit Mitte Dezember 2023. Nach Monaten der Beweiserhebung wollen zwei der angeklagten Polizist*innen nun endlich Einlassungen zur Sache machen.

„Die Einlassungen der Angeklagten kommen spät. Das überrascht uns nicht. Denn wir gehen davon aus, dass die Polizist*innen auf der Anklagebank jede Möglichkeit nutzen, sich in ihrer Sichtweise auf ihren tödlichen Einsatz vor 1,5 Jahren bestmöglich vorzubereiten,“ sagt Bo, Sprecher*in des Solidaritätskreises Justice4Mouhamed. „Die späten Einlassungen gehören zur Verteidigungsstrategie.“

Nach vier Monaten vor Gericht kennen die Angeklagten inzwischen die Aussagen fast aller Tatzeug*innen, darunter vor allem auch die ihrer eigenen Kolleg*innen, die mit am Einsatz beteiligt waren.

„Wir erwarten von einem Gericht, das die Tragweite des Prozesses ernst nimmt, dass es die Einlassungen der Angeklagten und die Aussagen ihrer Berufskolleg*innen in genau diesen Rahmen einordnet – als strategische Prozessführung der Verteidigung. Die Kammer muss endlich prüfen, wie glaubwürdig das bisher von den Polizist*innen Geschilderte dazu passt, dass am Ende des kurzen Einsatzes ein Mensch durch sie getötet wurde.“

Das zu erwartende große Interesse, welches den Einlassungen der Angeklagten im Prozessgeschehen folgen wird, hat aber einen Haken: „Diese große Aufmerksamkeit ist der Familie Dramé und der Geschichte von Mouhamed Lamine Dramé, noch an keinem einzigen Prozesstag zuteil geworden.“ Im Gegenteil: dem ausdrücklichen Wunsch von Sidy und Lassana Dramé, als Nebenkläger ein Statement abzugeben, wurde von Richter Kelm oder der Staatsanwaltschaft keine Berücksichtigung geschenkt.

„Seit Sidy und Lassana Dramé im Gerichtssaal dabei sein können, sind sie nicht einmal angesprochen, begrüßt oder überhaupt nur wahrgenommen worden. Gericht und Verteidigung tun so, als seien sie Luft,“ ergänzt Alex, Unterstützer*in im Solidaritätskris Justice4Mouhamed.

„Es ist klar, dass Strafprozesse keinen Wert auf zwischenmenschliche Gesten legen – warum auch. Es geht um Rechtsprechung. Dass die Hinterbliebenen aber keines Blickes gewürdigt und in ihrem Anliegen und Schmerz nicht gesehen werden, ist nur schwer auszuhalten.“

Sidy und Lassana Dramé erhoffen sich Gerechtigkeit durch den Prozess für ihre Familie. „Möge die Gerechtigkeit geschehen, möge die Wahrheit ans Licht kommen. Was die Polizei tut, ist überhaupt nicht gerecht. Das ist der Grund, warum die Familie uns hierher geschickt hat. Wir sind hier, um darauf zu warten, dass Gerechtigkeit geschieht. Wir warten darauf, dass am Ende jeder weiß, dass die Polizisten unrecht hatten, als sie unseren Bruder töteten“.

Die beiden Brüder blicken besorgt auf den kommenden Prozesstag: „Wir rechnen mit gut vorbereiteten Aussagen seitens der Polizisten, welche in unserer Erwartung keinen Beitrag dazu leisten werden, die Realität des Geschehenen abzubilden,“ so Sidy Dramé. Sie bitten um zahlreiche Unterstützung am kommenden Prozesstag.

Für den Verhandlungstag am 17. April ist eine Mahnwache des Solidaritätskreises Justice4Mouhamed vor dem Landgericht sowie die solidarische Prozessbeobachtung geplant. Der Gerichtsprozess wird von Beginn an durch den Solidaritätskreis, dem Grundrechtekomitee, NSU-Watch sowie anderen zivilgesellschaftlichen Initiativen und Einzelpersonen solidarisch begleitet.

Bericht vom 10. Prozesstag – 03.04.2024

Der 10. Prozesstag in Kürze:

Im folgenden Bericht werden Aspekte der Tat benannt.

  • Drei Rettungsdienstler*innen sagen als Zeug*innen aus. Sie werden von Richter Kelm regulär über ihre Pflichten als Zeug*innen belehrt, anders als die zuvor befragten Polizeizeug*innen.
  • Alle drei berichten, sie seien unterwegs über Funk mit den Stichworten „Suizid“ und „Messer“ zur Jugendhilfeeinrichtung beordert worden. Als sie dort ankamen, war die Polizei schon vor Ort. Beamte signalisierten ihnen per Handzeichen, in Entfernung stehenzubleiben. Auf Nachfrage gibt keiner von ihnen an, diese Anweisung hinterfragt zu haben. Während die Polizei ihren Einsatz durchführte, bekamen die Sanitäter*innen von der Leitstelle keinerlei weitere Informationen. Außerdem standen sie in keinem direkten Kontakt zu den am Einsatz beteiligten Polizeibeamt*innen. Erst, nachdem für sie hörbar die Schüsse gefallen waren, wurden sie von Beamt*innen zum Tatort hinzugerufen. Dort fanden sie Mouhamed bäuchlings auf dem Boden liegend, mit hinterm Rücken gefesselten Händen vor. Neben den Schusswunden hatte er gerötete Augen vom Pfefferspray und Tasernadeln an verschiedenen Körperstellen.
  • In zum Polizeisprech auffallend ähnlicher Sprache beschreiben mehrere von ihnen Mouhameds Verhalten als „wehrig“. So begründen sie auch die Fesselung noch im Rettungswagen sowie die Begleitung durch zwei Beamt*innen ins Krankenhaus.
  • Auch fällt auf, dass keine*r von ihnen Beurteilungen abgibt, die einen kritischen Blick auf die Hierarchisierung von Polizei über Rettungskräfte beim Einsatz oder das Vorgehen der Polizei zulassen würden. Dass etwa auch der Rettungsdienst ohne Polizei oder im Beisein der Polizei im Hintergrund hätte aktiv werden können, oder wiederum die eigenen Ressourcen zum Herbeirufen speziell geschulten Personals hätte nutzen können, kommt nicht zur Sprache.

Am Mittwoch, den 17. April, geht es ab 9:30 weiter mit den ersten Einlassungen der Angeklagten.

Ausführlicher Bericht vom 10. Prozesstag:

Zum heutigen Prozesstag findet erneut eine Mahnwache vor dem Landgericht statt und viele solidarische Menschen sind im Saal anwesend.

Heute wird mit der Vernehmung von drei Rettungsdienstler*innen im Prozess fortgefahren. Der Berufsfeuerwehrmann Dominik G. (29), der als Rettungssanitäter am Einsatz beteiligt war. Darüber hinaus die Notfallsanitäterin in Ausbildung, Lucy B. (22), die sich damals in ihrem ersten Ausbildungsjahr befand und der stellvertretende Disponent der Leitstelle und Hauptwachmeister, David D. (32), damals als Praxisanleiter von B. und Notfallsanitäter im Einsatz.

Sie werden von Richter Kelm regulär über ihre Pflichten als Zeug*innen belehrt, anders als die zuvor befragten Polizeizeug*innen.

Passive Rolle der Rettunssanitäter*innen

Ihre Aussagen zum Tathergang sind inhaltlich als auch von der chronologischen Abfolge in ihrer Erzählung sehr deckungsgleich. Es wirkt fast abgesprochen und einstudiert.

Alle drei berichten, sie seien unterwegs über Funk mit den Stichworten „Suizid“ und „Messer“ zur Jugendhilfeeinrichtung beordert worden. Als sie dort ankamen, war die Polizei schon vor Ort. Beamte signalisierten ihnen per Handzeichen, in Entfernung stehenzubleiben. Auf Nachfrage gibt keine*r von ihnen an, diese Anweisung hinterfragt zu haben. Verwunderlich, denn wie David K. aussagt, wurde ihnen über die Leitstelle nicht mitgeteilt, dass auch die Polizei angefunkt wurde und sie somit nicht wissen konnten, dass diese auch am Einsatz beteiligt sein wird. Laut Aussage des Zeugen G. komme die Polizei bei Einsätzen mit suizidalen Personen lediglich hinzu, bzw. wird aktiv, wenn eine Eigengefährdung für die Rettungskräfte bestünde. Kritisch fragt Prof. Feltes nach, ob es sich bei einem Suizideinsatz grundsätzlich erst einmal um einen Hilfs- oder Gefahreneinsatz handelt. Das sei situativ, je nachdem ob die suizidale Person eine Bewaffnung dabeihabe oder nicht, lautet Dominik G.s Antwort. Entrüstet entgegnet Prof. Feltes „aber es ist doch ein Hilfeeinsatz„. G. erwidert, das komme auf die individuelle Situation an.

Während die Polizei ihren Einsatz durchführte, bekamen die Sanitäter*innen von der Leitstelle keinerlei weitere Informationen über die Einsatzlage mitgeteilt. Außerdem standen sie in keinem direkten Kontakt zu den am Einsatz beteiligten Polizeibeamt*innen. Sie haben sich neben dem RTW bereit gemacht, die Trage mit ihrem medizinischen Equipment vorbereitet, einen Notarzt angefordert und auf weitere Anweisungen gewartet. Erst, nachdem für sie hörbar die Schüsse gefallen waren, wurden sie von Beamt*innen zum Tatort hinzugerufen. Dort fanden sie Mouhamed bäuchlings auf dem Boden liegend, mit hinterm Rücken gefesselten Händen vor. Sie erinnern sich, dass mehrere Beamte auf Mouhamed knieten und diesen somit zusätzlich fixierten. Neben den Schusswunden hatte er gerötete Augen vom Pfefferspray und Tasernadeln an verschiedenen Körperstellen.

In zum Polizeisprech auffallend ähnlicher Sprache beschreiben mehrere von ihnen Mouhameds Verhalten als „wehrig“. So begründen sie auch die Fesselung noch im Rettungswagen sowie die Begleitung durch zwei Beamt*innen ins Krankenhaus. Auf Nachfrage von Richter Kelm sagt der Zeuge Dominik G. aus, er könne sich Mouhameds Verhalten „nicht erklären„. Er habe auf der Trage versucht seinen Oberkörper aufzurichten, „als wolle er weglaufen„. Ob das für ihn ein naheliegendes Verhalten sei und durch Schmerzen verursacht worden sei, wie Richter Kelm weiter nachfragt, könne er außerdem nicht bewerten. Diese Aussagen verwundern doch angenommen der Tatsache, dass sie als medizinisches Personal Erfahrung mit den unterschiedlichsten Reaktionen schwer verletzter Menschen haben müssten.

Fehlende kritische Beurteilung des einsatztaktischen Vorgehens

Auch fällt auf, dass keine*r der Zeug*innen Beurteilungen abgibt, die einen kritischen Blick auf das Vorgehen beim Einsatz zulassen würden. Die Hierarchisierung der Polizei über die Rettungskräfte und dass diese die Einsatztaktik und Maßnahmen vorgab, wird als gegeben hingenommen. Dahingegen stellt sich auf Nachfrage der Nebenklage heraus, dass dies nicht zwangsläufig das routinemäßige Vorgehen bei Einsätzen mit suizidalen Personen sei – besonders bei suizidalen Menschen, welche sich apathisch verhielten (wie im Falle Mouhameds). Denn wenn keine Eigengefährdung bestünde, bei der eine Zusammenarbeit mit der Polizei als notwendig erachtet werde, sei das Vorgehen von Rettungskräften eine vertrauensvolle Umgebung zu schaffen und nach dem Prinzip des „talk them down“ auf die suizidale Person einzugehen. Durch Kommunikation versuche man, dass die suizidale Person das „Vorhaben von sich aus beiseitelegt“. Auf die kritische Nachfrage von Prof. Feltes, ob sie bei diesem Einsatz nicht auch die Möglichkeit eines „talk him down“ gehabt hätten, entgegnet die Zeugin B. lediglich, sie seien „ja am Patienten nicht dran“ gewesen – ohne in Frage zu stellen ob das nicht hätte geändert werden können.

Keine Kommunikation zwischen Polizei und Rettungskräften vor Ort

Der Eindruck einer bewusst unkritischen Bewertung des polizeilichen als auch eigenen (untätigen) Vorgehens verschärft sich bei den Aussagen des Zeugen Dominik G. rund um die Frage, ob sie als Rettungskräfte die Möglichkeit gehabt hätten geschultes Personal, wie Psychotherapeut*innen, hinzuzuziehen. Laut Richtlinien können sie diese über die Leitstelle anfragen. Das habe er bisher noch nie in einem Einsatz getan, wie auch bei diesem nicht. Er argumentiert sie hätten es nicht gemacht „weil der Verlauf unklar war„.

Die Richtlinien zum Selbstschutz von Rettungskräften bei einem Einsatz geben vor, dass diese sich mit der Polizei über die Lageeinschätzung und das weitere Vorgehen abstimmen. Das ist nach Aussagen der Zeug*innen zu keinem Zeitpunkt während des Einsatzes geschehen. Sie hätten Sichtkontakt gehabt, aber es fand keine direkte Kommunikation bis nach den Schüssen statt. Der Zeuge G. rechtfertigt das abwartende, passive Verhalten damit, dass sie nicht wussten „was vorherrscht“ und sie können sich „ja nicht in Gefahr bringen“. Auch hier bedient er das Narrativ Mouhamed sei eine Gefahr für die Einsatzkräfte gewesen und legitimiert somit das Vorgehen beim Einsatz.

Prof. Feltes resümiert, dass aufgrund der fehlenden Kommunikation zwischen Polizei und Rettungssanitätern keine gemeinsame Lagebewertung sowie Analyse der Situation möglich gewesen sei.

Wissen über Umgang mit suizidalen Personen und Verhalten beim Einsatz werfen Fragen auf

Auch als die Nebenklage Fragen zu dem Wissen der Zeug*innen zum Umgang mit suizidalen Personen aus ihrer Berufserfahrung als auch Ausbildung stellt, entsteht ein widersprüchlicher Eindruck zwischen ihren Vorgaben und dem Einsatzgeschehen am 08.08.2022.

Laut Fachliteratur handelt es sich bei ca. 10 % der Einsätze von Rettungskräften um suizidale Personen. Jedoch erwecken die Aussagen der Zeug*innen den Eindruck, dass sie entgegen der hohen Anzahl an Fälle in der Praxis nicht adäquat dafür ausgebildet werden. Rettungssanis würden nicht für ein „talk them down“ ausgebildet werden, Notfallsanis lernen das in ihren Praktika und bei Notärzten „komme es drauf an“ – unklar, was das bedeutet. Die unterschiedlichen Stufen von Suizid – Suizididee, Suizidgeste und Suizidversuch, seien manchen der Befragten geläufig. Doch fanden diese bei Mouhamed keine Anwendung, da sie keinen Kontakt zu ihm hatten, bis eine notärztliche Versorgung notwendig wurde.

Im Nachklang erwecken die Aussagen der Zeug*innen den Eindruck einer starken „Blaufreundschaft“ zu den Polizist*innen. Keine Infragestellung des einsatztaktischen Vorgehens wurde ersichtlich. Eher im Gegenteil – in ihren Aussagen bedienten sie die Narrative der Polizei über den Einsatz.

Am Mittwoch, den 17. April, geht es ab 9:30 weiter mit den ersten Einlassungen der Angeklagten.

Gemeinsame Pressemitteilung mit der Initiative „Schlafen statt Strafen“ zum tödlichen Polizeieinsatz am 03.04.2024 in Dortmund

Die Initiative „Schlafen statt Strafen“ ruft gemeinsam mit dem Solidaritätskreis Justice4Mouhamed zu einer Kundgebung am 05.04.2024 um 19 Uhr an der Reinoldikirche auf. Das Bündnis erinnert an den Verstorbenen und fordert eine lückenlose, unabhängige Aufklärung dieses erneuten Falls von tödlicher Polizeigewalt. „Wir sind erschüttert vom Tod des wohnungslosen Mannes, der gestern durch die Dortmunder Polizei an der Reinoldikirche erschossen wurde. Wir sind erschüttert davon, dass es in Dortmund einen weiteren Toten durch die Polizei gibt, nachdem Mouhamed Lamine Dramé vor weniger als zwei Jahren von der Polizei erschossen wurde und ein 44-jähriger Mann ohne Wohnung kurz danach in Dorstfeld als Folge eines Tasereinsatzes durch die Polizei starb“, so eine Sprecherin des Bündnisses.

Den aktuell veröffentlichten Berichten nach soll der getötete Mann, der noch nicht namentlich genannt ist, einen anderen wohnungslosen Mann mit einer circa 2.5 m langen Eisenstange angegriffen haben, bevor die Polizei eintraf. Die Polizei forderte ihn nach ihrem Eintreffen auf, die Stange wegzulegen. Als er der Aufforderung nicht nachkam, taserte die Polizei den 52-Jährigen. Als dies nicht die gewünschte Wirkung zeigte und er sich auf die Polizei zubewegte, erschoss ihn einer der Polizist*innen (WDR, 2024). Anstatt die Situation zu beruhigen und auf Abstand zu gehen, griff die Polizei den Mann an, wie auch mehrere Videos und Berichte von Augenzeug*innen belegen, welche dem Bündnis vorliegen.

Dieser Fall zeigt wieder einmal die Unfähigkeit der Polizei, mit Menschen in psychischen Ausnahmesituationen umzugehen. Wie bei Mouhamed Dramé und dem weiteren Menschen, der 2022 in Dortmund getötet wurde, eskalierte die Polizei die Situation durch den Einsatz von Tasern, anstatt deeskalative Mittel auszuschöpfen. Taser und Pfefferspray sind nach Einschätzung vieler Expert*innen grundsätzlich ungeeignet in dynamischen Situationen und bei Menschen in psychischen Ausnahmesituationen. Die drei tödlichen Polizeieinsätze in Dortmund bestätigen dies auf dramatische Weise. „Wir sehen das Taser-Experiment als gescheitert an, denn immer wieder führt der Gebrauch dieser Waffen zum Tode und eine Deeskalation wird nicht erreicht“, so die Sprecherin des Bündnisses.

Doch noch viel schwerwiegender ist der erneute Einsatz tödlicher Schusswaffen. Dieser ist in keinem Fall eine logische Konsequenz auf das Tasern. Die Tötung von Menschen in psychischen Ausnahmesituationen durch die Polizei darf nicht passieren. Als Teil der Exekutive behauptet die Polizei, für die Sicherheit aller Menschen zu sorgen, egal woher diese kommen, in welchen Lebensumständen sie sich befinden und auch in welcher psychischen Situation sie sind. Doch dieser Aufgabe kann und möchte eine mit militärischem Gerät hochgerüstete Institution nicht nachkommen und die vermeintliche „Sicherheit“ der Polizei besteht zum großen Teil in der Kontrolle und Verunsicherheitlichung marginalisierter Menschen. So kommt es dann auch oft zu maßloser Gewalt. Bilder von gleich mehreren Polizeibeamt*innen, die auf Menschen in psychischen Krisen losgehen oder schießen, gehen dank aufmerksamer Passant*innen um die Welt und lassen das Bild von einer Polizei als „Freund & Helfer“ bröckeln. 

Wohnungslose Menschen sind besonders häufig von dieser Gewalt betroffen und durch ihre vulnerable Lebenssituation, die starke Stigmatisierung und Marginalisierung, die sie erfahren, eigentlich besonders auf Schutz angewiesen. Immer wieder müssen Menschen ohne Wohnung Gewalt und Willkür von kommunalem Ordnungsdienst, Ordnungsamt und Polizei erfahren. Im Zwischenbericht der durch das Innenministerium beauftragten Studie der Deutschen Hochschule der Polizei wurden Vorurteile gegenüber Wohnungslosen sowie muslimfeindliche Einstellungen innerhalb der Polizei festgestellt (Zeit, 2023). Dass erst dieser Tage bekannt wurde, dass es mindestens 400 laufende Ermittlungen gegen Polizist*innen wegen rechtsextremer Gesinnung laufen, sollte dabei auch mehr als eine Randnotiz sein (Stern, 2024). Die Polizei zeigt auf allen Ebenen, dass sie nicht fähig und gewillt zu deeskalierenden Einsätzen und dem Umgang mit vulnerablen Personengruppen ist. 

Dies ist einer der Gründe, weshalb auch die Übergabe der Ermittlung des Falls an die Polizei in Recklinghausen scharf zu kritisieren ist. Es braucht von der Polizei unabhängige Ermittlungsstrukturen, die Fälle von Polizeigewalt untersuchen. Nur so kann sichergestellt werden, dass Polizist*innen für ihre Taten zur Rechenschaft gezogen werden. Es besteht keine Unabhängigkeit zwischen Polizeistationen. Polizist*innen können nicht unabhängig gegen ihre eigenen Kolleg*innen ermitteln. 

Um eine unabhängige, lückenlose Aufklärung der tödlichen Schüsse zu fordern und sich gegen Polizeigewalt zu stellen, rufen die Initiativen am Freitag um 19 Uhr zur Kundgebung an der Reinoldikirche auf. Wir fordern Schutz für, statt Gewalt gegen marginalisierte und vulnerable Gruppen wie wohnungslose und von Rassifizierung betroffene Menschen. Das Bündnis fordert: „Keine weitere Person darf durch tödliche Polizeigewalt sterben. Außerdem möchten wir den Namen des Verstorbenen wissen, da nur so ein würdiges Gedenken möglich ist.“ 

Die Forderung nach einer grundlegenden Umstrukturierung, Demilitarisierung und Entnazifizierung der Institution Polizei sowie eine verstärkte Finanzierung von sozialen Hilfen und die Beauftragung von sozialen Akteur*innen anstatt der Polizei wird auch durch diesen Fall von tödlicher Polizeigewalt deutlich untermauert.

Unsere Gedanken sind bei dem getöteten Menschen und allen Menschen, die nun an ihn denken und um ihn trauern. 

1)      WDR, 2024: https://www1.wdr.de/nachrichten/mann-dortmund-randalierer-reinoldikirche-niedergeschossen-100.html

2)      Zeit, 2023: https://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2023-04/studie-polizei-einstellung-rassismus-vorurteile

3)      Stern, 2024: https://www.stern.de/gesellschaft/hunderte-rechtsradikale-und-mutmassliche-reichsbuerger-in-den-polizeien-der-bundeslaender-34596762.html

Radio Nordpol – Beitrag zum 9. Prozesstag

Zum 9. Verhandlungstag hat das Radio Nordpol mit der Anwältin der Nebenklage Lisa Grüter, Britta Rabe vom Grundrechtekomitee und dem Solidaritätskreis Justice4Mouhamed gesprochen. Darüber hinaus geht es um die aktuelle Statistik von TOPA. Wir schauen polizeikritisch auf den Umgang der Cops mit Menschen in psychischen und psychosozialen Krisen und wie Alternativen zum Polizeinotruf aussehen können.

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Danke an das Radio Nordpol Team!

Bericht vom 9. Prozesstag – 20.03.2024

  1. Prozesstag in Kürze:
  • Vernehmung des letzten beteiligten Polizeizeugens: Christon S. (33) gehörte zur Vierergruppe der Zivilbeamten vor Ort. – Seine Aussage ähnelt inhaltlich allen bisher gehörten Polizeiaussagen. Laut ihm habe es vor dem Einsatz des Pfeffersprays eine Diskussion zwischen der Angeklagten Pia B. und Einsatzleiter Thorsten H. über einen möglichen Einsatz des Tasers gegeben. Daraufhin soll H. die Anordnung das RSG 8 (Pfefferspray) einzusetzen gegeben haben. Auch S. beschreibt die ruhige Auffindesituation Mouhameds, dieser sei „wie gefangen in Gedanken“ gewesen.

  • Wie andere zuvor schildert der Zeuge, sein Kollege Kevin S.F. habe sich „viel zu nah“ an Mouhamed heranbegeben. Man sei jedoch „in erster Instanz nicht davon ausgegangen, dass er uns was wollte“. Da Mouhamed auf ihre Anrufungen nicht reagierte sei die Situation immer bedrohlicher geworden, es sei darum gegangen, „die Maßnahme durchzuziehen“, aus polizeilicher Sicht sei „eine Person mit Messer eine Bedrohung an sich“.
  • S. gibt an, dass aus seiner Erfahrung mit „Messertätern“ der Einsatz von Pfefferspray sinnvoll sei, um eine Selbstverletzung der Person zu verhindern und gleichzeitig eine „Entwaffnung“ erzielen zu können. Damit begründet und legitimiert er auch 1,5 Jahre später noch den Einsatz des Pfeffersprays als „mildestes Mittel“.

  • Der Polizeisprech im Gerichtssaal hinterlässt Fragezeichen: Mehrfach spricht Christon S. davon, Mouhamed sei bei der Erstversorgung „wehrig“ gewesen – gleich zweimal beschreibt er seinen Todeskampf als „Gas geben im RTW“. Richter Kelm greift dies auf, beschreibt Mouhamed gar als „renitent“. Auf Nachfrage ergänzt der Zeuge, dass er „überrascht“ war später von Mouhameds Tod zu erfahren, habe sich dieser doch im RTW und Schockraum noch „agil“ verhalten.

  • Verteidiger Brögeler gibt nach der Befragung eine Prozesserklärung ab und offenbart damit eine mögliche Verteidigungsstrategie: In der Anklageschrift werde von einer statischen Lage gesprochen, die hätte gehalten werden können. Man müsse jedoch mal die „Perspektive wechseln“, Zu Beginn sei es eine solche gewesen, doch hätte diese jederzeit kippen können. Nicht wegen eines Angriffs Mouhameds, sondern dadurch, „dass er sich das Messer in den Bauch rammen könnte“. Das hätte zur Ungewissheit bei den Beamten geführt, ob die statische Lage in eine dynamische umkippt – schließlich wären die Beamt*innen auch verpflichtet gewesen, Mouhamed „helfen zu müssen“.

  • Die Verteidiger von Thorsten H. und Markus B. geben an, am 17.04. eine Einlassung (Stellungnahme der Angeklagten) abzugeben. Die Verteidigung des Schützen Fabian S. will diese abwarten und daraufhin entscheiden, ob sie sich auch äußern wollen.

    Am Mittwoch, den 03. April, geht es ab 9:30 Uhr weiter mit der Befragung der RTW Sanitäter*innen. Wir freuen uns über solidarische Prozessbeobachter*innen (Eingang Hamburger Straße 11) sowie Teilnahme an unserer Mahnwache ab 7:30 vor dem Gericht (Kaiserstraße 34).

Ausführlicher Bericht von 9. Prozesstag:

Zum heutigen Prozesstag findet erneut eine Mahnwache vor dem Landgericht statt und einige solidarische Menschen sind im Saal anwesend. Aufgrund von Verzögerungen bei der Einlasskontrolle beginnt der Prozesstag verspätet um 9:40 Uhr.

Zum heutigen Prozesstermin ist der letzte Polizist als Zeuge geladen, welcher bei dem Einsatz mit vor Ort war. Christon S. (33) war zum damaligen Zeitpunkt als Zivilbeamter mit seiner Einsatzleiterin Sandra K. in einem Zivilwagen in der Nordstadt unterwegs, als sie die Anordnung erhielten zu „Aufklärungszwecken“ in die Holsteinerstraße zu fahren. Vor Ort begleitete er die weiteren Kollegen in Zivil, Kevin S.F. und Max P. in den Innenhof und unternimmt dort die ersten Anrufungsversuche an Mouhamed durch „Hey“- Rufe und Pfiffe.

Sie seien vor Ort gewesen, um Mouhamed zu helfen

Die Aussagen von S. zum Tatgeschehen unterscheiden sich inhaltlich nicht wesentlich von den bisher gehörten Aussagen der anderen Polizeibeamt*innen. Auch er beschreibt die Situation zu Beginn als ruhig. Mouhamed habe abwesend, „wie gefangen in Gedanken“ gewirkt.

Daraufhin bringt S. jedoch ein bisher unbekanntes Detail des Tatgeschehens zur Sprache. Laut ihm habe es vor dem Einsatz des Pfeffersprays eine Diskussion zwischen der Angeklagten Pia B. und Einsatzleiter Thorsten H. über einen möglichen Einsatz des Tasers gegeben. B. habe ein freies Schussfeld gehabt, doch H. wies an das Pfefferspray einzusetzen, „um Verletzungen zu vermeiden„. Bei einer Taserabgabe bestünde, laut S., eine erhöhte Gefahr der unbeabsichtigten Selbstverletzung für Mouhamed, durch das Messer in seiner Hand. Diese Aussage und die Betonung der Bemühungen, um eine Selbstverletzung Mouhameds zu vermeiden reiht sich in das Narrativ ein, welches S. in seiner weiteren Befragung verfolgt – sie seien in erster Linie vor Ort gewesen, um Mouhamed zu helfen. Damit begründet er auch, dass sich sein Kollege Kevin S.F., wie er selbst sagt „viel zu nah“ an Mouhamed heranbegeben habe. Man sei jedoch „in erster Instanz nicht davon ausgegangen, dass er uns was wollte“. Erstmal sei es ihnen darum gegangen Mouhamed aus seinen Gedanken zu reißen und einen Zugang zu ihm zu bekommen. Da dieser auf ihre Anrufungen nicht reagierte habe der Zeuge „immer mehr ein schlechtes Bauchgefühl“ bekommen und die Situation sei bedrohlicher geworden. Denn ihm sei bewusst gewesen, dass Mouhamed noch das Messer in der Hand habe, sie zu nah dran seien und sie „seine Gedanken nicht lesen konnten„. Auf den Einwand des Staatsanwalt Domberts, für ihn klinge das eher wie Ratlosigkeit seitens des Zeugen als nach einer Bedrohung, entgegnete S., es sei darum gegangen,die Maßnahme durchzuziehen. Aus polizeilicher Sicht sei „eine Person mit Messer eine Bedrohung an sich“.

Der Pfeffersprayeinsatz wird als „mildestes Mittel“ legitimiert

S. gibt auf Nachfrage des Verteidigers Bögeler an, dass aus seiner Erfahrung mit „Messertätern“ der Einsatz von Pfefferspray sinnvoll sei, um einerseits eine Selbstverletzung der Person zu verhindern und gleichzeitig eine „Entwaffnung“ erzielen zu können. Denn in seiner Erfahrung haben diese oft die Hände vors Gesicht gehalten um das Pfefferspray abzuwenden und dadurch das Messer fallen gelassen.

Darüber hinaus sei er auch nicht über den Zeitpunkt des Einsatzes von Pfefferspray erstaunt gewesen. Denn man habe jederzeit damit rechnen müssen, dass Mouhamed sich selbst verletzt und deshalb sei Pfefferspray als das „mildeste der vorhandenen Mittel“ geeignet, um eine Person abzulenken oder zu überraschen. Damit begründet und legitimiert er auch 1,5 Jahre später noch den Einsatz des Pfeffersprays als „mildestes Mittel“.

Der Zaun sei überwindbar gewesen für Mouhamed

Der Zeuge unterstreicht das Narrativ der Bedrohungslage für die Polizei mit der Aussage Mouhamed hätte auch über den 1.70m hohen Zaun vor ihm springen können. Er selbst sei bei einem Polizeieinsatz mehrere Jahre zuvor über denselben Zaun gesprungen, das sei kein Problem. Auf die ungläubige Nachfrage des Richters, Mouhamed hätte das wohl nicht unter fünf Sekunden (in der Zeitspanne nach dem Pfefferspray und vor dem Tasereinsatz und den Schüssen) geschafft, entgegnete der Zeuge: „bin ich auch schon„.

Der Polizeisprech im Gerichtssaal hinterlässt Fragezeichen: Mehrfach spricht Christon S. davon, Mouhamed seibei der Erstversorgung „wehrig“ gewesen – gleich zweimal beschreibt er seinen Todeskampf alsGas geben im RTW. Richter Kelm greift dies auf, beschreibt Mouhamed gar als „renitent“. Auf Nachfrage ergänzt der Zeuge, dass er „überrascht“ war später von Mouhameds Tod zu erfahren, habe sich dieser doch im RTW und Schockraum noch „agil“ verhalten.

Prozesserklärung durch Verteidiger Brögeler

Verteidiger Brögeler gibt nach der Befragung eine Prozesserklärung ab und offenbart damit eine mögliche Verteidigungsstrategie: In der Anklageschrift werde von einer statischen Lage gesprochen, die hätte gehalten werden können. Man müsse jedoch mal die „Perspektive wechseln„. Zu Beginn sei es eine solche gewesen, doch hätte diese jederzeit kippen können. Nicht wegen eines Angriffs Mouhameds auf die Polizei, sondern dadurch, „dass er sich das Messer in den Bauch rammen könnte„. Das hätte zur Ungewissheit bei den Beamten geführt, ob die statische Lage in eine dynamische umkippt – schließlich wären die Beamt*innen auch verpflichtet gewesen Mouhamed „helfen zu müssen“.

Der nächste Prozesstermin ist am 03.04. um 9:30 Uhr (Eingang Hamburger Straße 11). Wir werden ab 7:30 Uhr mit einer Mahnwache vor dem Landgericht solidarisch unterstützen. Es werden die ersten Sanitäter*innen des RTWs aussagen.

Redebeitrag: Internationaler Tag gegen Polizeigewalt

Der Redebeitrag als Audio-Datei:

Liebe Demonstrierende, Gefährt*innen, Freund*innen,

Der Solidaritätskreis Justice4Mouhamed sendet euch zum internationalen Tag gegen Polizeigewalt solidarische, wütende, trauernde und kämpferische Grüße aus Dortmund.

Wir haben unsere Arbeit begonnen, nachdem der Jugendliche Mouhamed Lamine Dramé, am 8. August 2022, von der Dortmunder Polizei, durch die Schüsse einer Maschinenpistole getötet wurde, nachdem zweimal ein Taser und eine Flasche Pfefferspay gegen ihn eingesetzt wurden,  während er sich in einer psychischen Notlage befand und keine Gefahr für dritte darstellte.

Leider ist dieses traurige Ereignis kein Einzelfall. Jedes Jahr sterben Menschen in Händen der Polizei oder durch ihre Einwirkungen.

Heute, aber nicht nur heute, am 15.03. – dem internationalen Tag gegen Polizeigewalt – möchten wir erinnern, denn die getöteten Menschen haben Namen und Geschichten, die sie mit anderen Menschen verbinden. Dem entgegen steht die erschreckende Tendenz der Vertuschung, denn noch immer gibt es keine offiziellen Dokumentationen und nicht bei allen getöteten ist der Name bekannt. Ein Beispiel dafür ist der tödliche Einsatz am 19.10.22, ebenfalls in Dortmund, bei dem ein Wohnungsloser starb, nachdem ein Taser eingesetzt wurde.

Während noch nicht einmal eine offizielle Dokumentation gesichert ist, können wir eine Hochrüstung und Militarisierung der Polizei, bei gleichzeitiger Ausweitung derer Befugnisse z.B. durch verschärfte Polizei- und Versammlungsgesetze beobachten.

Eine Kontrolle der Institution Polizei, die in einem Staat das Gewaltmonopol hat, scheint dabei nicht von Nöten. Wenn der Staat keine Verantwortung, wie zum Beispiel zur Dokumentation von Todesfällen und keine kritische Reflektion vornimmt, so ist die exklusive Logik keine Überraschung mehr. Wenn die Polizei sagt, sie ist ein Spiegel der Gesellschaft, so hat sie ebenso wie diese diskriminierende Tendenzen, die im schlimmsten Falle zum tot führen können. Die Mehrzahl der getöteten Menschen ist of color, migrantisiert, arm, oder/und in einer psychischen Notlage bzw. Ausnahmesituation.
Eine verstärkte Diversitfizierung von Beamt*innen ist in dieser Hinsicht keine Lösung, denn auch diskriminierte Menschen, sich nicht frei von der Fähigkeit andere zu diskriminieren oder zu unterdrücken.

Die polizeiliche Logik folgt einem Gut-Böse-Schema, bei dem die Polizei ersteinmal auf der guten Seite zu stehen scheint, da sie vom Staat legitimiert ist. Nur 2% der Fälle von Polizeigewalt landen vor Gericht, wiederum nur 2% davon werden verurteilt.

In Dortmund findet gerade ein Prozess gegen 5 der am Einsatz beteiligten Polizist*innen statt und dieser verläuft höchst fragwürdig:

-> Es wurde seitens des Gerichts keine Mühe unternommen, der Familie, welche als Nebenklage auftritt, das Erscheinen zu den Gerichtsterminen möglich zu machen, obwohl es ihnen ein dringenden Anliegen war. Die Familie hat einen Angehörigen verloren! Um die Anreise, Visumsangelegeneheiten, etc. mussten wir uns kümmern.
-> Die Haltung des Richters ist gegenüber den Angehörigen respektlos. Ihre Anwesenheit wird weder gewürdigt, noch wird an Stellen pausiert, an denen sie aus emotionalen Gründen nicht mehr folgen können. Für eine Schöffin wurde jedoch pausiert.
-> Die Beamt*innen wurden zu Anfang der Ermittlung von ihren Kolleg*innen in Recklinghausen als Zeug*innen, nicht beschuldigte vernommen, ob die Aussagen nun verwertet werden können, ist weiterhin unklar.
->  auf die Zeug*innen, die Mitarbeitenden der Jugendeinrichtung sowie eine weitere Zeugin wird im Prozess massiver Druck ausgeübt, während sich die Zeug*innen Polizei in den ersten Prozesstagen durch schweigen auszeichnete. Die Beamt*innen werden als Berufszeug*innen merklich stärker respektiert und es scheint ihnen mehr Glaubwürdigkeit geschenkt zu werden.
-> Das Beweismaterial wird nicht auf Bildschirmen gezeigt, sondern solche, die Befugt sind Einsicht zu haben, müssen sich dies am Richtertisch ansehen. Transparenz sieht anders aus.
-> Ein 50 Seitiges Dokument aus den Akten ist immer noch unauffindbar.
-> Es gibt starke Widersprüche in den Schilderungen der Polizei. Dinge die unmittelbar nach dem Einsatz nicht beschrieben werden können, scheinen nun klar.
-> Mouhamed wurde nach seinem Tod noch durch die Polizei angezeigt.

So sieht keine lückenlose Aufklärung, kein Problem- und Verantwortungsbewusstsein aus.

Die Familie wünschte sich eine Anerkennung, dass Mouhamed das Opfer war und Gerechtigkeit in dem Sinne, dass so etwas nicht mehr passiert. In dem stattfindenden Prozess wird es wohl kaum möglich sein, die Strukturen dahingehend zu transformieren.

Dafür braucht es ein Umdenken, eine Abkehr von der strafenden Logik der Polizei.
Es braucht niedrigschwellige Unterstützungsangebote für Menschen in Not- und Krisensituationen, finanzielle Unterstützung für Stadtteilarbeit und soziale Anlaufstellen, soziale Sicherheit, die nicht in Form von Tasern und Maschinenpistolen sondern mit Mitgefühl und Empathie kommt.
– Eine Demilitarisierung der Polizei! Taser sind tödliche Waffen.
– Eine Rücknahme der Polizeigesetze.
– Diskussionen zu Alternativen zur Polizei!

Schauen wir nicht weg, wenn Polizeigewalt passiert – No Justice, no Peace

Bericht vom 8. Prozesstag – 13.03.2024

Der 8. Prozesstag in Kürze:

Im folgenden Bericht werden Aspekte der Tat und Rassismus im Gericht benannt.

• Vernehmung weiterer Polizeizeug*innen: Kommissaranwärter*innen Lea B. (24) und Luca P. (22 Jahre). Für beide handelte es sich beim Einsatz gegen Mouhamed um einen ihrer ersten Einsätze der Ausbildung. Die Erinnerungen scheinen lückenhaft, zumindest an den entscheidenden Stellen. Herr P. sträubt sich unter Berufung auf seine kurze Berufserfahrung immer wieder dagegen, Einschätzungen zum Einsatz zu geben, verwickelt sich in Widersprüche – in seiner Befragung stellt sich heraus: Sein Vater, mit dem er ebenfalls „viel“ über den Einsatz sprach, ist Hundertschaftsführer bei der Dortmunder Polizei.
• P. bestätigt, dass Einsatzleiter Thorsten H. bei der Einsatzbesprechung alle Zwangsmittel anordnete und den Angeklagten zuwies. P. wies er an, einen Einsatzmehrzweckstock (Schlagstock) mitzunehmen – welcher aber nicht zum Einsatz kam.
• B. berichtet, dass die Angeklagte Jeanine Denise B. nur Sekunden, nachdem die Beamtinnen an ihrer Position in der Missundestraße ankamen, das Pfefferspray in Mouhameds Richtung entleerte.
• Im Gegensatz zum Polizisten Hassan A.R. am 7. Verhandlungstag ist P. sich sicher, dass das Pfefferspray Mouhamed erreichte, dieser „nass“ davon wurde. Er macht Angaben zu Mouhameds Lauf und der Haltung des Küchenmessers, wozu er noch in der Vernehmung kurz nach der Tat angab, nichts zu wissen.
• Zu den Schüssen sagt Luca P., er habe, als die Situation dynamisch wurde, „sich auf andere Kollegen verlassen“ und damit gerechnet, dass einer von ihnen schießen würde. Trotz seiner bis dahin kurzen Ausbildungszeit war auch er mit Pistole bewaffnet.
• Kommunikation über den Einsatz innerhalb der Dienstgruppe wird verlesen: In zwei Sprachnachrichten sagt die Angeklagte Pia B. kurz nach der Tat: „Aber man hätte ein paar Sachen anders machen können. Weiß nicht, ob er anders reagiert hätte. (…) Aber hätten wir das nicht eher statisch halten können?“ und: „Man muss am Ende hinterfragen: Hätte man das nicht statisch halten oder eine andere Taktik wählen können? Aber es macht sich keiner Sorgen, dass da die Rechtmäßigkeit in Frage gestellt wird.“ (Mitschrift aus dem Gerichtssaal)
• Widersprüche ergeben sich als nachgeharkt wird: Offensichtlich wurde viel innerhalb der Wache Nord über den Vorfall gesprochen, wie die Zeug*innen zu behaupten versuchen, jedoch nicht „inhaltlich“ oder „einsatztaktisch“ sondern nur zwecks emotionalem Support untereinander.
• Für die eingesetzten Beamt*innen wurde noch am selben Tag des Einsatzes ein PSU-Team (psychosoziale Unterstützung) angefordert.
• Zu seiner Ausbildung gibt Luca P. auf Nachfrage an, dass zum Thema psychischer Krankheiten theoretisch informiert, aber kein praktischer Umgang mit Menschen in psychischen Ausnahmesituationen gelehrt wurde.

Ausführlicher Bericht vom
8. Prozesstag:

Im folgenden Bericht werden Aspekte der Tat und Rassismus im Gericht benannt.

Zum heutigen Prozesstag findet erneut eine Mahnwache vor dem Landgericht statt und viele solidarische Menschen sind im Saal anwesend. Obwohl der Einlass mittlerweile schon gegen 8:15 beginnt, verzögert sich der Prozessstart durch intensive Einlasskontrollen auch weiterhin.
Heute wird mit der Vernehmung zweier weiterer Polizeizeug*innen im Prozess fortgefahren: den Kommissaranwärter*innen Lea B. (24 Jahre) und Luca P. (22 Jahre). Für beide handelte es sich beim Einsatz gegen Mouhamed um einen der ersten Praktikumseinsätze ihrer Polizeiausbildung. Die Erinnerungen beider sind eher lückenhaft. Richter Kelm reagiert auf die Erinnerungslücken verständnisvoll, indem er die Aufregung der Kommissaranwärter*innen betont. Wie auch bei vorherigen Polizeizeug*innen zeigt sich auch hier die unterschiedliche Behandlung von „Berufs“- und zivilen Zeug*innen.

Lea B. war am Einsatztag den Angeklagten Jeanine-Denise B. und Markus B. zugeteilt, kam mit ihnen im Streifenwagen am Einsatzort an und rannte nach der Einsatzbesprechung mit ihnen auf Position in die Missundestraße. Luca P. war den Angeklagten Fabian S. und Pia Katharina B. zugeteilt und befand sich mit ihnen im Innenhof. Polizist P. bestätigt, dass Einsatzleiter Thorsten H. alle später verwendeten Zwangsmittel anordnete und den Angeklagten zuwies. Herrn P. wies er an, einen Einsatzmehrzweckstock mitzunehmen – ein Mittel, das dann aber nicht zum Einsatz kam. Auf Nachfrage von Richter Kelm sagt Luca P. aus, dass keine Zweifel oder Einwände zum Einsatzplan oder den verwendeten Mitteln geäußert worden seien.

Lea B. berichtet, dass nur Sekunden, nachdem sie mit den beiden Angeklagten in der Missundestraße ankam, die Angeklagte Jeanine-Denise B. das Pfefferspray in Mouhameds Richtung entleerte. Im Gegensatz zur Aussage des Polizisten Hassan A.R. ist sich Luca P. sicher, dass das Pfefferspray Mouhamed erreichte und dieser davon „nass“ wurde. Er macht Angaben zu Mouhameds Lauf und der Haltung des Küchenmessers, wozu er aber in der Vernehmung kurz nach der Tat angab, nichts zu wissen.

Zu den Schüssen sagt Luca P., er habe sich, als die Situation dynamisch wurde, „auf andere Kollegen verlassen“ und damit gerechnet, dass eine*r von ihnen schießen würde. Die Befehle, die Einsatzleiter Thorsten H. im Moment der Fixierung rief, seien ausschließlich auf Deutsch und Englisch erfolgt – beides Sprachen, die Mouhamed bekanntermaßen nicht verstand.

Interne Kommunikation der Angeklagten nach dem Einsatz wird öffentlich

Lange bleibt in der Befragung unklar, ob es im Nachhinein Gespräche über Einsatz und Einsatztaktik innerhalb der Dienstgruppe gegeben hat. Die Nebenklage zweifelt daran, dass es, insbesondere auch mit den Anwärter*innen, keinerlei Gespräch darüber gegeben haben soll. Die Zeug*innen antworten ausweichend. Dann wird durch eine Vorhaltung der Nebenklage klar, dass es innerhalb einer Chatgruppe zwei Sprachnachrichten der Angeklagten Pia Katharina B. gab, in denen diese Zweifel an der Einsatztaktik, die sie hegt, den Kolleg*innen gegenüber äußert: „Aber man hätte ein paar Sachen anders machen können. Weiß nicht, ob er anders reagiert hätte. Der war psycho, keine Frage. Aber hätten wir das nicht eher statisch halten können?“ und: „Man muss am Ende hinterfragen: Hätte man das nicht statisch halten oder eine andere Taktik wählen können? Aber es macht sich keiner Sorgen, dass da die Rechtmäßigkeit in Frage gestellt wird.“ (Mitschrift aus dem Gerichtssaal)

Für die eingesetzten Beamt*innen wurde noch am Tag des Einsatzes ein PSU-Team (psychosoziale Unterstützung) angefordert.
Zu seiner Ausbildung sagt Herr P. auf Nachfrage, dass zum Thema psychische Krankheit zwar theoretisch informiert, aber kein praktischer Umgang mit Menschen in psychischen Ausnahmesituationen gelehrt wurde.

Rassistische Normen im Gerichtssaal

Schon bei vorherigen Aussagen wurde die mangelnde Deutschkenntnis von Zeug*innen zu deren Verunglaubwürdigung genutzt und immer wieder Personenbeschreibungen verwendet, die das Schwarzsein von Personen markieren, während die Hautfarbe weißer Menschen unmarkierte Norm bleibt. Auch heute sagt Luca P. zum Anblick der Schusswunden von Mouhamed, dass diese „quasi hautfarben“ aussahen. Damit meint er wohl nicht die Hautfarbe von Mouhamed, sondern die rosa Farbe von offenem Gewebe.
Normal ist im Gerichtssaal auch ein entpersonalisiertes Sprechen über die Tat. Heute etwa fällt erst mitten in der Befragung durch Prof. Feltes zum ersten Mal an diesem Prozesstag der Name Mouhamed, sonst wird über „den Geschädigten“ oder „den Betroffenen“ gesprochen. Auf die Simultan-Dolmetschung für die beiden Brüder Sidy und Lassana Dramé wird von Seiten der Kammer keine Rücksicht genommen.

Am Mittwoch, den 20. März, geht es ab 9:30 weiter mit der Befragung weiterer Polizeizeugen.
Wir freuen uns über solidarische Prozessbeobachter*innen sowie Teilnahme an unserer Mahnwache ab 7:30 vor dem Gericht (Kaiserstraße 34).

Radio Nordpol – Beitrag zum 8. Prozesstag

In diesem Beitrag spricht das Radio Nordpol mit Britta Rabe vom Grundrechte Komitee und mit Menschen von BackUp über den 8. Prozesstag, über Polizeigewalt in den letzten Jahren und die Auswirkungen von rassistischer Polizeigewalt bei der Wache Nord. Die Sendung wird mit einem kleinen Beitrag von Defund the Police Dortmund abgeschlossen, die nicht nur einen Einblick über die Wache Nord der letzten Jahre gibt, sondern auch über die aktuell geplanten Veränderungen der Wache Mord aufklärt.

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Tausend dank an das Radio Nordpol Team!