„Their names are whispered prayers in a land that would like to forget“


Pressemitteilung von der Demonstration am 14.12.2024

„Mouhamed – das war Mord“ skandierten etwa 1500 Menschen auf der Großdemo am 14. Dezember 2024 lautstark trotz eisiger Kälte und einer von der rechten Partei „Die Heimat“ angekündigten Demonstration in unmittelbarer Nähe. Zur Demonstration, die am Samstag in der Dortmunder Innenstadt gegenüber dem Hauptbahnhof startete, waren Menschen und Initiativen aus ganz Deutschland dem Aufruf des Solidaritätskreis Justice4Mouhamed gefolgt, um Mouhamed Lamine Dramé zu gedenken und um Gerechtigkeit für seinen Tod zu fordern. Am vorherigen Donnerstag wurden alle fünf angeklagten Polizist*innen, die an dem tödlichen Einsatz beteiligt waren, vor dem Dortmunder Landgericht freigesprochen.

„Wir möchten mit der Großdemonstration unsere Wut und unser Unverständnis über die Freisprüche vor dem Landgericht zum Ausdruck bringen“, so Anna Neumann, Pressesprecher*in des Solidaritätskreises Justice4Mouhamed im Vorfeld der Demonstration. „Das Urteil wird nicht dazu beitragen, tödliche Polizeieinsätze in Zukunft zu verhindern. Im Gegenteil, das Urteil ist ein Signal an die Polizei: Ihr könnt weitermachen wie bisher, für tödliche Schüsse drohen keine Konsequenzen“, ergänzt Britta Raabe vom Komitee für Grundrechte und Demokratie. „Daher ist es uns ein Anliegen mit der Demonstration weiterhin für Verantwortungsübernahme für Mouhameds Tod und die vielen anderen Polizeitoten zu kämpfen.“

Zum Auftakt der Veranstaltung sprach der Solidaritätskreis selbst, welcher die Brüder Mouhameds, Sidy und Lassana Dramé, zum ersten Mal auch persönlich auf einer Großdemonstration begrüßen konnte. Das Urteil hat gezeigt, dass durch strafrechtliche Verfahren keine Verantwortungsübernahme und Gerechtigkeit für tödliche Polizeigewalt hergestellt wird. Es zeigt die Notwendigkeit sich kollektiv für Selbstermächtigung zusammen zu schließen.

In sehr berührenden, kraftvollen Worten betonte eine Sprecherin der Black Community Coalition Hamburg die Macht, die von Schwarzen Menschen und Verbündeten ausgeht, um das koloniale, kapitalistische System zu überwinden: „We carry fire in our veins and it is time to burn. When we take our bodies back, our voices back, when we stand together and refuse to play their game – they crumble. […] It is time to dismantle the system. Actually not dismantle but break it down and burn it down.“

Der kämpferische Demonstrationszug setzte sich unter Trubel los, als die MLPD, trotz wiederholter Aufforderungen, ihre Parteifahnen nicht herunter nahmen. Sie reihten sich mit eigenem Lautsprecher in den Demonstrationszug ein. Nachdem ihnen ein Mikrofon von einer Person entwendet wurde, erstatteten sie Anzeige bei der Polizei – wohlgemerkt als Teilnehmer*innen auf einer Demonstration, die sich gegen Polizeigewalt und für das Aufbauen von Alternativen zu dieser, stark macht. Nichtsdestotrotz konnte die Demonstration weiter bis zum Zwischenkundgebungsort laufen, wo die Dortmunder Initiative Schlafen statt Strafen, ihre Rede hielt. Sie machten in ihrer Rede auf zwei weitere, seit 2022 durch die Dortmunder Polizei getöteten Menschen aufmerksam. Die beiden Todesopfer befanden sich ebenfalls in einer psychischen Ausnahmesituation und waren obdachlos. Tödliche Polizeigewalt ist nur die „Spitze des Eisbergs“ einer systematischen, strukturellen Gewalt, die schon viel früher beginnt – in der Stigmatisierung und Ausgrenzung mehrfachmarginalisierter Menschen und ihrer Vertreibung aus der Öffentlichkeit durch Gewalt.

Nicht nur nach Mouhameds Tod hielt die Polizei an der Erzählung fest, sie habe aus Notwehr gehandelt. Auch nachdem Amin F. 2022 von der Polizei im Frankfurter Bahnhofsviertel erschossen wurde, stellte die Staatsanwaltschaft das Verfahren mit dem Argument der Notwehr ein. „Nur wer den gesamten Kontext rassistischer Machtstrukturen ausblendet, kann auf die Idee kommen, dass sich Biriq, dass sich Mouhamed, Bilel oder so viele andere nur anders hätten verhalten müssen, um nicht Opfer brutaler Polizeigewalt zu werden“, resümiert der Solidaritätskreis Biriq, in ihrem Redebeitrag.

Für Aufruhr sorgte nicht nur das Verhalten der MLPD, welche, während Betroffene und Angehörige von Ermordeten sprachen, eigene Reden durch ihre Lautsprecher hielten, sondern auch die Polizei. Nach dem Ende der Zwischenkundgebung blockierte eine behelmte, mit Pfefferspray im Anschlag aufgestellte Reihe an Polizist*innen die vorausliegende Straße. Erst nach langen Diskussionen ließen sie den Demonstrationszug weiterziehen.

Dreiviertel aller von der Polizei getöteten Menschen befanden sich in einer psychischen Ausnahmesituation. Das sind keine tragischen Einzelfälle, sondern deutet auf ein strukturelles Problem hin. Studien zeigen, dass die Gefährlichkeit von Menschen mit psychischen Erkrankungen überschätzt werden. Die Wahrnehmung und Einschätzung von Gefahrenprognosen der Polizei in Einsätzen sind nicht wertneutral, sondern haben eben jenen bias. Auch in Bochum wurde vor kurzer Zeit eine Person in einer psychischen Ausnahmesituation von der Polizei getötet. Die Anti-Ableistische-Aktion leitet mit ihrem Redebeitrag die Abschlusskundgebung ein und machten ihren Kampf um Aufklärung und Gerechtigkeit für den Getöteten, sichtbar.

„Am 12.12. wurde Geschichte geschrieben,“ beginnt das Kollektiv Afrik ihren Redebeitrag, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Geschichten Schwarzer Menschen in NRW sichtbar zu machen. „Keine gute Geschichte, aber eine, die genau dafür steht – emotionale Kälte, Ungerechtigkeit und Ohnmacht!“ Das Urteil hat Wunden hinterlassen. Bei Familie Dramé und allen Menschen, die gemeinsam mit ihnen seit zwei Jahren unermüdlich für Gerechtigkeit gekämpft haben – in Andenken an Mouhamed, aber auch dafür, dass andere Schwarze (Jugendliche) sich sicher fühlen können, dass die Hautfarbe eines Menschen nicht über seinen Tod bestimmt und dass Menschen notwendige psychologische Unterstützung bekommen. „All diese Ziele hat der vorsitzende Richter mit seinem Urteil mit Füßen getreten.“ Das Urteil zeigt, dass von dem Staat keine Gerechtigkeit zu erwarten ist wenn seine Exekutive Gewalt ausübt. Wir schließen uns den Worten des Kollektivs an, dass die Hoffnung in den Menschen liegt, die zeigen, dass ihnen nicht egal ist, dass Mouhamed getötet wurde und die nicht damit einverstanden sind, dass niemand für seinen Tod zur Verantwortung gezogen wird.

Ein ganz besonderer Moment war es für Sidy und Lassana Dramé, gemeinsam mit Salio Mamadou, Bruder des Ermordeten Oury Jalloh, auf der Bühne zu stehen. Salio kämpft seit nunmehr 20 Jahren unermüdlich für Aufklärung und Sichtbarkeit für die Ermordung seines Bruders, der von Polizisten in Dessau in Gewahrsam in Brand gesetzt wurde. Am 07. Januar 2025 fand die 20. Großdemonstration in Dessau in Gedenken an Oury statt.

Der Kampf um Gerechtigkeit für Mouhamed und alle anderen Getöteten von der Polizei geht weiter. Mit den Freisprüchen der Angeklagten stehen eine ernsthafte Entschuldigung und Verantwortungsübernahme für das tödliche Verhalten weiterhin aus. Das Gericht hat festgehalten, dass Mouhamed kein Angreifer war. Doch es braucht auch eine Anerkennung, dass Mouhamed von der Polizei getötet wurde, obwohl es alternative Handlungsmöglichkeiten gab. Denn somit kann das Urteil als Signalwirkung unter Polizist*innen betrachtet werden: sie können konsequenzenlos schießen.

Der Kampf der Familie Dramé, des Solidaritätskreises Justice4Mouhamed sowie all der anderen Initiativen, für eine strukturelle Veränderung, die das tödliche Handeln der Polizei beenden kann, geht weiter. Um in den Worten des Kollektiv Afrik abzuschließen: „Lasst uns unsere Wut spüren. Sie nehmen und benutzen um dafür zu sorgen, dass es Gerechtigkeit geben wird. Wenn sie uns keine Gerechtigkeit bringen wollen, müssen wir sie uns eben holen. Wir dürfen nicht schweigen, nicht leise werden und nicht unseren Kopf einziehen. Wir müssen aufstehen, laut sein und schreien! Wir müssen Mouhameds Namen so laut schreien, dass er noch über Generationen zu hören ist und die Ungerechtigkeit des 12.12. übertönt. So laut, dass sein Name nie wieder vergessen wird!“

Demo 14.12.2024 – 13:12 Uhr

Mobimaterial zum Download unter dem Aufruf!

Aufruf zur Justice4Mouhamed Demonstration am 14.12.2024, um 13:12 Uhr, an den Katharinentreppen in Dortmund

Am 08.08.2024 stand in der Dortmunder Nordstadt die Zeit still. Mouhamed Lamine Dramé wurde von der Polizei erschossen, als er sich in einer psychischen Ausnahmesituation befand, in der er ein Messer gegen sich selbst richtete.

Wir, der Solidaritätskreis Justice4Mouhamed, rufen für den 14.12.2024 zu einer Demonstration auf und fordern weiterhin Gerechtigkeit für Mouhamed und alle von der Polizei getöteten. Gerechtigkeit und Wiedergutmachung, die nicht auf der Bestrafung Einzelner beruhen, können nicht vor Gericht hergestellt werden.  

Mouhamed Lamine Dramé!
Die Jugendhilfeeinrichtung kontaktierte die Polizei mit der Frage, ob sie dort an der richtigen Adresse sei. Die Polizei bejahte, wir bezweifeln es. Als Mouhamed nicht auf Ansprache reagierte, eskalierte die Polizei mit Pfefferspray die bis dahin statische Situation. Mouhamed erhob sich und suchte einen Ausweg aus der Nische, in der er war. Daraufhin wurde zweimal ein Taser und nur 0,7 Sekunden später eine Maschinenpistole gegen ihn eingesetzt. Fünf Schüsse trafen ihn, zwei davon tödlich. Anschließend übernahm die Polizei Recklinghausen die Ermittlungen gegen die Polizei Dortmund. Einen Tag zuvor war es umgekehrt, als im Kreis Recklinghausen ein Mann durch die Polizei sein Leben verlor, wurden die Ermittlungen von der Polizei Dortmund aufgenommen. Die Polizei ist eine Ordnungs- nicht Sicherheitsbehörde und hat im Staat das Gewaltmonopol inne. Wehrt ein Staat sich nicht gegen ihr Auftreten, so müssen solche tödlichen Einsätze als planmäßig betrachtet werden.


Kein Einzellfall!

Die Fachzeitschrift Cilip kam in einer aufwändigen Recherche zu dem Ergebnis, dass zwischen 2010 und 2022 insgesamt 133 Menschen von der Polizei erschossen wurden. Mehr als die Hälfte davon habe sich in einer psychischen Ausnahmesituation befunden. Ebenfalls vermehrt betroffen sind rassifizierte und obdachlose Menschen. Die Polizei weiß nicht, wie viele Menschen sie tötet, da sie keine Statistik dazu führt. Hier wird einmal mehr deutlich, dass die Polizei als auch der Staat kein Interesse an umfassender Aufklärung von Toden durch die Polizei haben.

Wir können eine Aufrüstung der Polizei beobachten. Ebenso kamen von FragDenStaat geleakte polizeiinterne Dokumente ans Licht, die aufforderten, die Polizei solle in ihrem Auftreten an Robustheit zulegen. An eine deeskalative, kommuniaktive Handlung wird dabei nicht gedacht.

Der Prozess
Die Staatsanwaltschaft erhob Anklage gegen fünf der zwölf am Einsatz beteiligten Beamt*innen. Seit Dezember 2023 wird vor Gericht verhandelt. Wir begrüßen den Prozess, denn nur 2% der angezeigten Polizist*innen müssen sich vor Gericht verantworten. Die Hoffnung des Solikreises bestand nicht in der Bestrafung der Beamt*innen, sondern in der Signalwirkung und dem Potenzial einer wachsenden, kritischen Öffentlichkeit im Kontext tödlicher Polizeieinsätze. Jedoch mussten wir 30 Prozesstage lang beobachten, wie der Richter würdelos mit den Angehörigen, aber verständnisvoll  mit der Polizei umging.  Der Schmerz der Familie Dramé findet vor Gericht keine Anerkennung. Die Prozessführung ist für sie retraumatisierend.

Die Vorstellung der Familie Dramé von Gerechtigkeit beinhaltet eine moralische Reparation. Das meint, dass Mouhamed als Opfer von tödlicher Polizeigewalt anerkannt wird. Seine Familie wünscht sich eine aufrichtige Entschuldigung seitens der Polizei für die Tötung. Mouhameds Angehörige kämpfen dafür, dass so etwas nie wieder passiert. Diesen Forderungen schließen wir uns unterstützend an und fordern Gerechtigkeit für Mouhamed und alle von der Polizei getöteten!

Was bedeutet für uns Gerechtigkeit?
Eine Verurteilung einzelner Polizist*innen wird weitere Tötungen durch die Polizei nicht verhindern, da die institutionelle Ebene, die polizeilichen Leitideen und Strukturen weiter bestehen bleiben. Mit individuellen Verurteilungen wird weder Sicherheit geschaffen, noch der strukturelle Rassismus der Polizei beendet.

Vor dem Hintergrund, dass überwiegend Menschen bei Polizeieinsätzen sterben, die sich in einer psychischen Ausnahmesituation befinden, migrantisiert sind oder von Wohnungslosigkeit und starker Armut betroffen sind, scheinen uns Strafe und Disziplinierung nicht als geeignete Mittel.

Gerechtigkeit zu schaffen, meint viel mehr einen aktiven Prozess, der bei gegenseitiger Hilfe, niedrigschwelligen Anlaufstellen sowie sozialen Unterstützungsangeboten, an Grundbedürfnissen und Problemlagen von Menschen, ansetzt.

Unsere Forderungen:

– Anerkennung, dass Mouhamed von der Polizei getötet wurde, obwohl es alternative Handlungsmöglichkeiten gab!
– Verantwortungsübernahme und Entschuldigung bei Mouhameds Familie
– Ausbau von niedrigschwelligen Angeboten und Anlaufstellen für Menschen in sozialen Not- und Krisensituationen
– Etablierung einer unabhängigen Beschwerde- und Kontrollinstanz gegenüber der Polizei
 – Rücknahme des Polizeigesetzes NRW und den Einsatz von Tasern. Taser sind tödliche Waffen!
– Kein Neubau der Wache Nord
– Diskussionen zu Alternativen der Polizei

NO JUSTICE – NO PEACE!
14.12.2024 – 13:12

Mobi Material zum Download:

Plakat, Flyer, Sticker & Sharepic (gemeinsamen Anreise)

  • Plakat (pdf):

  • Flyer (pdf):

  • Sticker (pdf):

  • Sharepic Demo:

  • Sharepic Gemeinsame Anreise: