Radio Nordpol – Beitrag zum 9. Prozesstag

Zum 9. Verhandlungstag hat das Radio Nordpol mit der Anwältin der Nebenklage Lisa Grüter, Britta Rabe vom Grundrechtekomitee und dem Solidaritätskreis Justice4Mouhamed gesprochen. Darüber hinaus geht es um die aktuelle Statistik von TOPA. Wir schauen polizeikritisch auf den Umgang der Cops mit Menschen in psychischen und psychosozialen Krisen und wie Alternativen zum Polizeinotruf aussehen können.

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Danke an das Radio Nordpol Team!

Bericht vom 9. Prozesstag – 20.03.2024

  1. Prozesstag in Kürze:
  • Vernehmung des letzten beteiligten Polizeizeugens: Christon S. (33) gehörte zur Vierergruppe der Zivilbeamten vor Ort. – Seine Aussage ähnelt inhaltlich allen bisher gehörten Polizeiaussagen. Laut ihm habe es vor dem Einsatz des Pfeffersprays eine Diskussion zwischen der Angeklagten Pia B. und Einsatzleiter Thorsten H. über einen möglichen Einsatz des Tasers gegeben. Daraufhin soll H. die Anordnung das RSG 8 (Pfefferspray) einzusetzen gegeben haben. Auch S. beschreibt die ruhige Auffindesituation Mouhameds, dieser sei „wie gefangen in Gedanken“ gewesen.

  • Wie andere zuvor schildert der Zeuge, sein Kollege Kevin S.F. habe sich „viel zu nah“ an Mouhamed heranbegeben. Man sei jedoch „in erster Instanz nicht davon ausgegangen, dass er uns was wollte“. Da Mouhamed auf ihre Anrufungen nicht reagierte sei die Situation immer bedrohlicher geworden, es sei darum gegangen, „die Maßnahme durchzuziehen“, aus polizeilicher Sicht sei „eine Person mit Messer eine Bedrohung an sich“.
  • S. gibt an, dass aus seiner Erfahrung mit „Messertätern“ der Einsatz von Pfefferspray sinnvoll sei, um eine Selbstverletzung der Person zu verhindern und gleichzeitig eine „Entwaffnung“ erzielen zu können. Damit begründet und legitimiert er auch 1,5 Jahre später noch den Einsatz des Pfeffersprays als „mildestes Mittel“.

  • Der Polizeisprech im Gerichtssaal hinterlässt Fragezeichen: Mehrfach spricht Christon S. davon, Mouhamed sei bei der Erstversorgung „wehrig“ gewesen – gleich zweimal beschreibt er seinen Todeskampf als „Gas geben im RTW“. Richter Kelm greift dies auf, beschreibt Mouhamed gar als „renitent“. Auf Nachfrage ergänzt der Zeuge, dass er „überrascht“ war später von Mouhameds Tod zu erfahren, habe sich dieser doch im RTW und Schockraum noch „agil“ verhalten.

  • Verteidiger Brögeler gibt nach der Befragung eine Prozesserklärung ab und offenbart damit eine mögliche Verteidigungsstrategie: In der Anklageschrift werde von einer statischen Lage gesprochen, die hätte gehalten werden können. Man müsse jedoch mal die „Perspektive wechseln“, Zu Beginn sei es eine solche gewesen, doch hätte diese jederzeit kippen können. Nicht wegen eines Angriffs Mouhameds, sondern dadurch, „dass er sich das Messer in den Bauch rammen könnte“. Das hätte zur Ungewissheit bei den Beamten geführt, ob die statische Lage in eine dynamische umkippt – schließlich wären die Beamt*innen auch verpflichtet gewesen, Mouhamed „helfen zu müssen“.

  • Die Verteidiger von Thorsten H. und Markus B. geben an, am 17.04. eine Einlassung (Stellungnahme der Angeklagten) abzugeben. Die Verteidigung des Schützen Fabian S. will diese abwarten und daraufhin entscheiden, ob sie sich auch äußern wollen.

    Am Mittwoch, den 03. April, geht es ab 9:30 Uhr weiter mit der Befragung der RTW Sanitäter*innen. Wir freuen uns über solidarische Prozessbeobachter*innen (Eingang Hamburger Straße 11) sowie Teilnahme an unserer Mahnwache ab 7:30 vor dem Gericht (Kaiserstraße 34).

Ausführlicher Bericht von 9. Prozesstag:

Zum heutigen Prozesstag findet erneut eine Mahnwache vor dem Landgericht statt und einige solidarische Menschen sind im Saal anwesend. Aufgrund von Verzögerungen bei der Einlasskontrolle beginnt der Prozesstag verspätet um 9:40 Uhr.

Zum heutigen Prozesstermin ist der letzte Polizist als Zeuge geladen, welcher bei dem Einsatz mit vor Ort war. Christon S. (33) war zum damaligen Zeitpunkt als Zivilbeamter mit seiner Einsatzleiterin Sandra K. in einem Zivilwagen in der Nordstadt unterwegs, als sie die Anordnung erhielten zu „Aufklärungszwecken“ in die Holsteinerstraße zu fahren. Vor Ort begleitete er die weiteren Kollegen in Zivil, Kevin S.F. und Max P. in den Innenhof und unternimmt dort die ersten Anrufungsversuche an Mouhamed durch „Hey“- Rufe und Pfiffe.

Sie seien vor Ort gewesen, um Mouhamed zu helfen

Die Aussagen von S. zum Tatgeschehen unterscheiden sich inhaltlich nicht wesentlich von den bisher gehörten Aussagen der anderen Polizeibeamt*innen. Auch er beschreibt die Situation zu Beginn als ruhig. Mouhamed habe abwesend, „wie gefangen in Gedanken“ gewirkt.

Daraufhin bringt S. jedoch ein bisher unbekanntes Detail des Tatgeschehens zur Sprache. Laut ihm habe es vor dem Einsatz des Pfeffersprays eine Diskussion zwischen der Angeklagten Pia B. und Einsatzleiter Thorsten H. über einen möglichen Einsatz des Tasers gegeben. B. habe ein freies Schussfeld gehabt, doch H. wies an das Pfefferspray einzusetzen, „um Verletzungen zu vermeiden„. Bei einer Taserabgabe bestünde, laut S., eine erhöhte Gefahr der unbeabsichtigten Selbstverletzung für Mouhamed, durch das Messer in seiner Hand. Diese Aussage und die Betonung der Bemühungen, um eine Selbstverletzung Mouhameds zu vermeiden reiht sich in das Narrativ ein, welches S. in seiner weiteren Befragung verfolgt – sie seien in erster Linie vor Ort gewesen, um Mouhamed zu helfen. Damit begründet er auch, dass sich sein Kollege Kevin S.F., wie er selbst sagt „viel zu nah“ an Mouhamed heranbegeben habe. Man sei jedoch „in erster Instanz nicht davon ausgegangen, dass er uns was wollte“. Erstmal sei es ihnen darum gegangen Mouhamed aus seinen Gedanken zu reißen und einen Zugang zu ihm zu bekommen. Da dieser auf ihre Anrufungen nicht reagierte habe der Zeuge „immer mehr ein schlechtes Bauchgefühl“ bekommen und die Situation sei bedrohlicher geworden. Denn ihm sei bewusst gewesen, dass Mouhamed noch das Messer in der Hand habe, sie zu nah dran seien und sie „seine Gedanken nicht lesen konnten„. Auf den Einwand des Staatsanwalt Domberts, für ihn klinge das eher wie Ratlosigkeit seitens des Zeugen als nach einer Bedrohung, entgegnete S., es sei darum gegangen,die Maßnahme durchzuziehen. Aus polizeilicher Sicht sei „eine Person mit Messer eine Bedrohung an sich“.

Der Pfeffersprayeinsatz wird als „mildestes Mittel“ legitimiert

S. gibt auf Nachfrage des Verteidigers Bögeler an, dass aus seiner Erfahrung mit „Messertätern“ der Einsatz von Pfefferspray sinnvoll sei, um einerseits eine Selbstverletzung der Person zu verhindern und gleichzeitig eine „Entwaffnung“ erzielen zu können. Denn in seiner Erfahrung haben diese oft die Hände vors Gesicht gehalten um das Pfefferspray abzuwenden und dadurch das Messer fallen gelassen.

Darüber hinaus sei er auch nicht über den Zeitpunkt des Einsatzes von Pfefferspray erstaunt gewesen. Denn man habe jederzeit damit rechnen müssen, dass Mouhamed sich selbst verletzt und deshalb sei Pfefferspray als das „mildeste der vorhandenen Mittel“ geeignet, um eine Person abzulenken oder zu überraschen. Damit begründet und legitimiert er auch 1,5 Jahre später noch den Einsatz des Pfeffersprays als „mildestes Mittel“.

Der Zaun sei überwindbar gewesen für Mouhamed

Der Zeuge unterstreicht das Narrativ der Bedrohungslage für die Polizei mit der Aussage Mouhamed hätte auch über den 1.70m hohen Zaun vor ihm springen können. Er selbst sei bei einem Polizeieinsatz mehrere Jahre zuvor über denselben Zaun gesprungen, das sei kein Problem. Auf die ungläubige Nachfrage des Richters, Mouhamed hätte das wohl nicht unter fünf Sekunden (in der Zeitspanne nach dem Pfefferspray und vor dem Tasereinsatz und den Schüssen) geschafft, entgegnete der Zeuge: „bin ich auch schon„.

Der Polizeisprech im Gerichtssaal hinterlässt Fragezeichen: Mehrfach spricht Christon S. davon, Mouhamed seibei der Erstversorgung „wehrig“ gewesen – gleich zweimal beschreibt er seinen Todeskampf alsGas geben im RTW. Richter Kelm greift dies auf, beschreibt Mouhamed gar als „renitent“. Auf Nachfrage ergänzt der Zeuge, dass er „überrascht“ war später von Mouhameds Tod zu erfahren, habe sich dieser doch im RTW und Schockraum noch „agil“ verhalten.

Prozesserklärung durch Verteidiger Brögeler

Verteidiger Brögeler gibt nach der Befragung eine Prozesserklärung ab und offenbart damit eine mögliche Verteidigungsstrategie: In der Anklageschrift werde von einer statischen Lage gesprochen, die hätte gehalten werden können. Man müsse jedoch mal die „Perspektive wechseln„. Zu Beginn sei es eine solche gewesen, doch hätte diese jederzeit kippen können. Nicht wegen eines Angriffs Mouhameds auf die Polizei, sondern dadurch, „dass er sich das Messer in den Bauch rammen könnte„. Das hätte zur Ungewissheit bei den Beamten geführt, ob die statische Lage in eine dynamische umkippt – schließlich wären die Beamt*innen auch verpflichtet gewesen Mouhamed „helfen zu müssen“.

Der nächste Prozesstermin ist am 03.04. um 9:30 Uhr (Eingang Hamburger Straße 11). Wir werden ab 7:30 Uhr mit einer Mahnwache vor dem Landgericht solidarisch unterstützen. Es werden die ersten Sanitäter*innen des RTWs aussagen.

Redebeitrag: Internationaler Tag gegen Polizeigewalt

Der Redebeitrag als Audio-Datei:

Liebe Demonstrierende, Gefährt*innen, Freund*innen,

Der Solidaritätskreis Justice4Mouhamed sendet euch zum internationalen Tag gegen Polizeigewalt solidarische, wütende, trauernde und kämpferische Grüße aus Dortmund.

Wir haben unsere Arbeit begonnen, nachdem der Jugendliche Mouhamed Lamine Dramé, am 8. August 2022, von der Dortmunder Polizei, durch die Schüsse einer Maschinenpistole getötet wurde, nachdem zweimal ein Taser und eine Flasche Pfefferspay gegen ihn eingesetzt wurden,  während er sich in einer psychischen Notlage befand und keine Gefahr für dritte darstellte.

Leider ist dieses traurige Ereignis kein Einzelfall. Jedes Jahr sterben Menschen in Händen der Polizei oder durch ihre Einwirkungen.

Heute, aber nicht nur heute, am 15.03. – dem internationalen Tag gegen Polizeigewalt – möchten wir erinnern, denn die getöteten Menschen haben Namen und Geschichten, die sie mit anderen Menschen verbinden. Dem entgegen steht die erschreckende Tendenz der Vertuschung, denn noch immer gibt es keine offiziellen Dokumentationen und nicht bei allen getöteten ist der Name bekannt. Ein Beispiel dafür ist der tödliche Einsatz am 19.10.22, ebenfalls in Dortmund, bei dem ein Wohnungsloser starb, nachdem ein Taser eingesetzt wurde.

Während noch nicht einmal eine offizielle Dokumentation gesichert ist, können wir eine Hochrüstung und Militarisierung der Polizei, bei gleichzeitiger Ausweitung derer Befugnisse z.B. durch verschärfte Polizei- und Versammlungsgesetze beobachten.

Eine Kontrolle der Institution Polizei, die in einem Staat das Gewaltmonopol hat, scheint dabei nicht von Nöten. Wenn der Staat keine Verantwortung, wie zum Beispiel zur Dokumentation von Todesfällen und keine kritische Reflektion vornimmt, so ist die exklusive Logik keine Überraschung mehr. Wenn die Polizei sagt, sie ist ein Spiegel der Gesellschaft, so hat sie ebenso wie diese diskriminierende Tendenzen, die im schlimmsten Falle zum tot führen können. Die Mehrzahl der getöteten Menschen ist of color, migrantisiert, arm, oder/und in einer psychischen Notlage bzw. Ausnahmesituation.
Eine verstärkte Diversitfizierung von Beamt*innen ist in dieser Hinsicht keine Lösung, denn auch diskriminierte Menschen, sich nicht frei von der Fähigkeit andere zu diskriminieren oder zu unterdrücken.

Die polizeiliche Logik folgt einem Gut-Böse-Schema, bei dem die Polizei ersteinmal auf der guten Seite zu stehen scheint, da sie vom Staat legitimiert ist. Nur 2% der Fälle von Polizeigewalt landen vor Gericht, wiederum nur 2% davon werden verurteilt.

In Dortmund findet gerade ein Prozess gegen 5 der am Einsatz beteiligten Polizist*innen statt und dieser verläuft höchst fragwürdig:

-> Es wurde seitens des Gerichts keine Mühe unternommen, der Familie, welche als Nebenklage auftritt, das Erscheinen zu den Gerichtsterminen möglich zu machen, obwohl es ihnen ein dringenden Anliegen war. Die Familie hat einen Angehörigen verloren! Um die Anreise, Visumsangelegeneheiten, etc. mussten wir uns kümmern.
-> Die Haltung des Richters ist gegenüber den Angehörigen respektlos. Ihre Anwesenheit wird weder gewürdigt, noch wird an Stellen pausiert, an denen sie aus emotionalen Gründen nicht mehr folgen können. Für eine Schöffin wurde jedoch pausiert.
-> Die Beamt*innen wurden zu Anfang der Ermittlung von ihren Kolleg*innen in Recklinghausen als Zeug*innen, nicht beschuldigte vernommen, ob die Aussagen nun verwertet werden können, ist weiterhin unklar.
->  auf die Zeug*innen, die Mitarbeitenden der Jugendeinrichtung sowie eine weitere Zeugin wird im Prozess massiver Druck ausgeübt, während sich die Zeug*innen Polizei in den ersten Prozesstagen durch schweigen auszeichnete. Die Beamt*innen werden als Berufszeug*innen merklich stärker respektiert und es scheint ihnen mehr Glaubwürdigkeit geschenkt zu werden.
-> Das Beweismaterial wird nicht auf Bildschirmen gezeigt, sondern solche, die Befugt sind Einsicht zu haben, müssen sich dies am Richtertisch ansehen. Transparenz sieht anders aus.
-> Ein 50 Seitiges Dokument aus den Akten ist immer noch unauffindbar.
-> Es gibt starke Widersprüche in den Schilderungen der Polizei. Dinge die unmittelbar nach dem Einsatz nicht beschrieben werden können, scheinen nun klar.
-> Mouhamed wurde nach seinem Tod noch durch die Polizei angezeigt.

So sieht keine lückenlose Aufklärung, kein Problem- und Verantwortungsbewusstsein aus.

Die Familie wünschte sich eine Anerkennung, dass Mouhamed das Opfer war und Gerechtigkeit in dem Sinne, dass so etwas nicht mehr passiert. In dem stattfindenden Prozess wird es wohl kaum möglich sein, die Strukturen dahingehend zu transformieren.

Dafür braucht es ein Umdenken, eine Abkehr von der strafenden Logik der Polizei.
Es braucht niedrigschwellige Unterstützungsangebote für Menschen in Not- und Krisensituationen, finanzielle Unterstützung für Stadtteilarbeit und soziale Anlaufstellen, soziale Sicherheit, die nicht in Form von Tasern und Maschinenpistolen sondern mit Mitgefühl und Empathie kommt.
– Eine Demilitarisierung der Polizei! Taser sind tödliche Waffen.
– Eine Rücknahme der Polizeigesetze.
– Diskussionen zu Alternativen zur Polizei!

Schauen wir nicht weg, wenn Polizeigewalt passiert – No Justice, no Peace

Bericht vom 8. Prozesstag – 13.03.2024

Der 8. Prozesstag in Kürze:

Im folgenden Bericht werden Aspekte der Tat und Rassismus im Gericht benannt.

• Vernehmung weiterer Polizeizeug*innen: Kommissaranwärter*innen Lea B. (24) und Luca P. (22 Jahre). Für beide handelte es sich beim Einsatz gegen Mouhamed um einen ihrer ersten Einsätze der Ausbildung. Die Erinnerungen scheinen lückenhaft, zumindest an den entscheidenden Stellen. Herr P. sträubt sich unter Berufung auf seine kurze Berufserfahrung immer wieder dagegen, Einschätzungen zum Einsatz zu geben, verwickelt sich in Widersprüche – in seiner Befragung stellt sich heraus: Sein Vater, mit dem er ebenfalls „viel“ über den Einsatz sprach, ist Hundertschaftsführer bei der Dortmunder Polizei.
• P. bestätigt, dass Einsatzleiter Thorsten H. bei der Einsatzbesprechung alle Zwangsmittel anordnete und den Angeklagten zuwies. P. wies er an, einen Einsatzmehrzweckstock (Schlagstock) mitzunehmen – welcher aber nicht zum Einsatz kam.
• B. berichtet, dass die Angeklagte Jeanine Denise B. nur Sekunden, nachdem die Beamtinnen an ihrer Position in der Missundestraße ankamen, das Pfefferspray in Mouhameds Richtung entleerte.
• Im Gegensatz zum Polizisten Hassan A.R. am 7. Verhandlungstag ist P. sich sicher, dass das Pfefferspray Mouhamed erreichte, dieser „nass“ davon wurde. Er macht Angaben zu Mouhameds Lauf und der Haltung des Küchenmessers, wozu er noch in der Vernehmung kurz nach der Tat angab, nichts zu wissen.
• Zu den Schüssen sagt Luca P., er habe, als die Situation dynamisch wurde, „sich auf andere Kollegen verlassen“ und damit gerechnet, dass einer von ihnen schießen würde. Trotz seiner bis dahin kurzen Ausbildungszeit war auch er mit Pistole bewaffnet.
• Kommunikation über den Einsatz innerhalb der Dienstgruppe wird verlesen: In zwei Sprachnachrichten sagt die Angeklagte Pia B. kurz nach der Tat: „Aber man hätte ein paar Sachen anders machen können. Weiß nicht, ob er anders reagiert hätte. (…) Aber hätten wir das nicht eher statisch halten können?“ und: „Man muss am Ende hinterfragen: Hätte man das nicht statisch halten oder eine andere Taktik wählen können? Aber es macht sich keiner Sorgen, dass da die Rechtmäßigkeit in Frage gestellt wird.“ (Mitschrift aus dem Gerichtssaal)
• Widersprüche ergeben sich als nachgeharkt wird: Offensichtlich wurde viel innerhalb der Wache Nord über den Vorfall gesprochen, wie die Zeug*innen zu behaupten versuchen, jedoch nicht „inhaltlich“ oder „einsatztaktisch“ sondern nur zwecks emotionalem Support untereinander.
• Für die eingesetzten Beamt*innen wurde noch am selben Tag des Einsatzes ein PSU-Team (psychosoziale Unterstützung) angefordert.
• Zu seiner Ausbildung gibt Luca P. auf Nachfrage an, dass zum Thema psychischer Krankheiten theoretisch informiert, aber kein praktischer Umgang mit Menschen in psychischen Ausnahmesituationen gelehrt wurde.

Ausführlicher Bericht vom
8. Prozesstag:

Im folgenden Bericht werden Aspekte der Tat und Rassismus im Gericht benannt.

Zum heutigen Prozesstag findet erneut eine Mahnwache vor dem Landgericht statt und viele solidarische Menschen sind im Saal anwesend. Obwohl der Einlass mittlerweile schon gegen 8:15 beginnt, verzögert sich der Prozessstart durch intensive Einlasskontrollen auch weiterhin.
Heute wird mit der Vernehmung zweier weiterer Polizeizeug*innen im Prozess fortgefahren: den Kommissaranwärter*innen Lea B. (24 Jahre) und Luca P. (22 Jahre). Für beide handelte es sich beim Einsatz gegen Mouhamed um einen der ersten Praktikumseinsätze ihrer Polizeiausbildung. Die Erinnerungen beider sind eher lückenhaft. Richter Kelm reagiert auf die Erinnerungslücken verständnisvoll, indem er die Aufregung der Kommissaranwärter*innen betont. Wie auch bei vorherigen Polizeizeug*innen zeigt sich auch hier die unterschiedliche Behandlung von „Berufs“- und zivilen Zeug*innen.

Lea B. war am Einsatztag den Angeklagten Jeanine-Denise B. und Markus B. zugeteilt, kam mit ihnen im Streifenwagen am Einsatzort an und rannte nach der Einsatzbesprechung mit ihnen auf Position in die Missundestraße. Luca P. war den Angeklagten Fabian S. und Pia Katharina B. zugeteilt und befand sich mit ihnen im Innenhof. Polizist P. bestätigt, dass Einsatzleiter Thorsten H. alle später verwendeten Zwangsmittel anordnete und den Angeklagten zuwies. Herrn P. wies er an, einen Einsatzmehrzweckstock mitzunehmen – ein Mittel, das dann aber nicht zum Einsatz kam. Auf Nachfrage von Richter Kelm sagt Luca P. aus, dass keine Zweifel oder Einwände zum Einsatzplan oder den verwendeten Mitteln geäußert worden seien.

Lea B. berichtet, dass nur Sekunden, nachdem sie mit den beiden Angeklagten in der Missundestraße ankam, die Angeklagte Jeanine-Denise B. das Pfefferspray in Mouhameds Richtung entleerte. Im Gegensatz zur Aussage des Polizisten Hassan A.R. ist sich Luca P. sicher, dass das Pfefferspray Mouhamed erreichte und dieser davon „nass“ wurde. Er macht Angaben zu Mouhameds Lauf und der Haltung des Küchenmessers, wozu er aber in der Vernehmung kurz nach der Tat angab, nichts zu wissen.

Zu den Schüssen sagt Luca P., er habe sich, als die Situation dynamisch wurde, „auf andere Kollegen verlassen“ und damit gerechnet, dass eine*r von ihnen schießen würde. Die Befehle, die Einsatzleiter Thorsten H. im Moment der Fixierung rief, seien ausschließlich auf Deutsch und Englisch erfolgt – beides Sprachen, die Mouhamed bekanntermaßen nicht verstand.

Interne Kommunikation der Angeklagten nach dem Einsatz wird öffentlich

Lange bleibt in der Befragung unklar, ob es im Nachhinein Gespräche über Einsatz und Einsatztaktik innerhalb der Dienstgruppe gegeben hat. Die Nebenklage zweifelt daran, dass es, insbesondere auch mit den Anwärter*innen, keinerlei Gespräch darüber gegeben haben soll. Die Zeug*innen antworten ausweichend. Dann wird durch eine Vorhaltung der Nebenklage klar, dass es innerhalb einer Chatgruppe zwei Sprachnachrichten der Angeklagten Pia Katharina B. gab, in denen diese Zweifel an der Einsatztaktik, die sie hegt, den Kolleg*innen gegenüber äußert: „Aber man hätte ein paar Sachen anders machen können. Weiß nicht, ob er anders reagiert hätte. Der war psycho, keine Frage. Aber hätten wir das nicht eher statisch halten können?“ und: „Man muss am Ende hinterfragen: Hätte man das nicht statisch halten oder eine andere Taktik wählen können? Aber es macht sich keiner Sorgen, dass da die Rechtmäßigkeit in Frage gestellt wird.“ (Mitschrift aus dem Gerichtssaal)

Für die eingesetzten Beamt*innen wurde noch am Tag des Einsatzes ein PSU-Team (psychosoziale Unterstützung) angefordert.
Zu seiner Ausbildung sagt Herr P. auf Nachfrage, dass zum Thema psychische Krankheit zwar theoretisch informiert, aber kein praktischer Umgang mit Menschen in psychischen Ausnahmesituationen gelehrt wurde.

Rassistische Normen im Gerichtssaal

Schon bei vorherigen Aussagen wurde die mangelnde Deutschkenntnis von Zeug*innen zu deren Verunglaubwürdigung genutzt und immer wieder Personenbeschreibungen verwendet, die das Schwarzsein von Personen markieren, während die Hautfarbe weißer Menschen unmarkierte Norm bleibt. Auch heute sagt Luca P. zum Anblick der Schusswunden von Mouhamed, dass diese „quasi hautfarben“ aussahen. Damit meint er wohl nicht die Hautfarbe von Mouhamed, sondern die rosa Farbe von offenem Gewebe.
Normal ist im Gerichtssaal auch ein entpersonalisiertes Sprechen über die Tat. Heute etwa fällt erst mitten in der Befragung durch Prof. Feltes zum ersten Mal an diesem Prozesstag der Name Mouhamed, sonst wird über „den Geschädigten“ oder „den Betroffenen“ gesprochen. Auf die Simultan-Dolmetschung für die beiden Brüder Sidy und Lassana Dramé wird von Seiten der Kammer keine Rücksicht genommen.

Am Mittwoch, den 20. März, geht es ab 9:30 weiter mit der Befragung weiterer Polizeizeugen.
Wir freuen uns über solidarische Prozessbeobachter*innen sowie Teilnahme an unserer Mahnwache ab 7:30 vor dem Gericht (Kaiserstraße 34).

Radio Nordpol – Beitrag zum 8. Prozesstag

In diesem Beitrag spricht das Radio Nordpol mit Britta Rabe vom Grundrechte Komitee und mit Menschen von BackUp über den 8. Prozesstag, über Polizeigewalt in den letzten Jahren und die Auswirkungen von rassistischer Polizeigewalt bei der Wache Nord. Die Sendung wird mit einem kleinen Beitrag von Defund the Police Dortmund abgeschlossen, die nicht nur einen Einblick über die Wache Nord der letzten Jahre gibt, sondern auch über die aktuell geplanten Veränderungen der Wache Mord aufklärt.

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Tausend dank an das Radio Nordpol Team!

Radio Nordpol – Beitrag zum 7. Prozesstag

Für die Dokumentation und Einschätzung des siebten Prozesstages hat das Radio Nordpol Team mit der Anwältin der Nebenklage Lisa Grüter, Alex vom Solidaritätskreis Justice4Mouhamed, einem freien Journalisten, NSU Watch und dem Grundrechtkomitee gesprochen. Darüber hinaus kommen erstmals die Brüder von Mouhamed, Sidy und Lassana Dramé zu Wort und berichten, wie sie den Prozess in Dortmund erleben.

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Bericht vom 7. Prozesstag – 06.03.2024

Der 7. Prozesstag in Kürze:

  • Vernehmung zwei weiterer Polizeizeug*innen: Es bestätigt sich, dass kein Waffeneinsatz (Pfefferspray, Taser, MP5) gegen Mouhamed angedroht wurde.
  • Hassan A.R. (damals Beamter der uniformierten Dienstgruppe) will sich heute erinnern können, wie Mouhamed das Messer beim Laufen hielt, führt dies lebhaft im Saal vor. In seiner polizeilichen Vernehmung kurz nach der Tat gab er noch an, hierzu nichts zu wissen. Weiter behauptet er, sein Weggang aus der Wache Nord nach dem 8. August 2022 habe nichts mit dem Einsatz zu tun – Chatnachrichten kurz nach der Tat belegen das Gegenteil.
  • Hassan A.R. verteidigt vor Gericht vehement den Einsatz von Schusswaffen in „Messerlagen“ und sagt: “Hätte [Fabian S.] nicht geschossen, hätte ich geschossen.” Alle bisherigen Polizei-Zeug*innen scheinen weiterhin überzeugt, dass ihr Handeln richtig war. Der Zeuge beschreibt die Einsatzlogik folgendermaßen: „Eigen- und Fremdgefährdung neutralisieren“.
    Dies zeigt: Es muss nicht nur darum gehen, ob die Polizei legal gehandelt hat, sondern vielmehr auch, Polizeitaktiken und -ausbildung zu hinterfragen.
  • Wieder wird berichtet, dass Mouhamed, getroffen von den Schüssen, vom Einsatzleiter H. mit dem Fuß fixiert, gefesselt und “weggezogen” wurde, um das Messer zu finden – erst danach sei er versorgt worden.
  • Dass Mouhamed nach den Schüssen versuchte, die Arme unter seinen Körper zu bewegen, wird als „bedrohlicher“ Versuch dargestellt, aufzustehen oder das Messer zu greifen – auf Rückfrage kann selbst A.R nicht ausschließen, dass Mouhamed hingegen vor Schmerzen Richtung Unterbauch und Schritt fasste, wo er vom Taser und Schüssen getroffen wurden.
  • Die Polizistin Sandra K., Leiterin der zivilen Sondereinheit der Wache Nord, hat noch am Tattag um 18:22, eine „umfangreiche Anzeige“ (StA Dombert) wegen Bedrohung gegen Mouhamed aufgenommen. Zu diesem Zeitpunkt war er nachweislich bereits verstorben.
    Sie berichtet, dies mit dem Einsatzleiter Thorsten H. sowie der Kripo Recklinghausen
    abgesprochen zu haben. In der Befragung entstehen Unklarheiten bzgl. vier verschiedener Versionen der Anzeige im Polizeicomputer.
  • Umgang mit Familie Dramé: Nachdem die Anwesenheit der Brüder Sidy und Lassana bisher in keiner Weise gewürdigt wurde, steht auch nicht zur Debatte, den Prozess zu pausieren, als erst Sidy und später auch Lassana, mit Tränen in den Augen den Saal verlassen. Eine Begleitung aus dem Publikum darf nicht mitgehen, sondern muss durch den Besucher*inneneingang ums gesamte Gebäude laufen, um ihnen beizustehen. Beim Hustenanfall einer Schöffin hingegen wird der gesamte Prozess einige Minuten pausiert.

Ausführlicher Bericht vom
7. Prozesstag:

Im folgenden Bericht werden Aspekte der Tat beschrieben.

Heute werden zwei weitere Polizeizeug*innen befragt: Der in der Nordstadt eingesetzte Polizist Hassan A.R. (31 Jahre) sowie Sandra K. (47 Jahre), Leiterin der zivilen Einsatztruppe in der Dortmunder Nordstadt. Beide waren am Einsatz am 8. August 2022 gegen Mouhamed Lamine Dramé beteiligt. Sie sind nahe Kolleg*innen der Einheit von Einsatzleiter Thorsten H. auf der Wache Nord.

Aussagen teils widersprüchlich

Der erste Zeuge des Tages, Herr A.R., bestätigt noch einmal, dass den Einsatzkräften sowohl die Information über eine potentielle suizidale Situation, Mouhameds Alter als auch seine Sprachkenntnisse bekannt waren. Er bestätigt auch, dass kein Waffeneinsatz (Pfeffer, Taser, MP5) gegen Mouhamed angedroht wurde.
A.R. scheint sich, im Gegensatz zu allen bisher gehörten Aussagen, sicher zu sein, dass Mouhamed die Situation um sich herum mitbekam, macht dies daran fest, dass er gesehen haben will, wie Mouhamed das gegen sich gerichtete Messer zwei- bis dreimal aus der Hand zu fallen drohte, er dieses dann aber wieder fester gegriffen haben soll. Außerdem besteht der Zeuge darauf, dass das erste angewendete Zwangsmittel, eine Flasche Pfefferspray, Mouhamed nicht direkt getroffen haben soll – sondern sich nieselnd etwas links neben ihm ergoss. Andere Unstimmigkeiten in seiner Aussage fallen auf: A.R. will sich heute erinnern können, wie Mouhamed das Messer beim Laufen hielt, führt dies im Saal vor. In seiner polizeilichen Vernehmung kurz nach der Tat gab er noch an, hierzu nichts zu wissen. Weiter behauptet er, sein Weggang aus der Wache Nord nach dem 8. August 2022 habe nichts mit dem Einsatz am 8. August zu tun – ihm von der Nebenklage vorgehaltene Chatnachrichten von ihm unter seinem Spitznamen „Apache“ an seine Kolleg*innen kurz nach der Tat belegen das Gegenteil.

Noch immer von Einsatztaktik überzeugt

Zur Frage nach der Anwendung von Zwangsmitteln im Einsatz sagt A.R. aus, dass es nicht notwendig sei, im Einsatz noch einen Befehl durch den Einsatzleiter abzuwarten – in “für Leib und Leben” bedrohlichen Situationen obliege es der Einschätzung der einzelnen Beamt*in, ein Zwangsmittel einzsuetzen. Dies gelte auch für die MP5, von der seit Juli 2018 in NRW jeweils zwei in jedem Funkstreifenwagen der Polizei mitgeführt werden[i], sofern die Einsatzleitung die Mitnahme zu einem Einsatzort angeordnet hat.
A.R. verteidigt in seiner Aussage außerdem vehement den Einsatz von Schusswaffen in „Messerlagen“ und sagt: “Hätte [Fabian S.] nicht geschossen, hätte ich geschossen.” Wie alle anderen bisherigen Polizeizeug*innen vertritt auch er weiterhin überzeugt, dass ihr Handeln gegenüber Mouhamed richtig und alternativlos gewesen sei.
Den Einsatz von Tasern betrachtet A.R. explizit als kein angebrachtes Mittel in “Messerlagen”. Auf Rückfragen fällt es ihm allerdings schwer, eine “Messerlage” zu definieren. Auch zur Frage nach den Richtlinien und Bestimmungen zum Einsatz von Tasern kann er nicht antworten.
Zur Frage, warum die Bodycams der Beamt*innen beim Einsatz nicht eingeschaltet waren, antwortet A.R., dass dies bei Einsätzen, die psychisch kranke Personen involvieren, ebenso wie in Privaträumen nicht zulässig sei. Auf Rückfrage der Nebenklage, ob er für eine solche Einschätzung qualifiziert sei, kann er nicht antworten.
Herr A.R. bestätigt dann auch, dass Mouhamed, getroffen von den Schüssen, vom Einsatzleiter H. mit einem Fuß fixiert, gefesselt und “weggezogen” wurde, um das Messer zu finden.

Dass Mouhamed sich nach den Schüssen am Boden bewegte und versuchte, die Arme unter seinen Körper zu ziehen, wird als „bedrohlicher“ Versuch dargestellt, aufzustehen oder nach dem Messer zu greifen – auf Rückfrage kann A.R aber nicht ausschließen, dass Mouhamed sich hingegen vor Schmerzen wand und versuchte, Richtung Unterbauch und Schritt zu fassen, wo er kurz zuvor von Taser und Schüssen getroffen wurde.

Die Polizistin Sandra K., Leiterin der zivilen Sondereinheit der Wache Nord, hat noch am Tattag um 18:22 eine „umfangreiche Anzeige“ (StA Dombert) wegen Bedrohung gegen Mouhamed aufgenommen. Zu diesem Zeitpunkt war Mouhamed nachweislich bereits verstorben. Dies war Sandra K. bei Abschluss der Anzeige auch bekannt. Die Anzeige soll dann der Informierung der Polizei Recklinghausen gedient haben, die ab da standardmäßig eine Ermittlung aufnahm.

Weiterhin geht die Kammer mit Polizeizeug*innen sichtlich anders um als mit den vorherigen zivilen Zeug*innen – die Fragen ähneln oft eher einer gemeinsamen Abstimmung als einer Überprüfung ihrer Glaubwürdigkeit. Eine Antwort von Sandra K. zur Position auf Lichtbildern beantwortet Richter Kelm etwa mit: „Richtig!“.

Anwesenheit der Familie als Nebenklage geringgeschätzt

Der Umgang der Kammer mit der Familie Dramé sowie ihren rechtlichen Vertreter*innen RA Grüter und Prof. Feltes ist weiterhin von Respektlosigkeit geprägt. Nachdem die Anwesenheit der Brüder Sidy und Lassana Dramé bisher in keiner Weise gewürdigt wurde, steht auch nicht zur Debatte, den Prozess zu pausieren, als erst Sidy und später auch Lassana mit Tränen in den Augen den Saal verlassen. Eine Begleitung aus dem Publikum darf nicht mitgehen, sondern muss durch den Besuchereingang ums gesamte Gebäude laufen, um ihnen beizustehen. Beim Hustenanfall einer Schöffin hingegen wird der gesamte Prozess einige Minuten pausiert.

Am Mittwoch, den 13. März, geht es ab 9:30 weiter mit der Befragung weiterer Polizeizeugen.

Wir freuen uns über solidarische Prozessbeobachter*innen sowie Teilnahme an unserer Mahnwache ab 7:30 vor dem Gericht (Kaiserstraße 34).


[i]https://www1.wdr.de/nachrichten/landespolitik/maschinenpistolen-polizei-nrw-100.html

Bericht vom 6. Prozesstag – 28.02.2024

Der 6. Prozesstag in Kürze:

Im folgenden Text werden Aspekte der Tat konkret beschrieben.

  • Erste Befragungen von Polizisten, zwei Angehörigen der Sondereinheit in der Nordwache, die überwiegend verdeckt/zivil in der Nordstadt eingesetzt sind. Die beiden waren am 8.8.22 zuerst am Einsatzort und sprachen Mouhamed an.
  • Aussageverhalten polizeilicher Zeug*innen ist merklich anders als das bisher gehörter ziviler Zeug*innen. Während die zivilen Zeug*innen weitere empathische Perspektiven auf die Tat und teils eigene Betroffenheiten widerspiegelten, führen die Polizist*innen polizeiliches Sprechen und Denken vor.
  • Beispiele: Freier Bericht zu Beginn wirkt wie auswendig gelernt, spätere Detailfragen werden hingegen teils ausweichend beantwortet – meistgenutztes Wort dabei: „Negativ.“ Auch die Kammer verhält sich – gemäß dem Dogma „polizeilicher Berufszeugen“ – Beamten gegenüber völlig anders, es gibt keine Versuche der Verunglaubwürdigung oder Verunsicherung, ungenaue Aussagen werden als Schätzfehler akzeptiert.
  • In den Aussagen wird wieder deutlich: Mouhamed wirkte teilnahmslos, reagierte nicht auf Ansprache, wurde selbst von den Zivis in erster Linie als Bedrohung für sich selbst wahrgenommen.
  • Weder die Zivilpolizisten noch die Uniformierten gaben sich als Beamte zu erkennen, der Einsatz von Waffen ist laut Aussagen nicht – zumal nicht in einer Mouhamed verständlichen Sprache – angedroht worden.
  • Erst durch den Pfeffersprayeinsatz wurde die ruhige Lage umgehend dynamisch.
  • Die sog. „7-Meter-Regel“ aus der Polizeiausbildung kommt zur Sprache: Bei Unterschreitung von 7m in einer „Messerlage“ sei die Schusswaffe „die Option“. Auch 1,5 Jahre später fallen den befragten Beamt*innen keine anderen Handlungsmöglichkeiten ein.
  • Polizei unterschritt diese Regel, widerspricht sich dabei in der propagierten „Gefahrenlage“: Der Zivilpolizist Kevin S. ging bei seiner Ansprache – ähnlich wie zuvor die Mitarbeitenden der Einrichtung – auf nur etwa eineinhalb Meter Abstand zu Mouhamed in die Hocke, musste vor dem Pfeffersprayeinsatz erst aus dem Wirkungsbereich zurückbeordert werden.
  • Leiter der Dienstgruppe auf der Nordwache und Einsatzleiter am 08.08.22 Thorsten H. hat ebenfalls mit seiner Dienstwaffe auf Mouhamed gezielt, während er Einsatzbefehle verteilte.
  • Die Aufstellung der Polizist*innen positionierte Mouhamed in einer Sackgasse.
  • Polizeiliche Einsatzlogik, die sprachlos macht: Nach den Schüssen, als sich Mouhamed unter Schmerzen auf dem Boden wand, wurde er mit Knien auf seinen Schultern fixiert und noch mit Handschellen gefesselt. Polizeilicher Fokus weiterhin: Die Suche nach dem Messer. Mouhamed wurde zu diesem Zweck sogar angehoben und mindestens einige Meter weggetragen.
  • Der Zivilpolizist Max P. resümiert den Einsatz folgendermaßen: „Letztendlich wurde die Gefahr abgewehrt – keine anderen Personen kamen zu Schaden. […] Der Einsatz ist abgearbeitet worden, wie er abgearbeitet werden konnte“ – und das, wo doch seine Kolleg*innen den Jugendlichen tödlich verletzten.
  • Nach dem Einsatz sei allen beteiligten Polizist*innen „unwohl“ gewesen, gesprochen hätten alle miteinander über den Vorfall – mit wem und über was, konnten oder wollten die Zeugen jedoch nicht erinnern. Nachfragen von Staatsanwaltschaft und Nebenklage thematisieren Whatsappkommunikationen untereinander, diese scheinen noch prozessrelevant werden zu können.
  • Beschwerden wirken: Richter Kelm zeigt erstmals Lichtbilder auf dem Bildschirm, sodass alle Prozessbeteiligten, Presse und Zuschauer*innen das Geschehen mitverfolgen können.

Ausführlicher Bericht vom
6. Prozesstag:

Im folgenden Text werden Aspekte der Tat konkret beschrieben.

Wir waren am 28. Februar wieder mit vielen solidarischen Begleiter*innen ab 7:30 mit einer Mahnwache und in der Warteschlange vorm Eingang zum Gerichtssaal präsent.

Heute wurden die ersten beiden am Einsatz beteiligten Polizisten befragt, die beiden nicht angeklagten Zivilpolizisten der Wache Nord, die am 8. August 2022 zuerst den Einsatzort betraten. Herr P. (30 Jahre) und Herr S. (31 Jahre) arbeiten beide seit 2020 im Einsatztrupp Nord der Wache Nord, und sind hauptsächlich zu zweit in Zivil im Bereich des Nordmarkts eingesetzt und dort häufig mit Fahrrädern und Skateboard „zur Bekämpfung der örtlichen Drogenumschlagkriminalität“ vor Ort.

Umgang mit Polizeizeugen unterscheidet sich fundamental von dem mit zivilen Zeug*innen

Während beider Befragungen fällt auf: Das Aussageverhalten der Polizisten ist völlig anders als das der bisher gehörten zivilen Zeugen – der freie Bericht zu Beginn der Aussage wirkt wie auswendig gelernt, sodass selbst der Richter ihn als „strukturiert“ kommentiert und wiederholt nachgefragt wird, ob beide Zeugen ihre Erstaussagen noch einmal studiert hätten. Spätere Detailfragen wiederum werden teils ausweichend beantwortet. Auch die Kammer verhält sich – gemäß dem Dogma von „Berufszeugen“ – den Polizeizeugen gegenüber völlig anders als den zivilen Zeug*innen, es gibt keine Versuche der Verunglaubwürdigung oder Verunsicherung, ungenaue Aussagen werden als Schätzfehler akzeptiert.

Erstmals Einblick in Lichtbilder

Nach Beschwerden der Presse zeigt Richter Kelm heute erstmals Lichtbilder aus der Akte auf dem großen Bildschirm im Saal, sodass alle Prozessbeteiligten, Presse und Zuschauer*innen das Geschehen mitverfolgen können. Bilder des Tatorts werden gezeigt, auf denen beide Zeugen die Position der Personen vor Ort anzeigen, außerdem Bilder des eingesetzten RSG8 (Pfefferspray), des Distanzelektroimpulsgeräts DEIG (Taser) sowie der Maschinenpistole MP5.
Die Nebenklage fordert darüber hinaus wiederholt die Verwendung der vom LKA angefertigten 3D-Bilder, Verteidiger Brögeler schießt weiter dagegen.

Schnelle Eskalation in dynamische Situation

In den Aussagen der beiden Zeugen wird noch einmal klar: Mouhamed wirkte teilnahmslos, reagierte nicht auf Ansprachen. Auf die Frage, ob Mouhamed zum Zeitpunkt der Ansprache auf den Polizisten S. bedrohlich wirkte, antwortet dieser: „Bedrohlich für sich selbst“ – und ergänzt schnell: „und für uns, weil wir auch in der Situation waren.“
Auch bestätigen beide Zeugen, sich nicht als Beamte zu erkennen gegeben zu haben, denn sie haben „oft die Erfahrung gemacht, dass Personen nicht positiv auf die Polizei reagieren“. Es sei durch Herrn S., in zivil gekleidet, eine Ansprache in Dauer weniger Minuten auf Spanisch erfolgt.

Die Aufstellung der Polizist*innen positionierte Mouhamed in einer Sackgasse.
Der anschließende Einsatz von Zwangsmitteln durch die Beamten in Uniform ist laut beider Aussagen nicht – zumal nicht in einer Mouhamed verständlichen Sprache – angekündigt oder angedroht worden.
Erst durch den Pfeffersprayeinsatz wurde die ruhige Lage laut Aussage umgehend dynamisch. Warum in dieser Situation überhaupt Pfefferspray eingesetzt wurde, habe der Zeuge S. nicht verstanden, sich dabei aber auch nichts weiter gedacht und dies auch nicht hinterfragt.
Der Zeuge P. argumentiert, eine Dringlichkeit zu handeln habe sich aus der Selbstgefährdung von Mouhamed ergeben: „Man kann ja nicht dabei zusehen, wie sich jemand suizidiert.“ Faktoren wie die Dauer, über die Mouhamed sich schon in dieser Lage befand, oder seine Reglosigkeit über den gesamten beobachteten Zeitraum hinweg scheinen für diese Einschätzung allerdings nicht in Betracht gezogen worden zu sein.

Einsatz der Schusswaffe

Es kommt die 7-Meter-Regel aus der Polizeiausbildung zur Sprache, nach der Beamte sich „Messertätern“ nicht weiter als sieben Meter näher sollen. Unterschreite eine angreifende Person diese, sei die Schusswaffe „die Option“. Hier handelte es sich aber gar nicht um einen Messerangriff – dass keine Fremdgefährdung bestand, unterstreicht auch, dass nur wenige Minuten vor den Schüssen der Zivilpolizist S. – ähnlich wie zuvor die Mitarbeitenden der Einrichtung – auf nur etwa eineinhalb Meter Abstand zu Mouhamed in die Hocke ging.

Bei der Richtlinie gäbe es keine vorgegebene Schusszahl, es ginge um „Wirkungstreffer“. Inwiefern die fünf Schüsse hier verhältnismäßig waren, und ob statt den Schüssen auch Distanz zu Mouhamed hätte aufgebaut werden können, bleibt ungeklärt.
Nach den Schüssen sei Mouhamed nach vorn gefallen, dann noch gefesselt worden, wobei Einsatzleiter H. Mouhameds rechte Schulter mit seinem Knie fixiert haben soll. Beim Fesseln habe es „Probleme“ gegeben, da Mouhamed sich unkoordiniert bewegt hätte, was der Polizist P. als Widerstandshandlung beschreibt. Auf Rückfrage des Staatsanwalts Carsten Dombert könne es sich dabei aber auch um ein Winden vor Schmerzen gehandelt haben.

„Für uns war das Hauptproblem, dass wir zu dem Zeitpunkt das Messer noch nicht gefunden hatten.“

Sehr deutlich werden in beiden Aussagen Aspekte polizeiliche Einsatzlogik: So zeigt etwa der Umstand, dass Mouhamed, als er nach den Schüssen am Boden lag, noch gefesselt wurde, dass er auch nach den Schüssen noch als Aggressor betrachtet wurde. Mehrere Polizist*innen suchten derweil weiter nach dem Küchenmesser als „gefährlicher Tatwaffe“, völlig ungeachtet der Lage, dass der vermeintliche „Täter“ zu diesem Zeitpunkt wohl schon im Sterben lag. Herr P. hierzu: „Für uns war das Hauptproblem, dass wir zu dem Zeitpunkt das Messer noch nicht gefunden hatten.“ Mouhamed wurde zwecks Suche nach dem Messer sogar in seinen Fesseln angehoben und mindestens einige Meter weggetragen.
Der Polizist P. resümiert den Einsatz so: „Letztendlich wurde die Gefahr abgewehrt – es ist niemand mit dem Messer verletzt worden“ – nachdem seine Kolleg*innen den Jugendlichen tödlich verletzt hatten.

Nach dem Einsatz sei aber allen beteiligten Polizist*innen „unwohl“ gewesen. Gesprochen hätten alle miteinander über den Vorfall – mit wem und über was, konnten oder wollten die Zeugen jedoch nicht erinnern. Nachfragen von Staatsanwaltschaft und Nebenklage thematisieren Whatsapp-Kommunikation untereinander, diese scheinen noch prozessrelevant werden zu können.

Auch ein Gespräch zwischen Polizeipräsident Gregor Lange, allen am Einsatz Beteiligten und scheinbar weiteren Mitarbeitenden der Wache Nord wenige Tage nach der Tat wird thematisiert. In diesem sei es laut Zeugen nur um die Zusicherung „allgemeiner Unterstützung“ gegangen, an weiteres können sie sich nicht erinnern.

Es geht weiter nächsten Mittwoch, den 6. März, ab 7:30 mit einer Mahnwache vor der Kaiserstraße 34 und um 9:30 mit dem Prozess (Eingang Hamburger Straße 11).

Radio Nordpol – Beitrag zum 6. Prozesstag

In dem Beitrag zum sechsten Prozesstag (28.02) hat das Radio Nordpol mit
der Anwältin der Nebenklage Lisa Grüter, zwei Vertreter*innen von Backup,
Alex vom Solidaritätskreis Justice4Mouhamed und dem freien Journalisten Frido
über den Prozess gesprochen. Außerdem wurde mit William Dountio vom Solidaritätskreis Justice4Mouhamed über die Wahrnehmung des Prozesses für die Brüder Sidy und Lassana Dramé und überhaupt für Schwarze Menschen gesprochen.

Hier klicken, um den Inhalt von radio.nrdpl.org anzuzeigen

Bericht vom 5. Prozesstag – 21.02.2024

Der fünfte Prozesstag in Kürze:

Hinweis zum Inhalt: In diesem Text werden Aspekte der Tat beschrieben.

  • 4 Zeug*innen aus der Jugendhilfeeinrichtung werden (weiter) befragt.
  • Die Mitarbeiterin Frau A. beschreibt, dass Mouhamed sich während der Ansprache durch die Mitarbeitenden etwas entspannt habe und das an den Oberkörper gehaltene Messer senkte. Die spätere Ansprache der Polizei beschreibt sie als zu kurz.
  • Der Zeuge Herr P. gibt wieder an, Mouhamed habe nicht aggressiv gewirkt, sondern abwesend, in sich ruhend, “als wäre er in seinem eigenen Kopf”. Er gibt auch an, den Befehl “Vorrücken, einpfeffern, das volle Programm, die ganze Flasche” gehört zu haben, ebenso steht es im verlesenen Funkverkehr. Der Zeuge habe dann beobachtet, wie Mouhamed nach dem Einsatz des Pfeffersprays aus der Ecke herausgekommen und langsamen Schrittes und mit seitlich des Körpers herunterhängenden Armen auf die Polizeibeamten zugegangen sei. Seine Bewegung beschreibt Herr P. als “desorientiert, nicht zielorientiert”.
  • Verteidiger Brögeler setzt zur Verunglaubwürdigung aller zivilen Zeug*innen an, indem er (vermeintliche) Widersprüche in deren Aussagen kontrastiert. Dies scheint eine Vorbereitung darauf zu sein, die folgenden Polizeizeug*innen als “Berufszeug*innen”als einzig wirklich verlässliche Aussagende zu etablieren.
  • Anträge der Nebenklage, z.B. zur Hinzuziehung von Materialien aus der Akte wie 3D-Bilder des Tatorts, werden unter ausbleibender Unterstützung der Staatsanwaltschaft wiederholt von der Kammer abgeblockt, diesmal auch mit Gerichtsbeschluss.
  • Ab dem nächsten Prozesstermin sagen weitere beteiligte Polizist*innen als Zeug*innen aus. Die Kammer terminiert die Prozesstermine bis September 2024.
  • Nächster Termin: Mittwoch, 28. Februar, um 9:30 (Hamburger Straße 11) / Mahnwache ab 7:30, Kaiserstraße 34. Kommt hin!

Ausführlicher Bericht vom 5. Prozesstag

Hinweis: In diesem Text werden Aspekte der Tat beschrieben.

Der fünfte Prozesstag beginnt wieder mit einer Mahnwache des Solikreises vor dem Haupteingang des Landgerichts sowie langem Warten vor dem Extraeingang für Besucher*innen auf dessen Rückseite. Erfreulich: Viele solidarische Menschen kommen weiterhin und füllen mit uns die ersten Reihen im Saal.

Wegen ausführlichen Kontrollen mit Blicken in Portemonnaies, Schreibhefte und Bonbonschachteln verzögert sich der Prozessstart erneut um eine halbe Stunde bis 10:00 Uhr. Dies merkt Oberstaatsanwalt Dombert noch vor Beginn kritisch an, weist die Kammer sowie Justizbeamt*innen an, den Einlass ab jetzt eine Stunde früher zu beginnen. Die Justizbeamten geben an, dies nach Möglichkeit umzusetzen.

Die Brüder Mouhameds Sidy und Lassana Dramé sind heute bereits das dritte Mal zugegen und freuen sich erklärtermaßen, bei den für sie anstrengenden Prozesstagen von vielen solidarischen Menschen begleitet zu werden.

Heute sind vier Zeug*innen geladen, zwei von ihnen wurden bereits am dritten Prozesstag (17.01.2024) gehört.  Alle vier sind Mitarbeitende der Jugendhilfeeinrichtung St. Antonius und waren beim Polizeieinsatz im Innenhof der Wohngruppe zugegen. Ihre Aussagen waren bereits während der staatsanwaltschaftlichen Ermittlung wichtig und sind nun im Prozess wohl zentral – sind sie doch die einzigen (unabhängigen) Augenzeug*innen der Geschehnisse neben den am Einsatz beteiligten Polizist*innen.

Fortsetzung der Aussagen zweier Sozialarbeiter vom 17.01.2024

Zuerst wird der Zeuge G., sozialpädagogischer Leiter der Wohngruppe, noch einmal in den Zeugenstand gerufen, um Bilder und Asservate anzusehen, von denen Teile am dritten Prozesstag nicht auffindbar waren. Anschließend folgen letzte Fragen verschiedener Prozessbeteiligter.
Nebenklagevertreter Prof. Thomas Feltes beantragt zum Zweck der Befragung von G., die von der Recklinghäuser Mordkommission „Holstein“ beim LKA beauftragten 3D-Bilder des Tatorts zu zeigen. Die Nebenklage gibt an, dass Zeug*innen so besser die Standorte der Anwesenden im Innenhof bestimmen könnten, als auf den ausgedruckten und vorgehaltenen 2D-Ausdrucken von Tatortfotos. Nach ausbleibender Unterstützung der Staatsanwaltschaft und Widerspruch seitens der Verteidiger lehnt Richter Kelm den Beweisantrag ab. Begründung: Nicht alles, was sich in der Akte befinde, müsse auch vor Gericht verwendet werden. Wenn sich später eine Verwendung der Bilder als notwendig herausstelle, müssten Zeug*innen eben noch einmal geladen werden. Die Fragen, welche die Nebenklage auf Basis der 3D-Bilder an den Zeugen hätten, können so heute nicht gestellt werden.
G. wird nach nur zehnminütiger Befragung unvereidigt entlassen.

Dann wird der ehemalige Mitarbeiter der Einrichtung, Zeuge P., aufgerufen. Seine Zeugenaussage musste im Januar wegen emotionaler Belastungen und fehlender Sensibilität seitens des Gerichts im Verlauf seiner Befragung unterbrochen werden. P. darf heute eine ihn unterstützende psychosoziale Prozessbegleitung mitbringen – auch wenn sich Richter Kelm vor dem Eintreten der Beiden bemüßigt sieht mitzuteilen, dass eine solche Begleitung prozessual „nur bei Opfern“ vorgesehen sei, der Zeuge P. die Begleitung also eigenständig organisieren und finanzieren musste.
Die Befragung wird zunächst durch die Staatsanwaltschaft fortgesetzt. Erneut entsteht heute bei allen Zeug*innen, teils mehrfach, die Situation, dass sie zum Richtertisch gerufen und dort von Prozessbeteiligten umringt werden, die ihrer Aussage folgen wollen. Bis zu 15 Personen stehen dabei um Kelm und die Zeug*innen herum, während sie Positionen auf Ausdrucken auf dem Richtertisch anzeigen sollen. Dieses Vorgehen stellt nicht nur eine bedrängende Situation für die Zeug*innen her und geht eventuell auf Kosten der Präzision ihrer Aussagen, sondern macht auch das Prozessgeschehen in diesen Momenten für Presse und Beobachter*innen nicht nachvollziehbar und eine simultane Übersetzung für die Brüder Mouhameds unmöglich.
Als die Nebenklage den Zeugen befragen darf, will Prof. Feltes wieder Abbildungen aus dem Sonderheft der Akte hinzuziehen. Dies wird erneut abgelehnt, Prof. Feltes fordert nun jedoch einen formalen Gerichtsbeschluss hierfür, den die Kammer nach kurzer Beratung tätigt.
In der Befragung durch RAin Lisa Grüter für die Nebenklage beschreibt P. den Nachmittag des 8. August erneut eindringlich. Mouhamed habe nicht aggressiv gewirkt, sondern abwesend, in sich ruhend, “als wäre er in seinem eigenen Kopf”.
Er gibt auch an, den Befehl “Vorrücken, Einpfeffern, das volle Programm, die ganze Flasche” gehört zu haben. Auf Nachfrage gibt er an, in keiner der beiden Einsatzbesprechungen sei das Hinzuziehen einer psychologisch geschulten Kraft oder anderer Polizeieinheiten erwähnt worden. Der Zeuge habe dann beobachtet, wie Mouhamed nach dem Einsatz des Pfeffersprays aus der Ecke herausgekommen und langsamen Schrittes und mit seitlich am Körper herunterhängenden Armen auf die Polizeibeamten zugegangen sei. Seine Bewegung beschreibt P. als „desorientiert, nicht zielorientiert”, gibt auf Nachfrage an, die Arme und Schultern gesehen zu haben, während die Hände und das Messer durch den am Tatort abgestellten Smart verdeckt gewesen seien.
Der Zeuge wird um kurz vor 11:00 Uhr unvereidigt entlassen und verlässt sichtlich erleichtert den Saal.

Im Anschluss erhebt RA Brögeler, der die wegen des Pfeffersprayeinsatzes angeklagte Polizistin Jeannine Denise B. verteidigt, für eine Prozesserklärung das Wort. Eindeutig prozesstaktisch platziert, angesichts des zuvor Gehörten trägt er vor: „Eindrucksvoll“ hätten die Aussagen „belegt“, dass der Zeugenbeweis „der unsicherste Beweis sei, den der Strafprozess kennt”.
Anschließend seziert er etwaige Widersprüche in Aussagen der Zeugen G. und P. – vergisst oder unterschlägt dabei selbst andere Teile der Aussagen. Während der Zeuge P. von langsamen Gehen berichtet habe, habe Herr G. von schnellem Rennen gesprochen. Solch gegensätzliche Wahrnehmungen würden, laut Brögeler, keinerlei valide Rückschlüsse für das Gericht zulassen. Einordnung: Der Zeuge G. sagte am dritten Verhandlungstag, explizit auf ein möglicherweise von ihm beobachtetes „Rennen“ Mouhameds angesprochen: „Das habe ich nicht gesehen“. Als Antwort auf einen späteren Aktenvorhalt mit jener Formulierung in der Polizeivernehmung antwortete G. am 17.01, dass dies scheinbar falsch protokolliert worden sei.

Richter Kelm reagiert knapp auf die Einlassungen des RA Brögelers und kommentiert, dass ja noch reichlich andere Zeug*innen folgen würden.

Zwei weitere am Tatort anwesende Mitarbeitende sagen aus

Es folgt die Befragung des Erziehers Herrn W., welcher von den wenigen Tagen berichtet, die Mouhamed in der Einrichtung (über)lebte, nachdem er erst Anfang August dort einzogen war. Er berichtet, dass Mouhamed sichtlich traumatisiert gewirkt und er mit Google-Translate darüber mit ihm bruchstückhaft kommuniziert habe, weil Mouhamed kein Deutsch verstanden habe. Lediglich auf Französisch und Wolof sei eine Kommunikation mit ihm richtig möglich gewesen. Weiter erzählt W. von der Situation in der Nacht vom 6. auf den 7. August, als er Dienst hatte: Mouhamed habe gesagt, er „könne hier nicht bleiben“. Die Verständigung sei nicht einfach gewesen, aber sie hätten einzelne Sätze über eine Übersetzungsapp auf Französisch und Deutsch ausgetauscht. Er fühle sich einsam, ihm fehle ein Ansprechpartner, habe Mouhamed gesagt und auch, dass er am liebsten in den Senegal zurückkehren wolle. Er habe seine Tasche gepackt und sich nicht davon abbringen lassen, schließlich die Einrichtung zu verlassen.

Unverzüglich habe man dann eine Vermisstenmeldung aufgegeben, später habe sich herausgestellt, dass Mouhamed von der Polizei zur psychiatrischen LWL-Klinik in Dortmund Aplerbeck gebracht worden sei, wo ein Dolmetscher hinzugezogen wurde. Erst habe die Klinik keine Einzelheiten berichten wollen. Als von Mouhamed hierfür ein Einverständnis gegeben worden sei, seien sie schließlich gegen 0:00 Uhr über seine Situation informiert worden. Nach seiner Rückkehr in die Einrichtung sei es ihm nicht gut gegangen. Am 8. August gegen 16 Uhr hätten dann Anwohnende die Einrichtung über einen in der Ecke des Grundstücks sitzenden Jungen informiert. Wie die bisherigen Zeugen beschreibt W. die erfolglosen Versuche einer Kommunikation mit Mouhamed und die Entscheidung die Polizei zu informieren.
Den dann folgenden Polizeieinsatz konnte der Zeuge W. beobachten, weil er ebenfalls im Hof der Einrichtung stand. Auch er schildert wie alle bisherigen Zeug*innen die Ansprechversuche der zivilen Einsatzkräfte, das dann folgende Heranrücken und Umstellen Mouhameds durch uniformierte Polizist*innen und den Einsatz des Pfeffersprays. Er habe Mouhamed danach  „in schneller Bewegung” aus der umstellten Nische herauskommen sehen, die Arme dabei nicht erhoben, sondern seitlich angewinkelt „wie beim Rennen“. Alles sei unglaublich schnell gegangen, dann habe er fünf bis sechs Schüsse in „sehr schneller“ Abfolge gehört, Mouhamed sei vor dem Smart zu Boden gegangen, er habe ihn dort blutend wahrgenommen.
Spätere Nachfragen der Nebenklage ergeben, dass Herr W. die Laufgeschwindigkeit und Körperhaltung Mouhameds vor den Schüssen höchstens über eine Strecke von zwei Metern beobachten konnte – da der Smart sein Sichtfeld beschränkte. Mit Blick auf die örtlichen Begebenheiten des Tatorts und etwaige Blickwinkel und -möglichkeiten ist nun vielfach die Position der Zeug*innen, des Smarts, der Zäune und Wände sowie verschiedener Sträucher von Relevanz – immer wieder werden Positionierungen und Markierungen auf Aktenfotos erwähnt. Herr W. muss im Verlauf seiner Aussage mehrfach aufstehen und diese am Richtertisch Kelms bestätigen. Was jedoch dahingehend gesagt und vor allem gezeigt wird, geht an Presse und Zusehenden weiterhin vorbei. Den Abstand von Mouhamed zu den Beamten nach deren Aufstellung im Hof und vor der Schussabgabe schätzt W. auf Nachfrage auf 4-5 Meter.

Herr W. wird schlussendlich nach fast einstündiger Befragung um kurz vor 12:00 Uhr unvereidigt entlassen.

Zuletzt wird die Sozialarbeiterin Frau A. befragt. Richter Kelm adressiert unmittelbar „Schwierigkeiten”, die es in der dreistündigen Polizeiaussage von Frau A., die nicht Deutsch-Muttersprachlerin ist, gegeben habe. Anders als bei ihrer polizeilichen Vernehmung wird Frau A. heute auch ein Übersetzer gestellt, der, falls nötig, Deutsch-Englisch dolmetschen soll. A. will jedoch vorerst auf Deutsch aussagen. Sie erzählt, dass sie in der Einrichtung zuständig für Mouhamed gewesen sei, auch wenn er zum Tatzeitpunkt dort erst eine gute Woche gelebt hatte. Bei einem gemeinsamen Ausflug sei er noch sichtlich „gut drauf“ gewesen, am Wochenende sei es ihm dann nicht gut gegangen. Die Zeugin A. war zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht in der Einrichtung, berichtet nur, wie Mouhamed dann am Montag (8. August) gegen 14:00 Uhr aus der LWL-Klinik zurückgekehrt sei.
Auch sie war bei den ersten Kontaktversuchen seitens der Mitarbeiter*innen dabei, als Mouhamed kauernd in der Nische zwischen Kirchenmauer und Metallzaun vorgefunden worden sei. Wie vorherige Zeug*innen beschreibt auch sie die Situation, als Mouhamed mit dem Messer auf sich gerichtet und in sich gekehrt dort gesessen habe. Sie beschreibt erstmals, dass Mouhamed sich während der Ansprache etwas entspannt und das an den Oberkörper gehaltene Messer gesenkt habe. Als das Wort „Polizei” gerufen worden sei, habe er dieses indes wieder hochgenommen.
Weiter sagt sie aus, dass dann zwei Polizisten in Zivil den Hof betreten hätten, die sie zuerst jedoch nicht als solche erkannt habe und die sich auch nicht zu erkennen gegeben hätten. Sie hätten einfach an ihr vorbeilaufen wollen, bis sie gesagt habe „Ne, das geht nicht!“. Mit ihren Rucksäcken hätten die Beiden für sie so ausgesehen, „als machten sie eine Wanderung“. Nach einem kurzen Gespräch seien sie gegangen. Erst als sie kurze Zeit später in Begleitung der uniformierten Beamt*innen zurückgekehrt seien, habe sie erkannt, dass es wohl Polizisten seien.
Zum polizeilichen Erscheinen im Hof der Einrichtung und besonders mit Blick auf die mitgebrachte und offen getragene Maschinenpistole MP5 sagt sie vor Gericht: “Es kam sofort in meinen Kopf: Wir haben sie zur Hilfe gerufen – warum kommen sie mit solchen Sachen?”

Sie berichtet dann von einer Ansprache Mouhameds auf Portugiesisch – einer Sprache, die er bekanntermaßen nicht verstand, die gesamte Ansprachesituation beschreibt sie als zu kurz. Auf Nachfrage erläutert A., sie hätte eine längere Ansprache für erfolgversprechend gehalten, da ja die Versuche des Betreuers W. Mouhamed schon etwas offener habe erscheinen lassen. „Es war zu kurz! Sie haben es nicht so richtig versucht!“
Dann habe sie alles „nicht mehr fassen“ können, „papp, papp, papp – Schüsse“, sie sei dann erst weggerannt, habe schließlich hinter einem der Betreuer Sicherheit gesucht.
Nebenklagevertreter Prof. Feltes bemerkt in seinen Fragen an die Zeugin, dass merklich sei, „wie zunehmend belastend“ die Aussagesituation sei. Ein Umstand, der auch zahlreichen Zuschauer*innen klar wird, zumal der Zeugin bei einem des Heranrufens an den Richtertisch das originale Küchenmesser, verpackt in einer durchsichtigen Plastikröhre, unmittelbar vor das Gesicht gehalten wird.
Während die Nebenklage  A. befragt, unterbricht Staatsanwältin Gülkin Yazir die Antwort der Zeugin. Sie richtet sich über ihren Kopf hinweg an den Übersetzer, fordert ihn auf, nun doch bitte „einzugreifen”. Insgesamt zeichnet sich das Bild einer unguten Befragungsdurchführung, die keinerlei Rücksicht oder Raum für eigene (Rassismus-)Betroffenheiten und erneut keinen sensiblen Umgang mit Emotionen bereithält.
Eklatante Nichtbeachtung von traumatisch Erlebtem wie auch von etwaigen Kommunikationsbarrieren offenbaren sich auch mit Blick auf die polizeiliche Befragung der Zeugin A. Wenige Tage nach dem Erleben des tödlichen Polizeieinsatzes wurde sie über drei Stunden befragt, ohne Hinzuziehung einer dolmetschenden Person. Für Verwirrung und teils triumphierende Blicke seitens der Verteidigung sorgen vermeintliche Widersprüche oder auch nur Abweichungen der heutigen Aussage von A. von der Abschrift ihrer Polizeivernehmung, wobei unklar bleibt, ob die Zeugin diese überhaupt anschließend zur Kenntnisnahme ordentlich vorgelegt bekommen hat.

Nach ca. einstündiger Aussage wird die Zeugin A. gegen 13:00 Uhr unvereidigt entlassen.

Damit endet dann auch recht unvermittelt der fünfte Prozesstag, an dem erneut Anliegen und Anträge der Nebenklage systematisch von der Kammer blockiert und Zeug*innen in Teilen mehr als unempathisch befragt wurden.
Ab dem nächsten Prozesstag sagen Polizist*innen als Zeug*innen aus, die am Einsatz beteiligt waren, denen aber keine strafrechtliche Verantwortung seitens der Staatsanwaltschaft zugeschrieben wird.