Heute wurden neue Erkenntnisse im Fall Mouhamed Lamine Dramé bekannt, nachdem der Jugendliche am 08.08.22 durch die Polizei getötet wurde.
Die Verkündung der Ermittlungsergebnisse wurde mehrfach verschoben und steht nun heute, anstatt wie angekündigt bereits Ende Oktober, zur Verfügung. Es wird folgende Anklage erhoben:
Mouhameds Tod am 08.08.22 war ein Tötungsdelikt angeordnet durch den Einsatzleiter mit vorangegangener Körperverletzung durch Pfefferspray und Taser. Presseberichten zufolge wird neben dem wegen Totschlags beschuldigten Schützen auch der Einsatzleiter wegen Anstiftung zur gefährlichen Körperverletzung angeklagt. Außerdem müssen sich drei weitere Polizist*innen wegen gefährlicher Körperverletzung verantworten.
Dies werten wir als Erfolg in der Aufarbeitung tödlicher Polizeiarbeit!
„Die Anklage ist eine logische Konsequenz aus den Fakten, die über Mouhameds Tod bekannt sind. Wir sind jedoch davon überzeugt, dass dies auch eine Errungenschaft des zivilgesellschaftlichen Drucks ist, den wir in den letzten Monaten aufbauen konnten“, so Sarah Claßmann, Sprecherin des Solidaritätskreises.
Die Ermittlungsergebnisse decken sich mit den bereits öffentlichen Einschätzungen führender Kriminolog*innen zum 08.08.2022. Wie bereits die Studien von Tobias Singelnstein gezeigt haben, ist eine Strafverfolgung im Anschluss an Polizeigewalt eine absolute Seltenheit. Dementsprechend begrüßen wir die Ermittlungsergebnisse unter Staatsanwalt Dombert, welcher sich bereits ganz zu Beginn der Arbeit kritisch gegenüber dem Einsatz äußerte.
Dennoch wollen wir anprangern, dass sich die Ergebnisse immer wieder verzögerten und nun letztendlich mehr als drei Monate nach dem ursprünglich angedachten Veröffentlichungstermin erschienen sind. Dies ist vor allem für die Familie von Mouhamed sehr belastend gewesen. Trotz der erfolgreichen Ermittlungsarbeit, die unter anderem auch durch massiven Druck in der Öffentlichkeit gefordert wurde, kritisieren wir immer noch die Tatsache, dass hier Polizeidienststellen gegeneinander ermitteln. Dies sind keine unabhängigen Ermittlungen. Wir halten daher unsere Forderung nach unabhängigen Ermittlungsstellen weiterhin hoch.
Trotzdem möchten wir unterstreichen, dass die offizielle Einschätzung von Mouhameds Tod als Tötungsdelikt ein großer Schritt ist hinsichtlich einer öffentlich kritischen Wahrnehmung von tödlicher Polizeigewalt. Bislang ist diese nahezu undenkbar in der Gesellschaft gewesen, da sie einen riesigen Riss durch das Vertrauen der Bevölkerung zieht. Dementsprechend kann dies nun als Grundlage einer Reform der Einsatzkonzepte dienen und ein weiteres kritisches Hinterfragen der Institution Polizei anschlussfähig machen.
Unserer Einschätzung nach muss NRW-Innenminister Reul nun noch einmal kritisch in den Fokus gerückt werden.
Bereits am Tag nach der Tat stellte sich der CDU-Politiker schützend vor die Einsatzbeamt*innen. Man habe „sich in einer Ecke verschanzt, während jemand mit einem Messer auf sie zustürmt“. Dieses Narrativ wurde bereits so kurzfristig durch die Beweislage widerlegt, dass sich Herbert Reul selbst hinter der Aussage verschanzt. Er habe nur wiedergegeben, was die Polizei Dortmund ihm berichtet habe.
Diese unreflektierte Form der Loyalität zwischen Politik und Polizei ist beispielhaft für die Probleme, welche sich durch diese Institutionen ziehen.
Für uns steht es in der Verwantwortung der Politik jeder Situation gegenüber objektiv entgegenzutreten und auch eine klare Abgrenzung zwischen Legislative und Exektuive zu schaffen.
Das ist eine Aufgabe, welcher der Innenminister klar nicht gewachsen zu sein scheint. Seine ersten Aussagen prägten das erste öffentliche Bild des Einsatzes, demzufolge Mouhamed als ein aggressiver Jugendlicher, welcher die Polizei angreift, gezeichnet wurde – ein Bild, welches Mouhameds Familie und Unterstützer*innen seitdem versuchen müssen zu dekonstruieren.
Welche politischen und emotionalen Auswirkungen diese Aussagen des Innenministers für die Familie haben, scheint Herbert Reul wohl nicht bewusst.
Der Innenminister bedient hier rassistische Stereotype, welche die Wahrnehmung von migrantisierten und geflüchteten Jugendlichen in NRW prägen. Eine Entschuldigung oder Reflektion dieser Tragweite folgte bislang nicht.
„Wir werden das Prozessgeschehen eng begleiten und weiter versuchen, die Wünsche von Mouhameds Familie in jeden der Schritte einfließen zu lassen“, so Sarah Claßmann, Sprecherin des Solikreises. Wir werden weiter an Konsequenzen und Gerechtigkeit für Mouhamed arbeiten und hoffen, dass sich durch diese beispielhafte Anklage auch Täter*innen in anderen Fällen von tödlicher Polizeigewalt verantworten müssen.
No justice, No peace.