Radio Nordpol – Beitrag zum 11. Prozesstag

Am 11. Prozesstag gab es die ersten Einlassungen der Angeklagten: Von Einsatzleiter Thorsten H., angeklagt wegen Verleitung eines Untergebenen zu einer Straftat (gefährlicher Körperverletzung), sowie Markus B., angeklagt wegen gefährlicher Körperverletzung.

In dieser Folge hört ihr Ausschnitte aus einem Pressegespräch mit der Anwältin der Nebenklage, Lisa Grüter. Außerdem kommen erneut die Prozessbeobachtenden Britta Rabe vom Komitee für Grundrechte und Demokratie, Fanny von nsu watch NRW, ein unabhängiger Journalist sowie William vom Solidaritätskreis Justice4mouhamed zu Wort.

Vielen Dank an das Radio Nordpol Team für die gute Arbeit!

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Bericht vom 11. Prozesstag – 17.04.2024

Der 11. Prozesstag in Kürze:

Im folgenden Bericht werden Aspekte der Tat vom 8. August 2022 benannt.

  • Erste Einlassungen der Angeklagten: Von Einsatzleiter Thorsten H., angeklagt wegen Verleitung eines Untergebenen zu einer Straftat (gefährlicher Körperverletzung), sowie Markus B., angeklagt wegen gefährlicher Körperverletzung.
  • Beide geben kein Bedauern und keine Zweifel am Einsatz zu. Sie stützen sich auf die schon bekannten Narrative einer für sie bedrohlichen Lage, von Zeitdruck und einem korrekten Vorgehen in einer durch Mouhameds Verhalten entgleisten Situation.
  • Beide behaupten: Geplant sei nur der Einsatz von Pfefferspray gewesen, durch dessen Anwendung Mouhamed entwaffnet werden sollte. DEIG (Taser) und Maschinenpistole seien nur vorsorglich zur Eigensicherung mitgenommen worden. Thorsten H. sagt aus: “Hätte Mouhamed das Messer weggelegt nach dem RSG, hätten DEIG und MP nicht benutzt werden müssen.” – eine deutliche Schuldumkehr, die den Betroffenen selbst dafür verantwortlich macht, nicht erschossen zu werden.
  • Die Befragung ergibt, dass weder Zivilbeamte noch Thorsten H. und seine Einheit sich Mouhamed gegenüber als Polizei zu erkennen gaben. Auch lenkt H. ein, dass die Zwangsmittel nicht, geschweige denn in einer für Mouhamed verständlichen Sprache, angedroht wurden: “Die Worte “Messer weg”, “Pfeffer”, sind nicht gefallen.”
  • Fingierter Zeitdruck: Obwohl die Polizei eine statische Lage vorfand und Mouhamed im gesamten Zeitraum ihres Aufstellens keinen Anschein machte, den Suizid zu realisieren, handelte die Polizei eilig und mit massiver Gewalt. Thorsten H. begründet dies so: “Soll ich darauf warten, dass Herr Dramé sich das Messer in den Bauch rammt und dann stehen da 12 Polizisten und machen nichts?“
  • DEIG-Schütze Markus B. stellt in seiner Befragung einen deutlich rassistisch aufgeladenen Zusammenhang zwischen Mouhameds “Muskelpartien” am unbekleideten Oberkörper an dem heißen Sommertag und einem “aggressiven Verhalten” her. Mouhamed verharrte zu diesem Zeitpunkt seit geraumer Zeit still und teilnahmslos in einer sichtgeschützten Ecke des Geländes.
  • Thorsten H. fasst die Einschätzung unmittelbar nach dem Einsatz so zusammen: „Wir waren der Ansicht, als wir noch vor Ort waren, dass der Einsatz gut gelaufen ist.“
  • H. hatte bei der Fesselung von Mouhamed zumindest drei der Schusswunden an Oberkörper und Kopf gesehen. Dennoch sagt er zur Nachricht über den späteren Tod Mouhameds im Krankenhaus: “Ich war erschrocken. Entsetzt. Ich hab damit nicht gerechnet.“
  • Angesprochen auf gelöschte Chats auf seinem Handy gibt H. an, dies tue er regelmäßig, er habe nichts verheimlicht.
  • Auf Rat von Hs. Anwalts Michael Emde wird seine Einlassung vorzeitig abgebrochen. Fragen der Nebenklage werden nicht mehr zugelassen.
  • Nach Diskussionen unter den Prozessbeteiligten um die Nutzung der ersten Aussagen der nun Angeklagten kurz nach der Tat, in der diese formal falsch als Zeug*innen statt als Beschuldigte befragt wurden, fordert die Nebenklage eine Grundsatzentscheidung der Kammer. Richter Thomas Kelm beurteilt die Aussagen kurzum als nicht verwertbar. Die Nebenklage verliest daraufhin eine ausführliche, förmliche Beanstandung, die die Wichtigkeit der Aussagen für eine effektive Aufklärung betont. Sollte die Entscheidung zur Anwendung des Beweisverwertungsverbots bestätigt werden, dürften wertvolle Aussagen der Angeklagten, bevor diese Zeit hatten, eine kohärente Aussage über ein vermeintlich korrektes Vorgehen ihrerseits zu formulieren, vom Gericht nicht beachtet werden.

Weiter geht es am Montag (!), den 22. April, ab 9:30. Dies soll nur ein kurzer Termin (30-60 min) mit Verlesung von Urkunden werden. Die Einlassungen sollen nach vier Wochen Pause fortgesetzt werden am übernächsten Termin, dem 22. Mai um 9:30. Wir freuen uns wie immer über solidarische Prozessbeobachter*innen (Eingang Hamburger Straße 11) sowie Teilnahme an unserer Mahnwache ab 7:30 vor dem Gericht (Kaiserstraße 34). Der Einlass zum Verfahren beginnt erfahrungsgemäß gegen 8:15.

Ausführlicher Bericht vom 11. Prozesstag:

Ein Verhandlungstag, an dem viel passiert: Die ersten beiden der fünf Angeklagten machen Einlassungen: Einsatzleiter Thorsten H., angeklagt wegen Verleitung eines Untergebenen zu einer Straftat (gefährlicher Körperverletzung), sowie Markus B., der einen von zwei Tasern gegen Mouhamed schoss, angeklagt wegen gefährlicher Körperverletzung.

Thorsten H. ist seit 1985 Polizeibeamter und arbeitet seit 2011 als Dienstgruppenleiter auf der Wache Nord. Markus B. hat 2005 bei der Bundespolizei angefangen, ist 2011 nach seinem Studium in den gehobenen Dienst gewechselt und arbeitet seit 2014 auf der Wache Nord. Seit seinem Dienstantritt 2014 bis zum 08.08.2022 haben sie in derselben Einheit gearbeitet. Zum 01.09.2022 wurden beide versetzt – Markus B. in den Innendienst und Thorsten H. zur Verkehrspolizei.

Beide Angeklagte rechtfertigen Einsatz

Die Angeklagten lassen kein Bedauern an Mouhameds Tod oder Zweifel an ihrem Einsatzvorgehen verlauten. Stattdessen stützen sie sich auf die schon bekannten Narrative einer für sie bedrohlichen Lage, welche von Zeitdruck geprägt war, sowie von einem korrekten Vorgehen in einer durch Mouhamed entgleisten Situation.

Beide behaupten: Geplant sei nur der Einsatz von Pfefferspray gewesen, durch dessen Anwendung Mouhamed entwaffnet werden sollte. Dies sei in Einsätzen mit suizidalen Personen üblich und in ihren langjährigen Erfahrungen auch sonst immer erfolgreich gewesen. DEIG (Distanzelektroimplusgerät, „Taser“) und Maschinenpistole seien nur vorsorglich zur Eigensicherung mitgenommen worden. Thorsten H. sagt aus: “Hätte Mouhamed das Messer weggelegt nach dem RSG, hätten DEIG und MP nicht benutzt werden müssen” – eine deutliche Schuldumkehr, die den Betroffenen selbst dafür verantwortlich macht, nicht erschossen zu werden.

Nachdrücklich betont Markus B. er habe eigenmächtig entschieden, das DEIG einzusetzen. Dieses sei ihm im Vorfeld zur Sicherung „der eigenen Personen“ zugewiesen worden. Eine Aufforderung, es einzusetzen, habe es in der Situation durch den Einsatzleiter H. nicht gegeben. Für ihn sei nicht erkenntlich gewesen, was Mouhamed, getroffen vom Pfefferspray, „mit dem Messer vor hatte“. Er habe Mouhameds Verhalten als Gefahr gedeutet, dass dieser sich selbst oder seine Kolleg*innen verletzt. In dem Moment sei das für ihn eine „Gefahr für Leib und Leben“ gewesen. Deshalb habe er in dem Moment den DEIG zum Selbstschutz für Mouhamed eingesetzt. In ihren Begründungen für den DEIG-Einsatz widersprechen er und Einsatzleiter H. sich. Denn Thorsten H. betont wiederholt, dass DEIG und MP5 lediglich zum Selbstschutz der Polizist*innen eingesetzt wurde.

Unklar bleibt in der Befragung der genaue Abstand der Beamt*innen zu Mouhamed zum Zeitpunkt der Schussabgabe. Die kritischen Fragen von Kammer und Nebenklage legen nah, dass diese Zweifel daran hegen, ob die Beamt*innen den vorgeschriebenen Mindestabstand zu Personen mit Messer eingehalten haben und ob eine Distanzierung anstelle der Schussabgaben möglich gewesen wäre, als Mouhamed sich näherte. Thorsten H. beharrt darauf, dass Mouhamed, getroffen vom Pfefferspray, statt in Richtung des Hofes, wo auch der Großteil der Beamt*innen stand, sich stattdessen auch weiter in die Nische Richtung Mauer, zum oder über den Zaun hätte bewegen können.

Die Befragung ergibt, dass weder Zivilbeamte noch Thorsten H. und seine Einheit sich Mouhamed gegenüber als Polizei zu erkennen gaben. Er sei davon ausgegangen, dass Mouhamed erkannt habe, dass es sich bei ihnen um Polizeibeamt*innen gehandelt habe. Augenkontakt zwischen ihm und Mouhamed fand nicht statt und zwischen Mouhamed und anderen Beamt*innen habe er jedoch nicht wahrgenommen. Dennoch sei er davon ausgegangen, dass die Beamten in Zivil sich Mouhamed gegenüber als Polizisten zu erkennen gegeben hätten. Dies taten sie laut eigenen Zeugenaussagen nicht. Thorsten H.: „Der Auftrag war ja, das Messer fallen zu lassen. Das machen ja keine Bürger.“ Auch lenkt H. ein, dass die Zwangsmittel nicht, geschweige denn in einer für Mouhamed verständlichen Sprache, angedroht wurden: “Die Worte “Messer weg”, “Pfeffer”, sind nicht gefallen.

Fingierter Zeitdruck

Obwohl die Polizei eine statische Lage vorfand und Mouhamed im gesamten Zeitraum ihres Aufstellens keinen Anschein machte, den Suizid zu realisieren, handelte die Polizei eilig und mit massiver Gewalt. Den Zeitpunkt des Pfeffersprayeinsatzes rechtfertigt Thorsten H. damit, dass er gesehen haben will, wie Mouhamed das Messer kurzzeitig sinken ließ, um es daraufhin wieder am Bauch“nachzujustieren“. Die vermeintliche Aktivität bei Mouhamed habe ihn somit zur Anordnung des Pfeffersprays veranlasst. Auf kritische Nachfragen entgegnet er: “Soll ich darauf warten, dass Herr Dramé sich das Messer in den Bauch rammt und dann stehen da 12 Polizisten und machen nichts?“

Markus B. räumt später ein, dass die Situation ihnen Zeit gelassen hätte, sich einzurichten und aufzustellen.

DEIG-Schütze Markus B. stellt in seiner Befragung einen deutlich rassistisch aufgeladenen Zusammenhang zwischen Mouhameds “Muskelpartien” am unbekleideten Oberkörper an dem heißen Sommertag und einem “aggressiven Verhalten” her. Mouhamed verharrte zu diesem Zeitpunkt seit geraumer Zeit still und teilnahmslos in einer sichtgeschützten Ecke des Geländes. Des weiteren entgegnete B. auf die Frage ob er Mouhamed als apathisch wahrgenommen habe: er wirkte so, „als hätte er auf Polizei als solches keine Lust und macht was er für richtig hält.“

Zur Frage, warum auch Thorsten H. seine Waffe aus dem Holster nahm, als Mouhamed wohl schon von den Schüssen der Maschinenpistole getroffen war, sagt dieser, es hätte ja sein können, dass Mouhamed wieder aufstehe. Gefragt, ob nicht auch ein Zielen auf Mouhameds Beine, statt auf Oberkörper und Gesicht, möglich gewesen wäre, sagt dieser aus, dass solche Schüsse häufig nicht dazu führen würden, dass Personen ihre Bewegungen einstellten. Es ginge in Situationen wie dieser darum, eine Person “kampfunfähig” zu machen. In einer Sprachnachricht des Angeklagten Markus B. an einen Kollegen und Freund erläutert dieser, ein sogenanntes „Messerkonzept“ der Polizei schreibe vor, dass „man so lange schießt“, bis ein „Wirkungstreffer erzielt“ wurde.

Auf die Nachfrage nach den mitgeführten Bodycams gibt Thorsten H. an, dass es in der anfänglichen Situation nicht zulässig gewesen wäre, diese anzuschalten, da Mouhamed suizidal war. Bodycams haben lediglich den “Sinn und Zweck, Angriffe auf Polizeibeamte zu dokumentieren.” Als Mouhamed dann auf das Pfefferspray reagierte, habe keiner Zeit gehabt, sie noch anzuschalten.

Als Teil der Rechtfertigung des Einsatzes sagt Einsatzleiter Thorsten H. aus: „Wir waren der Ansicht, als wir noch vor Ort waren, dass der Einsatz gut gelaufen ist.“ H. hatte bei der Fesselung von Mouhamed zumindest drei der Schusswunden an Oberkörper und Kopf gesehen. Dennoch sagt er zur Nachricht über den späteren Tod Mouhameds im Krankenhaus: “Ich war erschrocken. Entsetzt. Ich hab damit nicht gerechnet.“ Der gesamten am Einsatz beteiligten Beamt*innenschaft wurde in den Tagen nach der Tat vom Polizeipräsidenten persönlich Unterstützung ausgedrückt und “alle mögliche psychische Unterstützung” angeboten, wenn es jemandem von ihnen schlecht ginge. Eine inhaltliche oder rechtliche Besprechung des Einsatzes habe es jedoch nicht gegeben.

Angesprochen auf gelöschte Chats auf seinem Handy gibt H. an, dies tue er regelmäßig, er habe damals nichts verheimlichen wollen. Auch auf die Frage nach dem von Zeug*innen angegebenen Satz, H. habe den Schützen Fabian S. bei der Einsatzbesprechung als “last man standing” adressiert, gibt dieser an, dies sei “eigentlich nicht so sein Sprachgebrauch.” Auf Rat von Hs. Anwalts Michael Emde wird seine Einlassung vorzeitig abgebrochen.

Richter Kelm entscheidet über Beweisverwertungsverbot

Nach Diskussionen unter den Prozessbeteiligten um die Nutzung der ersten Aussagen der nun Angeklagten kurz nach der Tat fordert Lisa Grüter für die Nebenklage eine Grundsatzentscheidung der Kammer. Richter Thomas Kelm beurteilt daraufhin spontan die Aussagen als nicht verwertbar. Hier greife das Beweisverwertungsverbot, weil die ermittelnde Polizei Recklinghausen die fünf Beamt*innen als Zeug*innen statt als Beschuldigte geführt und daher vor der Befragung falsch belehrt hatte. Die Nebenklage verliest daraufhin eine ausführliche förmliche Beanstandung, die die Wichtigkeit der Aussagen für eine effektive Aufklärung betont. Auch werden z.B. drei Vorerfahrungen von Thorsten H. mit Schusswaffeneinsätzen sowie Chatnachrichten von Markus B. herangezogen, die beweisen, dass diese wussten oder wissen mussten, dass sie als Beschuldigte gelten. Richter Kelm, Staatsanwältin Yazir, die Verteidiger sowie Teile des Publikums reagieren spöttisch auf die Aktion der Nebenklage. Sollte die Entscheidung zur Anwendung des Beweisverwertungsverbots bestätigt werden, dürften wertvolle Aussagen der Angeklagten, bevor diese Zeit hatten, eine kohärente Aussage über ihr Vorgehen zu treffen, vom Gericht nicht beachtet werden.

Weiter geht es am Montag (!), den 22. April, ab 9:30. Dieser soll nur ein kurzer Termin (30-60 min) mit Verlesung von Urkunden werden. Die Einlassungen sollen fortgesetzt werden am übernächsten Termin, dem 22. Mai um 9:30. Wir freuen uns wie immer über solidarische Prozessbeobachter*innen (Eingang Hamburger Straße 11) sowie Teilnahme an unserer Mahnwache ab 7:30 vor dem Gericht (Kaiserstraße 34). Alle Folgetermine bis September siehe https://justice4mouhamed.org/prozessbegleitung/

Pressemitteilung 17. April 2024 – 11. Verhandlungstag in der Hauptverhandlung am Landgericht Dortmund zum Tod von Mouhamed Lamine Dramé

„Die späten Einlassungen gehören zur Verteidigungsstrategie“

16.04.2024 – In Zusammenarbeit mit dem Grundrechtekomitee und NSU-Watch NRW

Am nun kommenden Mittwoch, den 17. April 2024, wird vor dem Landgericht Dortmund zum 11. Mal in der Anklage gegen fünf Polizist*innen verhandelt. Das Gericht um den vorsitzenden Landgerichtsrichter Thomas Kelm soll Recht sprechen in der Frage, wie der 16-jährige Mouhamed Lamine Dramé am 8. August 2022 von Polizist*innen der Dortmunder Nordstadtwache getötet wurde.

Das Gericht verhandelt seit Mitte Dezember 2023. Nach Monaten der Beweiserhebung wollen zwei der angeklagten Polizist*innen nun endlich Einlassungen zur Sache machen.

„Die Einlassungen der Angeklagten kommen spät. Das überrascht uns nicht. Denn wir gehen davon aus, dass die Polizist*innen auf der Anklagebank jede Möglichkeit nutzen, sich in ihrer Sichtweise auf ihren tödlichen Einsatz vor 1,5 Jahren bestmöglich vorzubereiten,“ sagt Bo, Sprecher*in des Solidaritätskreises Justice4Mouhamed. „Die späten Einlassungen gehören zur Verteidigungsstrategie.“

Nach vier Monaten vor Gericht kennen die Angeklagten inzwischen die Aussagen fast aller Tatzeug*innen, darunter vor allem auch die ihrer eigenen Kolleg*innen, die mit am Einsatz beteiligt waren.

„Wir erwarten von einem Gericht, das die Tragweite des Prozesses ernst nimmt, dass es die Einlassungen der Angeklagten und die Aussagen ihrer Berufskolleg*innen in genau diesen Rahmen einordnet – als strategische Prozessführung der Verteidigung. Die Kammer muss endlich prüfen, wie glaubwürdig das bisher von den Polizist*innen Geschilderte dazu passt, dass am Ende des kurzen Einsatzes ein Mensch durch sie getötet wurde.“

Das zu erwartende große Interesse, welches den Einlassungen der Angeklagten im Prozessgeschehen folgen wird, hat aber einen Haken: „Diese große Aufmerksamkeit ist der Familie Dramé und der Geschichte von Mouhamed Lamine Dramé, noch an keinem einzigen Prozesstag zuteil geworden.“ Im Gegenteil: dem ausdrücklichen Wunsch von Sidy und Lassana Dramé, als Nebenkläger ein Statement abzugeben, wurde von Richter Kelm oder der Staatsanwaltschaft keine Berücksichtigung geschenkt.

„Seit Sidy und Lassana Dramé im Gerichtssaal dabei sein können, sind sie nicht einmal angesprochen, begrüßt oder überhaupt nur wahrgenommen worden. Gericht und Verteidigung tun so, als seien sie Luft,“ ergänzt Alex, Unterstützer*in im Solidaritätskris Justice4Mouhamed.

„Es ist klar, dass Strafprozesse keinen Wert auf zwischenmenschliche Gesten legen – warum auch. Es geht um Rechtsprechung. Dass die Hinterbliebenen aber keines Blickes gewürdigt und in ihrem Anliegen und Schmerz nicht gesehen werden, ist nur schwer auszuhalten.“

Sidy und Lassana Dramé erhoffen sich Gerechtigkeit durch den Prozess für ihre Familie. „Möge die Gerechtigkeit geschehen, möge die Wahrheit ans Licht kommen. Was die Polizei tut, ist überhaupt nicht gerecht. Das ist der Grund, warum die Familie uns hierher geschickt hat. Wir sind hier, um darauf zu warten, dass Gerechtigkeit geschieht. Wir warten darauf, dass am Ende jeder weiß, dass die Polizisten unrecht hatten, als sie unseren Bruder töteten“.

Die beiden Brüder blicken besorgt auf den kommenden Prozesstag: „Wir rechnen mit gut vorbereiteten Aussagen seitens der Polizisten, welche in unserer Erwartung keinen Beitrag dazu leisten werden, die Realität des Geschehenen abzubilden,“ so Sidy Dramé. Sie bitten um zahlreiche Unterstützung am kommenden Prozesstag.

Für den Verhandlungstag am 17. April ist eine Mahnwache des Solidaritätskreises Justice4Mouhamed vor dem Landgericht sowie die solidarische Prozessbeobachtung geplant. Der Gerichtsprozess wird von Beginn an durch den Solidaritätskreis, dem Grundrechtekomitee, NSU-Watch sowie anderen zivilgesellschaftlichen Initiativen und Einzelpersonen solidarisch begleitet.

Radio Nordpol – Beitrag zum 10. Prozesstag

Zum 10. Verhandlungstag hat das Radio Nordpol Team mit Britta Rabe vom Grundrechtekomitee, Fanny von NSU Watch und Alex vom Solidaritätskreis Justice4Mouhamed gesprochen und die Zeug:innenaussagen der Notfallsanitäter:innen genauer betrachtet. Darüber hinaus wird über die Erkenntnisse des Recherche Zentrums zum Fall des Hans-Jürgen Rose aus Dessau gesprochen (www.recherche-zentrum.org). 

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Danke an das Radio Norpol Team!

Bericht vom 10. Prozesstag – 03.04.2024

Der 10. Prozesstag in Kürze:

Im folgenden Bericht werden Aspekte der Tat benannt.

  • Drei Rettungsdienstler*innen sagen als Zeug*innen aus. Sie werden von Richter Kelm regulär über ihre Pflichten als Zeug*innen belehrt, anders als die zuvor befragten Polizeizeug*innen.
  • Alle drei berichten, sie seien unterwegs über Funk mit den Stichworten „Suizid“ und „Messer“ zur Jugendhilfeeinrichtung beordert worden. Als sie dort ankamen, war die Polizei schon vor Ort. Beamte signalisierten ihnen per Handzeichen, in Entfernung stehenzubleiben. Auf Nachfrage gibt keiner von ihnen an, diese Anweisung hinterfragt zu haben. Während die Polizei ihren Einsatz durchführte, bekamen die Sanitäter*innen von der Leitstelle keinerlei weitere Informationen. Außerdem standen sie in keinem direkten Kontakt zu den am Einsatz beteiligten Polizeibeamt*innen. Erst, nachdem für sie hörbar die Schüsse gefallen waren, wurden sie von Beamt*innen zum Tatort hinzugerufen. Dort fanden sie Mouhamed bäuchlings auf dem Boden liegend, mit hinterm Rücken gefesselten Händen vor. Neben den Schusswunden hatte er gerötete Augen vom Pfefferspray und Tasernadeln an verschiedenen Körperstellen.
  • In zum Polizeisprech auffallend ähnlicher Sprache beschreiben mehrere von ihnen Mouhameds Verhalten als „wehrig“. So begründen sie auch die Fesselung noch im Rettungswagen sowie die Begleitung durch zwei Beamt*innen ins Krankenhaus.
  • Auch fällt auf, dass keine*r von ihnen Beurteilungen abgibt, die einen kritischen Blick auf die Hierarchisierung von Polizei über Rettungskräfte beim Einsatz oder das Vorgehen der Polizei zulassen würden. Dass etwa auch der Rettungsdienst ohne Polizei oder im Beisein der Polizei im Hintergrund hätte aktiv werden können, oder wiederum die eigenen Ressourcen zum Herbeirufen speziell geschulten Personals hätte nutzen können, kommt nicht zur Sprache.

Am Mittwoch, den 17. April, geht es ab 9:30 weiter mit den ersten Einlassungen der Angeklagten.

Ausführlicher Bericht vom 10. Prozesstag:

Zum heutigen Prozesstag findet erneut eine Mahnwache vor dem Landgericht statt und viele solidarische Menschen sind im Saal anwesend.

Heute wird mit der Vernehmung von drei Rettungsdienstler*innen im Prozess fortgefahren. Der Berufsfeuerwehrmann Dominik G. (29), der als Rettungssanitäter am Einsatz beteiligt war. Darüber hinaus die Notfallsanitäterin in Ausbildung, Lucy B. (22), die sich damals in ihrem ersten Ausbildungsjahr befand und der stellvertretende Disponent der Leitstelle und Hauptwachmeister, David D. (32), damals als Praxisanleiter von B. und Notfallsanitäter im Einsatz.

Sie werden von Richter Kelm regulär über ihre Pflichten als Zeug*innen belehrt, anders als die zuvor befragten Polizeizeug*innen.

Passive Rolle der Rettunssanitäter*innen

Ihre Aussagen zum Tathergang sind inhaltlich als auch von der chronologischen Abfolge in ihrer Erzählung sehr deckungsgleich. Es wirkt fast abgesprochen und einstudiert.

Alle drei berichten, sie seien unterwegs über Funk mit den Stichworten „Suizid“ und „Messer“ zur Jugendhilfeeinrichtung beordert worden. Als sie dort ankamen, war die Polizei schon vor Ort. Beamte signalisierten ihnen per Handzeichen, in Entfernung stehenzubleiben. Auf Nachfrage gibt keine*r von ihnen an, diese Anweisung hinterfragt zu haben. Verwunderlich, denn wie David K. aussagt, wurde ihnen über die Leitstelle nicht mitgeteilt, dass auch die Polizei angefunkt wurde und sie somit nicht wissen konnten, dass diese auch am Einsatz beteiligt sein wird. Laut Aussage des Zeugen G. komme die Polizei bei Einsätzen mit suizidalen Personen lediglich hinzu, bzw. wird aktiv, wenn eine Eigengefährdung für die Rettungskräfte bestünde. Kritisch fragt Prof. Feltes nach, ob es sich bei einem Suizideinsatz grundsätzlich erst einmal um einen Hilfs- oder Gefahreneinsatz handelt. Das sei situativ, je nachdem ob die suizidale Person eine Bewaffnung dabeihabe oder nicht, lautet Dominik G.s Antwort. Entrüstet entgegnet Prof. Feltes „aber es ist doch ein Hilfeeinsatz„. G. erwidert, das komme auf die individuelle Situation an.

Während die Polizei ihren Einsatz durchführte, bekamen die Sanitäter*innen von der Leitstelle keinerlei weitere Informationen über die Einsatzlage mitgeteilt. Außerdem standen sie in keinem direkten Kontakt zu den am Einsatz beteiligten Polizeibeamt*innen. Sie haben sich neben dem RTW bereit gemacht, die Trage mit ihrem medizinischen Equipment vorbereitet, einen Notarzt angefordert und auf weitere Anweisungen gewartet. Erst, nachdem für sie hörbar die Schüsse gefallen waren, wurden sie von Beamt*innen zum Tatort hinzugerufen. Dort fanden sie Mouhamed bäuchlings auf dem Boden liegend, mit hinterm Rücken gefesselten Händen vor. Sie erinnern sich, dass mehrere Beamte auf Mouhamed knieten und diesen somit zusätzlich fixierten. Neben den Schusswunden hatte er gerötete Augen vom Pfefferspray und Tasernadeln an verschiedenen Körperstellen.

In zum Polizeisprech auffallend ähnlicher Sprache beschreiben mehrere von ihnen Mouhameds Verhalten als „wehrig“. So begründen sie auch die Fesselung noch im Rettungswagen sowie die Begleitung durch zwei Beamt*innen ins Krankenhaus. Auf Nachfrage von Richter Kelm sagt der Zeuge Dominik G. aus, er könne sich Mouhameds Verhalten „nicht erklären„. Er habe auf der Trage versucht seinen Oberkörper aufzurichten, „als wolle er weglaufen„. Ob das für ihn ein naheliegendes Verhalten sei und durch Schmerzen verursacht worden sei, wie Richter Kelm weiter nachfragt, könne er außerdem nicht bewerten. Diese Aussagen verwundern doch angenommen der Tatsache, dass sie als medizinisches Personal Erfahrung mit den unterschiedlichsten Reaktionen schwer verletzter Menschen haben müssten.

Fehlende kritische Beurteilung des einsatztaktischen Vorgehens

Auch fällt auf, dass keine*r der Zeug*innen Beurteilungen abgibt, die einen kritischen Blick auf das Vorgehen beim Einsatz zulassen würden. Die Hierarchisierung der Polizei über die Rettungskräfte und dass diese die Einsatztaktik und Maßnahmen vorgab, wird als gegeben hingenommen. Dahingegen stellt sich auf Nachfrage der Nebenklage heraus, dass dies nicht zwangsläufig das routinemäßige Vorgehen bei Einsätzen mit suizidalen Personen sei – besonders bei suizidalen Menschen, welche sich apathisch verhielten (wie im Falle Mouhameds). Denn wenn keine Eigengefährdung bestünde, bei der eine Zusammenarbeit mit der Polizei als notwendig erachtet werde, sei das Vorgehen von Rettungskräften eine vertrauensvolle Umgebung zu schaffen und nach dem Prinzip des „talk them down“ auf die suizidale Person einzugehen. Durch Kommunikation versuche man, dass die suizidale Person das „Vorhaben von sich aus beiseitelegt“. Auf die kritische Nachfrage von Prof. Feltes, ob sie bei diesem Einsatz nicht auch die Möglichkeit eines „talk him down“ gehabt hätten, entgegnet die Zeugin B. lediglich, sie seien „ja am Patienten nicht dran“ gewesen – ohne in Frage zu stellen ob das nicht hätte geändert werden können.

Keine Kommunikation zwischen Polizei und Rettungskräften vor Ort

Der Eindruck einer bewusst unkritischen Bewertung des polizeilichen als auch eigenen (untätigen) Vorgehens verschärft sich bei den Aussagen des Zeugen Dominik G. rund um die Frage, ob sie als Rettungskräfte die Möglichkeit gehabt hätten geschultes Personal, wie Psychotherapeut*innen, hinzuzuziehen. Laut Richtlinien können sie diese über die Leitstelle anfragen. Das habe er bisher noch nie in einem Einsatz getan, wie auch bei diesem nicht. Er argumentiert sie hätten es nicht gemacht „weil der Verlauf unklar war„.

Die Richtlinien zum Selbstschutz von Rettungskräften bei einem Einsatz geben vor, dass diese sich mit der Polizei über die Lageeinschätzung und das weitere Vorgehen abstimmen. Das ist nach Aussagen der Zeug*innen zu keinem Zeitpunkt während des Einsatzes geschehen. Sie hätten Sichtkontakt gehabt, aber es fand keine direkte Kommunikation bis nach den Schüssen statt. Der Zeuge G. rechtfertigt das abwartende, passive Verhalten damit, dass sie nicht wussten „was vorherrscht“ und sie können sich „ja nicht in Gefahr bringen“. Auch hier bedient er das Narrativ Mouhamed sei eine Gefahr für die Einsatzkräfte gewesen und legitimiert somit das Vorgehen beim Einsatz.

Prof. Feltes resümiert, dass aufgrund der fehlenden Kommunikation zwischen Polizei und Rettungssanitätern keine gemeinsame Lagebewertung sowie Analyse der Situation möglich gewesen sei.

Wissen über Umgang mit suizidalen Personen und Verhalten beim Einsatz werfen Fragen auf

Auch als die Nebenklage Fragen zu dem Wissen der Zeug*innen zum Umgang mit suizidalen Personen aus ihrer Berufserfahrung als auch Ausbildung stellt, entsteht ein widersprüchlicher Eindruck zwischen ihren Vorgaben und dem Einsatzgeschehen am 08.08.2022.

Laut Fachliteratur handelt es sich bei ca. 10 % der Einsätze von Rettungskräften um suizidale Personen. Jedoch erwecken die Aussagen der Zeug*innen den Eindruck, dass sie entgegen der hohen Anzahl an Fälle in der Praxis nicht adäquat dafür ausgebildet werden. Rettungssanis würden nicht für ein „talk them down“ ausgebildet werden, Notfallsanis lernen das in ihren Praktika und bei Notärzten „komme es drauf an“ – unklar, was das bedeutet. Die unterschiedlichen Stufen von Suizid – Suizididee, Suizidgeste und Suizidversuch, seien manchen der Befragten geläufig. Doch fanden diese bei Mouhamed keine Anwendung, da sie keinen Kontakt zu ihm hatten, bis eine notärztliche Versorgung notwendig wurde.

Im Nachklang erwecken die Aussagen der Zeug*innen den Eindruck einer starken „Blaufreundschaft“ zu den Polizist*innen. Keine Infragestellung des einsatztaktischen Vorgehens wurde ersichtlich. Eher im Gegenteil – in ihren Aussagen bedienten sie die Narrative der Polizei über den Einsatz.

Am Mittwoch, den 17. April, geht es ab 9:30 weiter mit den ersten Einlassungen der Angeklagten.

Radio Nordpol – Beitrag zum 9. Prozesstag

Zum 9. Verhandlungstag hat das Radio Nordpol mit der Anwältin der Nebenklage Lisa Grüter, Britta Rabe vom Grundrechtekomitee und dem Solidaritätskreis Justice4Mouhamed gesprochen. Darüber hinaus geht es um die aktuelle Statistik von TOPA. Wir schauen polizeikritisch auf den Umgang der Cops mit Menschen in psychischen und psychosozialen Krisen und wie Alternativen zum Polizeinotruf aussehen können.

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Danke an das Radio Nordpol Team!

Bericht vom 9. Prozesstag – 20.03.2024

  1. Prozesstag in Kürze:
  • Vernehmung des letzten beteiligten Polizeizeugens: Christon S. (33) gehörte zur Vierergruppe der Zivilbeamten vor Ort. – Seine Aussage ähnelt inhaltlich allen bisher gehörten Polizeiaussagen. Laut ihm habe es vor dem Einsatz des Pfeffersprays eine Diskussion zwischen der Angeklagten Pia B. und Einsatzleiter Thorsten H. über einen möglichen Einsatz des Tasers gegeben. Daraufhin soll H. die Anordnung das RSG 8 (Pfefferspray) einzusetzen gegeben haben. Auch S. beschreibt die ruhige Auffindesituation Mouhameds, dieser sei „wie gefangen in Gedanken“ gewesen.

  • Wie andere zuvor schildert der Zeuge, sein Kollege Kevin S.F. habe sich „viel zu nah“ an Mouhamed heranbegeben. Man sei jedoch „in erster Instanz nicht davon ausgegangen, dass er uns was wollte“. Da Mouhamed auf ihre Anrufungen nicht reagierte sei die Situation immer bedrohlicher geworden, es sei darum gegangen, „die Maßnahme durchzuziehen“, aus polizeilicher Sicht sei „eine Person mit Messer eine Bedrohung an sich“.
  • S. gibt an, dass aus seiner Erfahrung mit „Messertätern“ der Einsatz von Pfefferspray sinnvoll sei, um eine Selbstverletzung der Person zu verhindern und gleichzeitig eine „Entwaffnung“ erzielen zu können. Damit begründet und legitimiert er auch 1,5 Jahre später noch den Einsatz des Pfeffersprays als „mildestes Mittel“.

  • Der Polizeisprech im Gerichtssaal hinterlässt Fragezeichen: Mehrfach spricht Christon S. davon, Mouhamed sei bei der Erstversorgung „wehrig“ gewesen – gleich zweimal beschreibt er seinen Todeskampf als „Gas geben im RTW“. Richter Kelm greift dies auf, beschreibt Mouhamed gar als „renitent“. Auf Nachfrage ergänzt der Zeuge, dass er „überrascht“ war später von Mouhameds Tod zu erfahren, habe sich dieser doch im RTW und Schockraum noch „agil“ verhalten.

  • Verteidiger Brögeler gibt nach der Befragung eine Prozesserklärung ab und offenbart damit eine mögliche Verteidigungsstrategie: In der Anklageschrift werde von einer statischen Lage gesprochen, die hätte gehalten werden können. Man müsse jedoch mal die „Perspektive wechseln“, Zu Beginn sei es eine solche gewesen, doch hätte diese jederzeit kippen können. Nicht wegen eines Angriffs Mouhameds, sondern dadurch, „dass er sich das Messer in den Bauch rammen könnte“. Das hätte zur Ungewissheit bei den Beamten geführt, ob die statische Lage in eine dynamische umkippt – schließlich wären die Beamt*innen auch verpflichtet gewesen, Mouhamed „helfen zu müssen“.

  • Die Verteidiger von Thorsten H. und Markus B. geben an, am 17.04. eine Einlassung (Stellungnahme der Angeklagten) abzugeben. Die Verteidigung des Schützen Fabian S. will diese abwarten und daraufhin entscheiden, ob sie sich auch äußern wollen.

    Am Mittwoch, den 03. April, geht es ab 9:30 Uhr weiter mit der Befragung der RTW Sanitäter*innen. Wir freuen uns über solidarische Prozessbeobachter*innen (Eingang Hamburger Straße 11) sowie Teilnahme an unserer Mahnwache ab 7:30 vor dem Gericht (Kaiserstraße 34).

Ausführlicher Bericht von 9. Prozesstag:

Zum heutigen Prozesstag findet erneut eine Mahnwache vor dem Landgericht statt und einige solidarische Menschen sind im Saal anwesend. Aufgrund von Verzögerungen bei der Einlasskontrolle beginnt der Prozesstag verspätet um 9:40 Uhr.

Zum heutigen Prozesstermin ist der letzte Polizist als Zeuge geladen, welcher bei dem Einsatz mit vor Ort war. Christon S. (33) war zum damaligen Zeitpunkt als Zivilbeamter mit seiner Einsatzleiterin Sandra K. in einem Zivilwagen in der Nordstadt unterwegs, als sie die Anordnung erhielten zu „Aufklärungszwecken“ in die Holsteinerstraße zu fahren. Vor Ort begleitete er die weiteren Kollegen in Zivil, Kevin S.F. und Max P. in den Innenhof und unternimmt dort die ersten Anrufungsversuche an Mouhamed durch „Hey“- Rufe und Pfiffe.

Sie seien vor Ort gewesen, um Mouhamed zu helfen

Die Aussagen von S. zum Tatgeschehen unterscheiden sich inhaltlich nicht wesentlich von den bisher gehörten Aussagen der anderen Polizeibeamt*innen. Auch er beschreibt die Situation zu Beginn als ruhig. Mouhamed habe abwesend, „wie gefangen in Gedanken“ gewirkt.

Daraufhin bringt S. jedoch ein bisher unbekanntes Detail des Tatgeschehens zur Sprache. Laut ihm habe es vor dem Einsatz des Pfeffersprays eine Diskussion zwischen der Angeklagten Pia B. und Einsatzleiter Thorsten H. über einen möglichen Einsatz des Tasers gegeben. B. habe ein freies Schussfeld gehabt, doch H. wies an das Pfefferspray einzusetzen, „um Verletzungen zu vermeiden„. Bei einer Taserabgabe bestünde, laut S., eine erhöhte Gefahr der unbeabsichtigten Selbstverletzung für Mouhamed, durch das Messer in seiner Hand. Diese Aussage und die Betonung der Bemühungen, um eine Selbstverletzung Mouhameds zu vermeiden reiht sich in das Narrativ ein, welches S. in seiner weiteren Befragung verfolgt – sie seien in erster Linie vor Ort gewesen, um Mouhamed zu helfen. Damit begründet er auch, dass sich sein Kollege Kevin S.F., wie er selbst sagt „viel zu nah“ an Mouhamed heranbegeben habe. Man sei jedoch „in erster Instanz nicht davon ausgegangen, dass er uns was wollte“. Erstmal sei es ihnen darum gegangen Mouhamed aus seinen Gedanken zu reißen und einen Zugang zu ihm zu bekommen. Da dieser auf ihre Anrufungen nicht reagierte habe der Zeuge „immer mehr ein schlechtes Bauchgefühl“ bekommen und die Situation sei bedrohlicher geworden. Denn ihm sei bewusst gewesen, dass Mouhamed noch das Messer in der Hand habe, sie zu nah dran seien und sie „seine Gedanken nicht lesen konnten„. Auf den Einwand des Staatsanwalt Domberts, für ihn klinge das eher wie Ratlosigkeit seitens des Zeugen als nach einer Bedrohung, entgegnete S., es sei darum gegangen,die Maßnahme durchzuziehen. Aus polizeilicher Sicht sei „eine Person mit Messer eine Bedrohung an sich“.

Der Pfeffersprayeinsatz wird als „mildestes Mittel“ legitimiert

S. gibt auf Nachfrage des Verteidigers Bögeler an, dass aus seiner Erfahrung mit „Messertätern“ der Einsatz von Pfefferspray sinnvoll sei, um einerseits eine Selbstverletzung der Person zu verhindern und gleichzeitig eine „Entwaffnung“ erzielen zu können. Denn in seiner Erfahrung haben diese oft die Hände vors Gesicht gehalten um das Pfefferspray abzuwenden und dadurch das Messer fallen gelassen.

Darüber hinaus sei er auch nicht über den Zeitpunkt des Einsatzes von Pfefferspray erstaunt gewesen. Denn man habe jederzeit damit rechnen müssen, dass Mouhamed sich selbst verletzt und deshalb sei Pfefferspray als das „mildeste der vorhandenen Mittel“ geeignet, um eine Person abzulenken oder zu überraschen. Damit begründet und legitimiert er auch 1,5 Jahre später noch den Einsatz des Pfeffersprays als „mildestes Mittel“.

Der Zaun sei überwindbar gewesen für Mouhamed

Der Zeuge unterstreicht das Narrativ der Bedrohungslage für die Polizei mit der Aussage Mouhamed hätte auch über den 1.70m hohen Zaun vor ihm springen können. Er selbst sei bei einem Polizeieinsatz mehrere Jahre zuvor über denselben Zaun gesprungen, das sei kein Problem. Auf die ungläubige Nachfrage des Richters, Mouhamed hätte das wohl nicht unter fünf Sekunden (in der Zeitspanne nach dem Pfefferspray und vor dem Tasereinsatz und den Schüssen) geschafft, entgegnete der Zeuge: „bin ich auch schon„.

Der Polizeisprech im Gerichtssaal hinterlässt Fragezeichen: Mehrfach spricht Christon S. davon, Mouhamed seibei der Erstversorgung „wehrig“ gewesen – gleich zweimal beschreibt er seinen Todeskampf alsGas geben im RTW. Richter Kelm greift dies auf, beschreibt Mouhamed gar als „renitent“. Auf Nachfrage ergänzt der Zeuge, dass er „überrascht“ war später von Mouhameds Tod zu erfahren, habe sich dieser doch im RTW und Schockraum noch „agil“ verhalten.

Prozesserklärung durch Verteidiger Brögeler

Verteidiger Brögeler gibt nach der Befragung eine Prozesserklärung ab und offenbart damit eine mögliche Verteidigungsstrategie: In der Anklageschrift werde von einer statischen Lage gesprochen, die hätte gehalten werden können. Man müsse jedoch mal die „Perspektive wechseln„. Zu Beginn sei es eine solche gewesen, doch hätte diese jederzeit kippen können. Nicht wegen eines Angriffs Mouhameds auf die Polizei, sondern dadurch, „dass er sich das Messer in den Bauch rammen könnte„. Das hätte zur Ungewissheit bei den Beamten geführt, ob die statische Lage in eine dynamische umkippt – schließlich wären die Beamt*innen auch verpflichtet gewesen Mouhamed „helfen zu müssen“.

Der nächste Prozesstermin ist am 03.04. um 9:30 Uhr (Eingang Hamburger Straße 11). Wir werden ab 7:30 Uhr mit einer Mahnwache vor dem Landgericht solidarisch unterstützen. Es werden die ersten Sanitäter*innen des RTWs aussagen.

Bericht vom 6. Prozesstag – 28.02.2024

Der 6. Prozesstag in Kürze:

Im folgenden Text werden Aspekte der Tat konkret beschrieben.

  • Erste Befragungen von Polizisten, zwei Angehörigen der Sondereinheit in der Nordwache, die überwiegend verdeckt/zivil in der Nordstadt eingesetzt sind. Die beiden waren am 8.8.22 zuerst am Einsatzort und sprachen Mouhamed an.
  • Aussageverhalten polizeilicher Zeug*innen ist merklich anders als das bisher gehörter ziviler Zeug*innen. Während die zivilen Zeug*innen weitere empathische Perspektiven auf die Tat und teils eigene Betroffenheiten widerspiegelten, führen die Polizist*innen polizeiliches Sprechen und Denken vor.
  • Beispiele: Freier Bericht zu Beginn wirkt wie auswendig gelernt, spätere Detailfragen werden hingegen teils ausweichend beantwortet – meistgenutztes Wort dabei: „Negativ.“ Auch die Kammer verhält sich – gemäß dem Dogma „polizeilicher Berufszeugen“ – Beamten gegenüber völlig anders, es gibt keine Versuche der Verunglaubwürdigung oder Verunsicherung, ungenaue Aussagen werden als Schätzfehler akzeptiert.
  • In den Aussagen wird wieder deutlich: Mouhamed wirkte teilnahmslos, reagierte nicht auf Ansprache, wurde selbst von den Zivis in erster Linie als Bedrohung für sich selbst wahrgenommen.
  • Weder die Zivilpolizisten noch die Uniformierten gaben sich als Beamte zu erkennen, der Einsatz von Waffen ist laut Aussagen nicht – zumal nicht in einer Mouhamed verständlichen Sprache – angedroht worden.
  • Erst durch den Pfeffersprayeinsatz wurde die ruhige Lage umgehend dynamisch.
  • Die sog. „7-Meter-Regel“ aus der Polizeiausbildung kommt zur Sprache: Bei Unterschreitung von 7m in einer „Messerlage“ sei die Schusswaffe „die Option“. Auch 1,5 Jahre später fallen den befragten Beamt*innen keine anderen Handlungsmöglichkeiten ein.
  • Polizei unterschritt diese Regel, widerspricht sich dabei in der propagierten „Gefahrenlage“: Der Zivilpolizist Kevin S. ging bei seiner Ansprache – ähnlich wie zuvor die Mitarbeitenden der Einrichtung – auf nur etwa eineinhalb Meter Abstand zu Mouhamed in die Hocke, musste vor dem Pfeffersprayeinsatz erst aus dem Wirkungsbereich zurückbeordert werden.
  • Leiter der Dienstgruppe auf der Nordwache und Einsatzleiter am 08.08.22 Thorsten H. hat ebenfalls mit seiner Dienstwaffe auf Mouhamed gezielt, während er Einsatzbefehle verteilte.
  • Die Aufstellung der Polizist*innen positionierte Mouhamed in einer Sackgasse.
  • Polizeiliche Einsatzlogik, die sprachlos macht: Nach den Schüssen, als sich Mouhamed unter Schmerzen auf dem Boden wand, wurde er mit Knien auf seinen Schultern fixiert und noch mit Handschellen gefesselt. Polizeilicher Fokus weiterhin: Die Suche nach dem Messer. Mouhamed wurde zu diesem Zweck sogar angehoben und mindestens einige Meter weggetragen.
  • Der Zivilpolizist Max P. resümiert den Einsatz folgendermaßen: „Letztendlich wurde die Gefahr abgewehrt – keine anderen Personen kamen zu Schaden. […] Der Einsatz ist abgearbeitet worden, wie er abgearbeitet werden konnte“ – und das, wo doch seine Kolleg*innen den Jugendlichen tödlich verletzten.
  • Nach dem Einsatz sei allen beteiligten Polizist*innen „unwohl“ gewesen, gesprochen hätten alle miteinander über den Vorfall – mit wem und über was, konnten oder wollten die Zeugen jedoch nicht erinnern. Nachfragen von Staatsanwaltschaft und Nebenklage thematisieren Whatsappkommunikationen untereinander, diese scheinen noch prozessrelevant werden zu können.
  • Beschwerden wirken: Richter Kelm zeigt erstmals Lichtbilder auf dem Bildschirm, sodass alle Prozessbeteiligten, Presse und Zuschauer*innen das Geschehen mitverfolgen können.

Ausführlicher Bericht vom
6. Prozesstag:

Im folgenden Text werden Aspekte der Tat konkret beschrieben.

Wir waren am 28. Februar wieder mit vielen solidarischen Begleiter*innen ab 7:30 mit einer Mahnwache und in der Warteschlange vorm Eingang zum Gerichtssaal präsent.

Heute wurden die ersten beiden am Einsatz beteiligten Polizisten befragt, die beiden nicht angeklagten Zivilpolizisten der Wache Nord, die am 8. August 2022 zuerst den Einsatzort betraten. Herr P. (30 Jahre) und Herr S. (31 Jahre) arbeiten beide seit 2020 im Einsatztrupp Nord der Wache Nord, und sind hauptsächlich zu zweit in Zivil im Bereich des Nordmarkts eingesetzt und dort häufig mit Fahrrädern und Skateboard „zur Bekämpfung der örtlichen Drogenumschlagkriminalität“ vor Ort.

Umgang mit Polizeizeugen unterscheidet sich fundamental von dem mit zivilen Zeug*innen

Während beider Befragungen fällt auf: Das Aussageverhalten der Polizisten ist völlig anders als das der bisher gehörten zivilen Zeugen – der freie Bericht zu Beginn der Aussage wirkt wie auswendig gelernt, sodass selbst der Richter ihn als „strukturiert“ kommentiert und wiederholt nachgefragt wird, ob beide Zeugen ihre Erstaussagen noch einmal studiert hätten. Spätere Detailfragen wiederum werden teils ausweichend beantwortet. Auch die Kammer verhält sich – gemäß dem Dogma von „Berufszeugen“ – den Polizeizeugen gegenüber völlig anders als den zivilen Zeug*innen, es gibt keine Versuche der Verunglaubwürdigung oder Verunsicherung, ungenaue Aussagen werden als Schätzfehler akzeptiert.

Erstmals Einblick in Lichtbilder

Nach Beschwerden der Presse zeigt Richter Kelm heute erstmals Lichtbilder aus der Akte auf dem großen Bildschirm im Saal, sodass alle Prozessbeteiligten, Presse und Zuschauer*innen das Geschehen mitverfolgen können. Bilder des Tatorts werden gezeigt, auf denen beide Zeugen die Position der Personen vor Ort anzeigen, außerdem Bilder des eingesetzten RSG8 (Pfefferspray), des Distanzelektroimpulsgeräts DEIG (Taser) sowie der Maschinenpistole MP5.
Die Nebenklage fordert darüber hinaus wiederholt die Verwendung der vom LKA angefertigten 3D-Bilder, Verteidiger Brögeler schießt weiter dagegen.

Schnelle Eskalation in dynamische Situation

In den Aussagen der beiden Zeugen wird noch einmal klar: Mouhamed wirkte teilnahmslos, reagierte nicht auf Ansprachen. Auf die Frage, ob Mouhamed zum Zeitpunkt der Ansprache auf den Polizisten S. bedrohlich wirkte, antwortet dieser: „Bedrohlich für sich selbst“ – und ergänzt schnell: „und für uns, weil wir auch in der Situation waren.“
Auch bestätigen beide Zeugen, sich nicht als Beamte zu erkennen gegeben zu haben, denn sie haben „oft die Erfahrung gemacht, dass Personen nicht positiv auf die Polizei reagieren“. Es sei durch Herrn S., in zivil gekleidet, eine Ansprache in Dauer weniger Minuten auf Spanisch erfolgt.

Die Aufstellung der Polizist*innen positionierte Mouhamed in einer Sackgasse.
Der anschließende Einsatz von Zwangsmitteln durch die Beamten in Uniform ist laut beider Aussagen nicht – zumal nicht in einer Mouhamed verständlichen Sprache – angekündigt oder angedroht worden.
Erst durch den Pfeffersprayeinsatz wurde die ruhige Lage laut Aussage umgehend dynamisch. Warum in dieser Situation überhaupt Pfefferspray eingesetzt wurde, habe der Zeuge S. nicht verstanden, sich dabei aber auch nichts weiter gedacht und dies auch nicht hinterfragt.
Der Zeuge P. argumentiert, eine Dringlichkeit zu handeln habe sich aus der Selbstgefährdung von Mouhamed ergeben: „Man kann ja nicht dabei zusehen, wie sich jemand suizidiert.“ Faktoren wie die Dauer, über die Mouhamed sich schon in dieser Lage befand, oder seine Reglosigkeit über den gesamten beobachteten Zeitraum hinweg scheinen für diese Einschätzung allerdings nicht in Betracht gezogen worden zu sein.

Einsatz der Schusswaffe

Es kommt die 7-Meter-Regel aus der Polizeiausbildung zur Sprache, nach der Beamte sich „Messertätern“ nicht weiter als sieben Meter näher sollen. Unterschreite eine angreifende Person diese, sei die Schusswaffe „die Option“. Hier handelte es sich aber gar nicht um einen Messerangriff – dass keine Fremdgefährdung bestand, unterstreicht auch, dass nur wenige Minuten vor den Schüssen der Zivilpolizist S. – ähnlich wie zuvor die Mitarbeitenden der Einrichtung – auf nur etwa eineinhalb Meter Abstand zu Mouhamed in die Hocke ging.

Bei der Richtlinie gäbe es keine vorgegebene Schusszahl, es ginge um „Wirkungstreffer“. Inwiefern die fünf Schüsse hier verhältnismäßig waren, und ob statt den Schüssen auch Distanz zu Mouhamed hätte aufgebaut werden können, bleibt ungeklärt.
Nach den Schüssen sei Mouhamed nach vorn gefallen, dann noch gefesselt worden, wobei Einsatzleiter H. Mouhameds rechte Schulter mit seinem Knie fixiert haben soll. Beim Fesseln habe es „Probleme“ gegeben, da Mouhamed sich unkoordiniert bewegt hätte, was der Polizist P. als Widerstandshandlung beschreibt. Auf Rückfrage des Staatsanwalts Carsten Dombert könne es sich dabei aber auch um ein Winden vor Schmerzen gehandelt haben.

„Für uns war das Hauptproblem, dass wir zu dem Zeitpunkt das Messer noch nicht gefunden hatten.“

Sehr deutlich werden in beiden Aussagen Aspekte polizeiliche Einsatzlogik: So zeigt etwa der Umstand, dass Mouhamed, als er nach den Schüssen am Boden lag, noch gefesselt wurde, dass er auch nach den Schüssen noch als Aggressor betrachtet wurde. Mehrere Polizist*innen suchten derweil weiter nach dem Küchenmesser als „gefährlicher Tatwaffe“, völlig ungeachtet der Lage, dass der vermeintliche „Täter“ zu diesem Zeitpunkt wohl schon im Sterben lag. Herr P. hierzu: „Für uns war das Hauptproblem, dass wir zu dem Zeitpunkt das Messer noch nicht gefunden hatten.“ Mouhamed wurde zwecks Suche nach dem Messer sogar in seinen Fesseln angehoben und mindestens einige Meter weggetragen.
Der Polizist P. resümiert den Einsatz so: „Letztendlich wurde die Gefahr abgewehrt – es ist niemand mit dem Messer verletzt worden“ – nachdem seine Kolleg*innen den Jugendlichen tödlich verletzt hatten.

Nach dem Einsatz sei aber allen beteiligten Polizist*innen „unwohl“ gewesen. Gesprochen hätten alle miteinander über den Vorfall – mit wem und über was, konnten oder wollten die Zeugen jedoch nicht erinnern. Nachfragen von Staatsanwaltschaft und Nebenklage thematisieren Whatsapp-Kommunikation untereinander, diese scheinen noch prozessrelevant werden zu können.

Auch ein Gespräch zwischen Polizeipräsident Gregor Lange, allen am Einsatz Beteiligten und scheinbar weiteren Mitarbeitenden der Wache Nord wenige Tage nach der Tat wird thematisiert. In diesem sei es laut Zeugen nur um die Zusicherung „allgemeiner Unterstützung“ gegangen, an weiteres können sie sich nicht erinnern.

Es geht weiter nächsten Mittwoch, den 6. März, ab 7:30 mit einer Mahnwache vor der Kaiserstraße 34 und um 9:30 mit dem Prozess (Eingang Hamburger Straße 11).

Radio Nordpol – Beitrag zum 6. Prozesstag

In dem Beitrag zum sechsten Prozesstag (28.02) hat das Radio Nordpol mit
der Anwältin der Nebenklage Lisa Grüter, zwei Vertreter*innen von Backup,
Alex vom Solidaritätskreis Justice4Mouhamed und dem freien Journalisten Frido
über den Prozess gesprochen. Außerdem wurde mit William Dountio vom Solidaritätskreis Justice4Mouhamed über die Wahrnehmung des Prozesses für die Brüder Sidy und Lassana Dramé und überhaupt für Schwarze Menschen gesprochen.

Hier klicken, um den Inhalt von radio.nrdpl.org anzuzeigen

Bericht vom 5. Prozesstag – 21.02.2024

Der fünfte Prozesstag in Kürze:

Hinweis zum Inhalt: In diesem Text werden Aspekte der Tat beschrieben.

  • 4 Zeug*innen aus der Jugendhilfeeinrichtung werden (weiter) befragt.
  • Die Mitarbeiterin Frau A. beschreibt, dass Mouhamed sich während der Ansprache durch die Mitarbeitenden etwas entspannt habe und das an den Oberkörper gehaltene Messer senkte. Die spätere Ansprache der Polizei beschreibt sie als zu kurz.
  • Der Zeuge Herr P. gibt wieder an, Mouhamed habe nicht aggressiv gewirkt, sondern abwesend, in sich ruhend, “als wäre er in seinem eigenen Kopf”. Er gibt auch an, den Befehl “Vorrücken, einpfeffern, das volle Programm, die ganze Flasche” gehört zu haben, ebenso steht es im verlesenen Funkverkehr. Der Zeuge habe dann beobachtet, wie Mouhamed nach dem Einsatz des Pfeffersprays aus der Ecke herausgekommen und langsamen Schrittes und mit seitlich des Körpers herunterhängenden Armen auf die Polizeibeamten zugegangen sei. Seine Bewegung beschreibt Herr P. als “desorientiert, nicht zielorientiert”.
  • Verteidiger Brögeler setzt zur Verunglaubwürdigung aller zivilen Zeug*innen an, indem er (vermeintliche) Widersprüche in deren Aussagen kontrastiert. Dies scheint eine Vorbereitung darauf zu sein, die folgenden Polizeizeug*innen als “Berufszeug*innen”als einzig wirklich verlässliche Aussagende zu etablieren.
  • Anträge der Nebenklage, z.B. zur Hinzuziehung von Materialien aus der Akte wie 3D-Bilder des Tatorts, werden unter ausbleibender Unterstützung der Staatsanwaltschaft wiederholt von der Kammer abgeblockt, diesmal auch mit Gerichtsbeschluss.
  • Ab dem nächsten Prozesstermin sagen weitere beteiligte Polizist*innen als Zeug*innen aus. Die Kammer terminiert die Prozesstermine bis September 2024.
  • Nächster Termin: Mittwoch, 28. Februar, um 9:30 (Hamburger Straße 11) / Mahnwache ab 7:30, Kaiserstraße 34. Kommt hin!

Ausführlicher Bericht vom 5. Prozesstag

Hinweis: In diesem Text werden Aspekte der Tat beschrieben.

Der fünfte Prozesstag beginnt wieder mit einer Mahnwache des Solikreises vor dem Haupteingang des Landgerichts sowie langem Warten vor dem Extraeingang für Besucher*innen auf dessen Rückseite. Erfreulich: Viele solidarische Menschen kommen weiterhin und füllen mit uns die ersten Reihen im Saal.

Wegen ausführlichen Kontrollen mit Blicken in Portemonnaies, Schreibhefte und Bonbonschachteln verzögert sich der Prozessstart erneut um eine halbe Stunde bis 10:00 Uhr. Dies merkt Oberstaatsanwalt Dombert noch vor Beginn kritisch an, weist die Kammer sowie Justizbeamt*innen an, den Einlass ab jetzt eine Stunde früher zu beginnen. Die Justizbeamten geben an, dies nach Möglichkeit umzusetzen.

Die Brüder Mouhameds Sidy und Lassana Dramé sind heute bereits das dritte Mal zugegen und freuen sich erklärtermaßen, bei den für sie anstrengenden Prozesstagen von vielen solidarischen Menschen begleitet zu werden.

Heute sind vier Zeug*innen geladen, zwei von ihnen wurden bereits am dritten Prozesstag (17.01.2024) gehört.  Alle vier sind Mitarbeitende der Jugendhilfeeinrichtung St. Antonius und waren beim Polizeieinsatz im Innenhof der Wohngruppe zugegen. Ihre Aussagen waren bereits während der staatsanwaltschaftlichen Ermittlung wichtig und sind nun im Prozess wohl zentral – sind sie doch die einzigen (unabhängigen) Augenzeug*innen der Geschehnisse neben den am Einsatz beteiligten Polizist*innen.

Fortsetzung der Aussagen zweier Sozialarbeiter vom 17.01.2024

Zuerst wird der Zeuge G., sozialpädagogischer Leiter der Wohngruppe, noch einmal in den Zeugenstand gerufen, um Bilder und Asservate anzusehen, von denen Teile am dritten Prozesstag nicht auffindbar waren. Anschließend folgen letzte Fragen verschiedener Prozessbeteiligter.
Nebenklagevertreter Prof. Thomas Feltes beantragt zum Zweck der Befragung von G., die von der Recklinghäuser Mordkommission „Holstein“ beim LKA beauftragten 3D-Bilder des Tatorts zu zeigen. Die Nebenklage gibt an, dass Zeug*innen so besser die Standorte der Anwesenden im Innenhof bestimmen könnten, als auf den ausgedruckten und vorgehaltenen 2D-Ausdrucken von Tatortfotos. Nach ausbleibender Unterstützung der Staatsanwaltschaft und Widerspruch seitens der Verteidiger lehnt Richter Kelm den Beweisantrag ab. Begründung: Nicht alles, was sich in der Akte befinde, müsse auch vor Gericht verwendet werden. Wenn sich später eine Verwendung der Bilder als notwendig herausstelle, müssten Zeug*innen eben noch einmal geladen werden. Die Fragen, welche die Nebenklage auf Basis der 3D-Bilder an den Zeugen hätten, können so heute nicht gestellt werden.
G. wird nach nur zehnminütiger Befragung unvereidigt entlassen.

Dann wird der ehemalige Mitarbeiter der Einrichtung, Zeuge P., aufgerufen. Seine Zeugenaussage musste im Januar wegen emotionaler Belastungen und fehlender Sensibilität seitens des Gerichts im Verlauf seiner Befragung unterbrochen werden. P. darf heute eine ihn unterstützende psychosoziale Prozessbegleitung mitbringen – auch wenn sich Richter Kelm vor dem Eintreten der Beiden bemüßigt sieht mitzuteilen, dass eine solche Begleitung prozessual „nur bei Opfern“ vorgesehen sei, der Zeuge P. die Begleitung also eigenständig organisieren und finanzieren musste.
Die Befragung wird zunächst durch die Staatsanwaltschaft fortgesetzt. Erneut entsteht heute bei allen Zeug*innen, teils mehrfach, die Situation, dass sie zum Richtertisch gerufen und dort von Prozessbeteiligten umringt werden, die ihrer Aussage folgen wollen. Bis zu 15 Personen stehen dabei um Kelm und die Zeug*innen herum, während sie Positionen auf Ausdrucken auf dem Richtertisch anzeigen sollen. Dieses Vorgehen stellt nicht nur eine bedrängende Situation für die Zeug*innen her und geht eventuell auf Kosten der Präzision ihrer Aussagen, sondern macht auch das Prozessgeschehen in diesen Momenten für Presse und Beobachter*innen nicht nachvollziehbar und eine simultane Übersetzung für die Brüder Mouhameds unmöglich.
Als die Nebenklage den Zeugen befragen darf, will Prof. Feltes wieder Abbildungen aus dem Sonderheft der Akte hinzuziehen. Dies wird erneut abgelehnt, Prof. Feltes fordert nun jedoch einen formalen Gerichtsbeschluss hierfür, den die Kammer nach kurzer Beratung tätigt.
In der Befragung durch RAin Lisa Grüter für die Nebenklage beschreibt P. den Nachmittag des 8. August erneut eindringlich. Mouhamed habe nicht aggressiv gewirkt, sondern abwesend, in sich ruhend, “als wäre er in seinem eigenen Kopf”.
Er gibt auch an, den Befehl “Vorrücken, Einpfeffern, das volle Programm, die ganze Flasche” gehört zu haben. Auf Nachfrage gibt er an, in keiner der beiden Einsatzbesprechungen sei das Hinzuziehen einer psychologisch geschulten Kraft oder anderer Polizeieinheiten erwähnt worden. Der Zeuge habe dann beobachtet, wie Mouhamed nach dem Einsatz des Pfeffersprays aus der Ecke herausgekommen und langsamen Schrittes und mit seitlich am Körper herunterhängenden Armen auf die Polizeibeamten zugegangen sei. Seine Bewegung beschreibt P. als „desorientiert, nicht zielorientiert”, gibt auf Nachfrage an, die Arme und Schultern gesehen zu haben, während die Hände und das Messer durch den am Tatort abgestellten Smart verdeckt gewesen seien.
Der Zeuge wird um kurz vor 11:00 Uhr unvereidigt entlassen und verlässt sichtlich erleichtert den Saal.

Im Anschluss erhebt RA Brögeler, der die wegen des Pfeffersprayeinsatzes angeklagte Polizistin Jeannine Denise B. verteidigt, für eine Prozesserklärung das Wort. Eindeutig prozesstaktisch platziert, angesichts des zuvor Gehörten trägt er vor: „Eindrucksvoll“ hätten die Aussagen „belegt“, dass der Zeugenbeweis „der unsicherste Beweis sei, den der Strafprozess kennt”.
Anschließend seziert er etwaige Widersprüche in Aussagen der Zeugen G. und P. – vergisst oder unterschlägt dabei selbst andere Teile der Aussagen. Während der Zeuge P. von langsamen Gehen berichtet habe, habe Herr G. von schnellem Rennen gesprochen. Solch gegensätzliche Wahrnehmungen würden, laut Brögeler, keinerlei valide Rückschlüsse für das Gericht zulassen. Einordnung: Der Zeuge G. sagte am dritten Verhandlungstag, explizit auf ein möglicherweise von ihm beobachtetes „Rennen“ Mouhameds angesprochen: „Das habe ich nicht gesehen“. Als Antwort auf einen späteren Aktenvorhalt mit jener Formulierung in der Polizeivernehmung antwortete G. am 17.01, dass dies scheinbar falsch protokolliert worden sei.

Richter Kelm reagiert knapp auf die Einlassungen des RA Brögelers und kommentiert, dass ja noch reichlich andere Zeug*innen folgen würden.

Zwei weitere am Tatort anwesende Mitarbeitende sagen aus

Es folgt die Befragung des Erziehers Herrn W., welcher von den wenigen Tagen berichtet, die Mouhamed in der Einrichtung (über)lebte, nachdem er erst Anfang August dort einzogen war. Er berichtet, dass Mouhamed sichtlich traumatisiert gewirkt und er mit Google-Translate darüber mit ihm bruchstückhaft kommuniziert habe, weil Mouhamed kein Deutsch verstanden habe. Lediglich auf Französisch und Wolof sei eine Kommunikation mit ihm richtig möglich gewesen. Weiter erzählt W. von der Situation in der Nacht vom 6. auf den 7. August, als er Dienst hatte: Mouhamed habe gesagt, er „könne hier nicht bleiben“. Die Verständigung sei nicht einfach gewesen, aber sie hätten einzelne Sätze über eine Übersetzungsapp auf Französisch und Deutsch ausgetauscht. Er fühle sich einsam, ihm fehle ein Ansprechpartner, habe Mouhamed gesagt und auch, dass er am liebsten in den Senegal zurückkehren wolle. Er habe seine Tasche gepackt und sich nicht davon abbringen lassen, schließlich die Einrichtung zu verlassen.

Unverzüglich habe man dann eine Vermisstenmeldung aufgegeben, später habe sich herausgestellt, dass Mouhamed von der Polizei zur psychiatrischen LWL-Klinik in Dortmund Aplerbeck gebracht worden sei, wo ein Dolmetscher hinzugezogen wurde. Erst habe die Klinik keine Einzelheiten berichten wollen. Als von Mouhamed hierfür ein Einverständnis gegeben worden sei, seien sie schließlich gegen 0:00 Uhr über seine Situation informiert worden. Nach seiner Rückkehr in die Einrichtung sei es ihm nicht gut gegangen. Am 8. August gegen 16 Uhr hätten dann Anwohnende die Einrichtung über einen in der Ecke des Grundstücks sitzenden Jungen informiert. Wie die bisherigen Zeugen beschreibt W. die erfolglosen Versuche einer Kommunikation mit Mouhamed und die Entscheidung die Polizei zu informieren.
Den dann folgenden Polizeieinsatz konnte der Zeuge W. beobachten, weil er ebenfalls im Hof der Einrichtung stand. Auch er schildert wie alle bisherigen Zeug*innen die Ansprechversuche der zivilen Einsatzkräfte, das dann folgende Heranrücken und Umstellen Mouhameds durch uniformierte Polizist*innen und den Einsatz des Pfeffersprays. Er habe Mouhamed danach  „in schneller Bewegung” aus der umstellten Nische herauskommen sehen, die Arme dabei nicht erhoben, sondern seitlich angewinkelt „wie beim Rennen“. Alles sei unglaublich schnell gegangen, dann habe er fünf bis sechs Schüsse in „sehr schneller“ Abfolge gehört, Mouhamed sei vor dem Smart zu Boden gegangen, er habe ihn dort blutend wahrgenommen.
Spätere Nachfragen der Nebenklage ergeben, dass Herr W. die Laufgeschwindigkeit und Körperhaltung Mouhameds vor den Schüssen höchstens über eine Strecke von zwei Metern beobachten konnte – da der Smart sein Sichtfeld beschränkte. Mit Blick auf die örtlichen Begebenheiten des Tatorts und etwaige Blickwinkel und -möglichkeiten ist nun vielfach die Position der Zeug*innen, des Smarts, der Zäune und Wände sowie verschiedener Sträucher von Relevanz – immer wieder werden Positionierungen und Markierungen auf Aktenfotos erwähnt. Herr W. muss im Verlauf seiner Aussage mehrfach aufstehen und diese am Richtertisch Kelms bestätigen. Was jedoch dahingehend gesagt und vor allem gezeigt wird, geht an Presse und Zusehenden weiterhin vorbei. Den Abstand von Mouhamed zu den Beamten nach deren Aufstellung im Hof und vor der Schussabgabe schätzt W. auf Nachfrage auf 4-5 Meter.

Herr W. wird schlussendlich nach fast einstündiger Befragung um kurz vor 12:00 Uhr unvereidigt entlassen.

Zuletzt wird die Sozialarbeiterin Frau A. befragt. Richter Kelm adressiert unmittelbar „Schwierigkeiten”, die es in der dreistündigen Polizeiaussage von Frau A., die nicht Deutsch-Muttersprachlerin ist, gegeben habe. Anders als bei ihrer polizeilichen Vernehmung wird Frau A. heute auch ein Übersetzer gestellt, der, falls nötig, Deutsch-Englisch dolmetschen soll. A. will jedoch vorerst auf Deutsch aussagen. Sie erzählt, dass sie in der Einrichtung zuständig für Mouhamed gewesen sei, auch wenn er zum Tatzeitpunkt dort erst eine gute Woche gelebt hatte. Bei einem gemeinsamen Ausflug sei er noch sichtlich „gut drauf“ gewesen, am Wochenende sei es ihm dann nicht gut gegangen. Die Zeugin A. war zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht in der Einrichtung, berichtet nur, wie Mouhamed dann am Montag (8. August) gegen 14:00 Uhr aus der LWL-Klinik zurückgekehrt sei.
Auch sie war bei den ersten Kontaktversuchen seitens der Mitarbeiter*innen dabei, als Mouhamed kauernd in der Nische zwischen Kirchenmauer und Metallzaun vorgefunden worden sei. Wie vorherige Zeug*innen beschreibt auch sie die Situation, als Mouhamed mit dem Messer auf sich gerichtet und in sich gekehrt dort gesessen habe. Sie beschreibt erstmals, dass Mouhamed sich während der Ansprache etwas entspannt und das an den Oberkörper gehaltene Messer gesenkt habe. Als das Wort „Polizei” gerufen worden sei, habe er dieses indes wieder hochgenommen.
Weiter sagt sie aus, dass dann zwei Polizisten in Zivil den Hof betreten hätten, die sie zuerst jedoch nicht als solche erkannt habe und die sich auch nicht zu erkennen gegeben hätten. Sie hätten einfach an ihr vorbeilaufen wollen, bis sie gesagt habe „Ne, das geht nicht!“. Mit ihren Rucksäcken hätten die Beiden für sie so ausgesehen, „als machten sie eine Wanderung“. Nach einem kurzen Gespräch seien sie gegangen. Erst als sie kurze Zeit später in Begleitung der uniformierten Beamt*innen zurückgekehrt seien, habe sie erkannt, dass es wohl Polizisten seien.
Zum polizeilichen Erscheinen im Hof der Einrichtung und besonders mit Blick auf die mitgebrachte und offen getragene Maschinenpistole MP5 sagt sie vor Gericht: “Es kam sofort in meinen Kopf: Wir haben sie zur Hilfe gerufen – warum kommen sie mit solchen Sachen?”

Sie berichtet dann von einer Ansprache Mouhameds auf Portugiesisch – einer Sprache, die er bekanntermaßen nicht verstand, die gesamte Ansprachesituation beschreibt sie als zu kurz. Auf Nachfrage erläutert A., sie hätte eine längere Ansprache für erfolgversprechend gehalten, da ja die Versuche des Betreuers W. Mouhamed schon etwas offener habe erscheinen lassen. „Es war zu kurz! Sie haben es nicht so richtig versucht!“
Dann habe sie alles „nicht mehr fassen“ können, „papp, papp, papp – Schüsse“, sie sei dann erst weggerannt, habe schließlich hinter einem der Betreuer Sicherheit gesucht.
Nebenklagevertreter Prof. Feltes bemerkt in seinen Fragen an die Zeugin, dass merklich sei, „wie zunehmend belastend“ die Aussagesituation sei. Ein Umstand, der auch zahlreichen Zuschauer*innen klar wird, zumal der Zeugin bei einem des Heranrufens an den Richtertisch das originale Küchenmesser, verpackt in einer durchsichtigen Plastikröhre, unmittelbar vor das Gesicht gehalten wird.
Während die Nebenklage  A. befragt, unterbricht Staatsanwältin Gülkin Yazir die Antwort der Zeugin. Sie richtet sich über ihren Kopf hinweg an den Übersetzer, fordert ihn auf, nun doch bitte „einzugreifen”. Insgesamt zeichnet sich das Bild einer unguten Befragungsdurchführung, die keinerlei Rücksicht oder Raum für eigene (Rassismus-)Betroffenheiten und erneut keinen sensiblen Umgang mit Emotionen bereithält.
Eklatante Nichtbeachtung von traumatisch Erlebtem wie auch von etwaigen Kommunikationsbarrieren offenbaren sich auch mit Blick auf die polizeiliche Befragung der Zeugin A. Wenige Tage nach dem Erleben des tödlichen Polizeieinsatzes wurde sie über drei Stunden befragt, ohne Hinzuziehung einer dolmetschenden Person. Für Verwirrung und teils triumphierende Blicke seitens der Verteidigung sorgen vermeintliche Widersprüche oder auch nur Abweichungen der heutigen Aussage von A. von der Abschrift ihrer Polizeivernehmung, wobei unklar bleibt, ob die Zeugin diese überhaupt anschließend zur Kenntnisnahme ordentlich vorgelegt bekommen hat.

Nach ca. einstündiger Aussage wird die Zeugin A. gegen 13:00 Uhr unvereidigt entlassen.

Damit endet dann auch recht unvermittelt der fünfte Prozesstag, an dem erneut Anliegen und Anträge der Nebenklage systematisch von der Kammer blockiert und Zeug*innen in Teilen mehr als unempathisch befragt wurden.
Ab dem nächsten Prozesstag sagen Polizist*innen als Zeug*innen aus, die am Einsatz beteiligt waren, denen aber keine strafrechtliche Verantwortung seitens der Staatsanwaltschaft zugeschrieben wird.