Bericht vom 26. Prozesstag – 28.10.2024

Hinweis zum Inhalt: Im folgenden Bericht werden die Notfallbehandlung an Mouhamed Dramé und sein Tod beschrieben. Das kann sehr belastend zu lesen sein. Bitte achtet auf Euch oder überspringt den Text.

Am heutigen 26. Prozesstag ist ein Arzt geladen, der Mouhamed am 08. August 2022 im Schockraum des Klinikums Nord behandelte.

Der Zeuge ist als Chirurg in der Unfallklinik der Klinik Nord tätig. Kurz vor dem regulären Feierabend am 8. August 2022 erreichte ihn die Vorankündigung eines schwerverletzten Patienten durch Schusswaffengebrauch. In solchen Fällen wartet ein großes, interdisziplinäres Team im Schockraum auf die Einlieferung des Patienten.

Die Ankunft von Mouhamed war laut Aussage des Zeugen chaotisch, unter anderem, weil die notärztliche Versorgung im Rettungswagen nicht funktioniert habe wie gewünscht. Mouhamed lebte zum Zeitpunkt des Eintreffens im Klinikum noch. Der Zeuge beschreibt Mouhamed als „unruhig“; die Behandler*innen hätten sich schwer getan, ihn zu beruhigen. Die Frage des Richters, ob Mouhamed geredet oder die Behandlung abgewehrt habe, bejaht der Zeuge.

Zuerst seien arterielle Blutmessungen in die Wege geleitet und versucht worden sein, eine Narkose zu verabreichen, woraufhin mit diagnostischen Maßnahmen begonnen wurde. Kurz darauf sei Mouhameds Kreislauf kollabiert und er reanimationspflichtig geworden. Eine Stunde lang sei versucht worden, ihn zu reanimieren, jedoch ohne Erfolg. Der Zeuge sagt: „Bei so einem jungen Mensch macht man sich das nicht leicht, die Reanimationsmaßnahme zu beenden. Doch es war aussichtslos.“ Die gesamte Behandlung bis zur Feststellung des Todes habe etwa eine Stunde und vierzig Minuten gedauert.

Der Zeuge berichtet von sichtbaren Verletzungen in der rechten Gesichtshälfte, Blut an der Vorderseite des Rumpfes, drei Taserpfeilen im Bauchbereich und Schussverletzungen an der Vorderseite des rechten Rumpfs. Mouhameds Kleidung sei schon vor dem Eintreffen in Teilen entfernt worden. Auf die Frage des Richters, welche Verletzungen seiner Meinung nach den Tod verursacht hätten, antwortet der Zeuge, dass er keine Verletzungen gesehen habe, die „unmittelbar todesursächlich“ waren. Er könne das aber auch nicht beurteilen, da er nicht den Obduktionsbericht gelesen habe.

Zu Beginn der medizinischen Versorgung wurde eine der tödlichen Schussverletzungen im Unterbauchbereich erst für eine Verletzung von einer der Taserspitzen gehalten, da diese „nach außen hin nicht offensichtlich geblutet“ habe. Richter Kelm unterstreicht dies suggestiv mit dem Kommentar: „Sah gar nicht so gefährlich aus, ne?“ Kelms einzige Frage zu den Treffern der Taser lautet: „Eine soll in der Penisspitze gewesen sein?“ Einige Male muss der Zeuge nachfragen, da er die Fragen von Richter Kelm nicht versteht.

Auf Nachfrage der Nebenklage hin erläutert der Zeuge, dass im Rettungswagen versucht worden sei, einen Zugang in Mouhameds Schienenbein zu legen, dieser aber insuffizient gewesen sei – die verabreichten Medikamente hätten nicht die gewünschte Wirkung entfaltet. Ein Zugang im Schienbein werde in zeitkritischen Momenten oder nach zwei erfolglosen Versuchen von Venenzugängen gelegt. Dies sei bei Mouhamed der Fall gewesen.

Der Zeuge wird nach der 15-minütigen Befragung unvereidigt entlassen.

Zum Schluss des nur knapp fünfzehnminütigen Prozesstages erklärt Richter Kelm, dass es nicht möglich war, eine lehrende Person von der Polizeihochschule Gelsenkirchen als Zeug*in zu laden. Daher ist nun jemand aus Köln für den 2. Dezember geladen. Mit dem Termin möchte der Richter die Beweisaufnahme schließen und am selbigen Termin mit dem Plädoyer der Staatsanwaltschaft beginnen. Im darauf folgenden Termin (12. Dezember) sollen dann die Plädoyers der Angeklagten kommen. Zum Zeitpunkt des Plädoyers der Nebenklage und der Urteilsverkündung wurde nichts geäußert.

Weiter geht es am 04.11. um 13:00. Es wird wieder eine Mahnwache vor dem Haupteingang des Landgerichts geben. Wir freuen uns sehr über alle solidarischen Menschen, die vorbeikommen!

Stellungnahme zur SpiegelTV Doku „Tod nach Polizeieinsatz: Der Fall Mouhamed Dramé“ vom 14.10.2024

Am 14.10.2024 veröffentlichte Spiegel TV die Doku „Tod nach Polizeieinsatz: Der Fall Mouhamed Dramé“. „Wir sind erschüttert über diese Darstellungen und möchten Stellung zu den Inhalten der Dokumentation beziehen“, so Alex, Sprecher*in des Solidaritätskreises.

Die Dokumentation befasst sich fast ausschließlich, in unkritischer Weise mit dem Handeln des Schützen, Fabian S, nicht mit den Einsatzkonzepten oder der Polizei als Institution. „Es gibt kein kritisches Wort zum Einsatz, es wird von Schuld in individualisierter Form gesprochen, die niemals von uns so geäußert wurde. Uns geht es um eine umfassende Kritik. Die Polizei ist nicht die richtige Ansprechpartnerin, wenn es um psychische Ausnahmesituationen geht. Das belegen in diesem Zusammenhang die zahlreichen Toten als auch die Arbeitsweisen der Polizei“, übt Alex Kritik.

Nischik, welche den Beitrag produzierte, war zuvor für die WELT tätig und berichtete über den Gerichtsprozess. Ihre Artikel waren von Wohlwollen gegenüber der Polizei geprägt, hingegen äußerte sie sich rassistisch gegenüber Menschen mit Migrationsbiographien. Zweitere tauchen bei ihr nur in zugeschriebenen, kriminellen Kontexten auf. So schreibt sie zu „Messertaten“, „Clankriminalität“ und Drogenhandel. Polizist*innen werden verteidigt, etwa wenn es um Konsequenzen zu rechten Chatgruppen, ebensolchen Tendenzen in der Polizei sowie fragwürdigen Einsatzkonzepten, wie dem im Falle Mouhameds, geht. Man dürfe keine Vorverurteilung und keinen Generalverdacht aufstellen, heißt es. Entsprechende Rahmungen finden sich auch in der am 14.10.24 veröffentlichten Doku:

Fabian S. – Auswegloses Schießen, um Kolleg*innen zu schützen
In dem Beitrag finden wir den Schützen Fabian S. in einer Protagonistenstory wieder. Es werden Ausschnitte aus seinem Exklusivinterview mit dem WDR gezeigt, in dem der Hauptangeklagte spricht. Seine Gefühle und Gedanken zu dem Einsatzgeschehen am 8.8. stehen dabei im Mittelpunkt, wodurch der Einsatz auf ihn als Person reduziert wird. Er sei nachdenklicher geworden und habe realisiert, „wie schnell man in so eine Situation kommen kann“. Das klingt nicht nur passiv, S. verteidigt auch sein Handeln mit dem Schutz seiner Kolleg*innen und dem Wissen, das er in seiner Ausbildung gelernt habe. Zu schießen scheint dem Polizisten alternativlos zu sein, denn es fällt kein kritisches Wort zu dem Einsatzvorgehen.

„Die Institution verschwindet hier vollkommen hinter dem Individuum, was eine umfassende Verantwortungsübernahme verunmöglicht. Wir sehen hingegen eine Emotionalisierung, die Empathie hervorrufen soll. Jedoch sehr einseitig – für Fabian S., nicht für Mouhamed und seine Angehörigen, die sogar noch diffamiert werden. Für uns ist das eine klare Täter-Opfer-Umkehr!“, betont Alex, Sprecher*in des Solidaritätskreises.


Rassistische Darstellungen Mouhameds: „Flüchtling“ und „Messertäter“
Im Kontrast zu der persönlich-nahen Darstellung des Schützen steht eine von rassistischen Narrativen geprägte Erzählung über Mouhamed Lamine Dramé. Die suizidale Situation, in der Mouhamed sich befand, wird in einen Kontext mit rassistisch konnotierter, sogenannter „Messerkriminalität“ gebracht, anstatt es dabei zu belassen, dass er sich in einer psychischen Ausnahmesituationen befand. Es wird die Schilderung der Polizei übernommen, dass Mouhamed aufsprang und sich schnell auf die Polizist*innen zubewegte, obwohl diese Beschreibung höchst umstritten ist und nicht-polizeiliche Augenzeug*innen von einem orientierungslosen Aufstehen sprechen. Fakt ist jedoch, dass Mouhamed, der sich in einer Ecke zwischen Kirchenmauer und Zaun befand, mit einer ganzen Flasche Pfefferspray besprüht wurde, während er unbeweglich, apathisch vor der Mauer hockte. Als er vom Pfefferspray getroffen war, suchte er den einzigen Ausweg aus der Situation, der durch die Polizist*innen versperrt wurde. Nachdem er aufstand, wurde mit zwei Tasern auf ihn geschossen, nur 0,7 Sekunden später fielen die tödlichen Schüsse. Die Polizei eskalierte in ihrem 10 minütigen Einsatz eine statische Situation, in der es zu keinem Zeitpunkt Anzeichen einer Gefahr für Dritte gab. Doch als genau solch eine Fremdbedrohung stellt die Polizei Mouhamed seit Beginn an dar. Pressesprecher*in Alex beklagt: „Die Spiegel-Doku stellt zur keiner Zeit die Narrative der Polizei in Frage und fragt nicht nach alternativen Handlungsweisen bei Menschen in psychischen Ausnahmesituationen.“ Stattdessen werden falsche Zahlen zu einem angeblichen Anstieg sogenannter „Messertaten“ genannt¹

Darüber hinaus wird Mouhamed in der Doku als „der Flüchtling“ benannt. Ein gezielt gesetztes, aufgeladenes Wort, welches in dem Beitrag im Kontext mit dem Wort „Messertat“ verwendet wird. In Zeiten rassistischer Diskurse rund um sogenannte „Messertaten“ und Asylverschärfungen, wird Mouhamed implizit als eine gesellschaftliche Bedrohung konstruiert. Diese gesetzten Narrative zeichnen ein Bild über Mouhamed, das Empathiegefühl mit ihm schwächt und ihn als weniger schutzbedürftig darstellt. Informationen, die ihn als Menschen nahbar machen, werden bewusst vorenthalten. Stattdessen wird das Bild eines „Sozialschmarotzers“ gezeichnet, welcher persönliche Angaben verfälscht um die Chance auf einen Bleibestatus zu erhöhen. Auch seine Brüder, die im Beitrag gezeigt werden, werden nicht als Nebenkläger vorgestellt, sondern als Angehörige, die durch Spenden finanziert seit Januar zugegen sind. „Der Solidaritätskreis ist sich einig, dass diese Darstellung rassistische Vorurteile befeuert und Rechten in die Hände spielt. Gerade in Zeiten, in denen die AfD Wahlrekorde verzeichnet und rassistische Inhalte mehr als sagbar geworden sind, ist das fatal. Wir sind schockiert, dass solche Beiträge im Spiegel-Format gesendet werden. Eine Gleichsetzung von Angriff und Suizidalität und die Schlussfolgerung, die Polizei habe keine andere Wahl: Das hat nichts mit Qualitätsjournalismus zu tun!“


Generalverdacht und Vorverurteilung durch die „linksextreme“ Szene
Jegliche Kritik an dem Vorgehen der Polizei am 8.8.22, welches zu dem Tod von Mouhamed führte, wird durch Schlagworte, wie „Generalverdacht“ und „Vorverurteilung“ abgeschmettert. Die Kritik, welche aus vielen Teilen der Gesellschaft kommt, wird einer diffusen, nicht näher beschriebenen linksextremen Szene zugeordnet. Nicht nur in den letzten Jahren gab es neben öffentlich-kritischen Stimmen auch wissenschaftliche Veröffentlichungen zur polizeilichen Organisation, Paradigmen, Hintergründen und Einsatzkonzepten². Das ZDF, Monitor und weitere Formate, die sich von „Linksextremen“ distanzieren würden, zeigten kritische Berichterstattungen. Die Benennung des tödlichen Vorgehens der Polizei als rassistische Polizeigewalt, wird in der Doku als „Vorverurteilung durch Aktivisten“ stilisiert. In diesem Kontext wird auch ein Journalist diskreditiert, indem unbegründete Mutmaßungen angestellt werden, er würde bei einer Gruppe mitarbeiten, die vom Verfassungsschutz als linksextrem eingestuft wird. Darüber hinaus wird die aktive Teilnahme an einer Veranstaltung, bei der das Vorgehen der Polizei in Verbindung mit den tödlichen Fälle von Mouhamed und Ante P. kritisiert wird, gegen ihn gewendet. Der Solidaritätskreis solidarisiert sich mit dem angegriffenen Journalisten und kritisiert scharf das unprofessionelle Vorgehen Nischiks.

Die Auseinandersetzung mit rassistischen Strukturen wird damit abgewehrt, dass der Schütze sagt: „[…] die Aktivisten haben die Schuldfrage schon weit im Voraus geklärt. […] Wenn man sagt, dass es auf die Hautfarbe nicht ankommt, dann interessiert die das nicht, das glauben die nicht“. „Solche Aussagen verteidigen tödliche Einsatzlogiken an sich und lassen außer acht, dass vor allem Schwarze Menschen, Menschen in psychischen Ausnahmesituationen als auch obdachlose Menschen von tödlicher Polizeigewalt betroffen sind“, konstatiert Alex.

Der Solidaritätskreis Justice4Mouhamed fordert weiterhin eine Verantwortungsübernahme, die nicht in der Bestrafung von Einzelpersonen, sondern in einer Transformation zu gegenseitiger Hilfe und dem Ausbau sozialer Strukturen und niedrigschwelliger Unterstützungsangebote liegt. Der Spiegel kommt zu dem Ergebnis, dass „nicht Rassismus, sondern möglicherweise falsche Entscheidungen in [einer] komplexe[n] Einsatzsituation“ zu Mouhameds Tod geführt haben. Diese Entscheidungen sind kein Einzelfall, haben Struktur und erfordern laut dem Solidaritätskreis eine kritische Aufarbeitung und keine Darstellungen, die polizeiliches Vorgehen gegen Kritik immunisiert und rechten Narrativen in die Hände spielt.


¹Wir verweisen hier auf folgende Artikel, die sich mit den sogenannten „Messertaten“ auseinandersetzen:

Mediendienst Integration. (2023, 7. Januar). Artikel | | Artikel | MDI. Mediendienst Integration. https://mediendienst-integration.de/artikel/messerangriffe-statistik-und- berichterstattung.html (zuletzt aufgerufen 29.11.2024 12:00 Uhr)

Miller, J. (2024, 5. April). #Faktenfuchs: Warum die Messerangriff-Zahlen intransparent sind. BR24. https://www.br.de/nachrichten/wissen/faktenfuchs-warum-die-messerangriff-zahlen- intransparent-sind,TpdrehK (zuletzt aufgerufen 29.11.2024 12:02 Uhr)

Wilke, T. (2023, 24. März). Offizielle(!) Zahl der Messer-Attacken halb so hoch wie die sog. “Experten” Volksverpetzer. https://www.volksverpetzer.de/analyse/selbsternannte-messer- experten/ (zuletzt aufgerufen 29.11.2024 12:05 Uhr)


² Exemplarisch nennen wir folgende Beispiele für Literatur zu der Kritik an der Polizei. Aufgeführt sind lediglich wissenschaftliche Publikationen:

Abdul-Rahman, L., Espín Grau, H., Singelnstein, T. (2023). Gewalt im Amt Übermäßige polizeiliche Gewaltanwendung und ihre Aufarbeitung. Campus Verlag

Amjahid, M. (2024). Alles nur Einzelfälle? Das System hinter der Polizeigewalt Über Racial Profiling, NSU 2.0 und Machtmissbrauch in der Polizei. Piper

Derin, B., Singelnstein, T. (2022). Die Polizei. Helfer, Gegner, Staatsgewalt Inspektion einer mächtigen Organisation. Ullstein.

Loick, D. (2018). Kritik der Polizei. Campus Verlag

Schmidt, S. (2022). Affekt und Polizei. Eine Ethnografie der Wut in der exekutiven Gewaltarbeit. Transcript Verlag

Radio Nordpol – Beitrag zum 25. Prozesstag

Das Radio Nordpol richtet in dieser Folge den Blick nach Mannheim: Dort wurde im Revisionsverfahren das Urteil gegen den Hauptangeklagten aufgehoben. Somit wird der Tötung von Ante P. am 02. Mai 2022 in Mannheim erneut verhandelt werden.
Die Familie von Ante P. und die Nebenklage brauchen umso mehr unsere Unterstützung. Der Kampf und Gerechtigkeit kostet viele Ressourcen – am Geld sollte dieser Kampf nicht scheitern. Wir erneuern daher unseren Spendenaufruf: https://www.betterplace.org/de/projects/133751

Außerdem wurde ein inhaltlicher Schwerpunkt für diesen Beitrag gesetzt und der Fokus auf die lange erwartete Polizeistudie des Bundesministeriums gesetzt. Wir hören zu den Ergebnissen dieser Studie Kommentare aus der Redaktion sowie vom Solikreis Justice4Mouhamed. Der Solikreis kommentiert zum Schluss die erneuerten Fortbbildungsmaßnahmen der Polizei NRW.

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Bericht vom 25. Prozesstag – 07.10.2024

Im folgenden Text werden Details des Einsatzes gegen Mouhamed Dramé beschrieben.

Am heutigen, nur etwa zwanzigminütigen Prozesstag ist der fünfzigjährige Polizeibeamte Sebastian F. als Zeuge geladen, der am 8. August 2022 für die Sicherung des Tatorts in der Missundestraße zuständig war. Sebastian F. hat bis vor zwei Jahren in der Wache Nord gearbeitet, dann in der Wache West in Huckarde, und ist nun bei der Kreispolizeibehörde im Hochsauerlandkreis tätig. Alle Angeklagten sind ihm von der Arbeit in der Wache Nord bekannt. Prozessbesucher*innen können beobachten, wie er beim Herausgehen dem Schützen Fabian S. zuzwinkert, woraufhin dieser errötet und starr vor sich hinblickt.

Die Befragung des Zeugen ist sehr kurz und führt inhaltlich zu keinen neuen oder wichtigen Erkenntnissen. Er sagt aus, dass sich zum Zeitpunkt seines Eintreffens am Tatort Mouhamed Dramé im Rettungswagen befand, er von Kolleg*innen am Tatort eingewiesen wurde und dann etwa das Einsammeln der Patronenhülsen beaufsichtigte.

Nach Beendigung der Befragung verliest Richter Kelm ein weiteres Gutachten zur DNA-Analyse am Messer, das Mouhamed gegen sich selbst gerichtet hatte, sowie an verschiedenen Stellen am Tatort. Die DNA-Analysen bestätigten, dass das Blut, das sich am Messer, dessen Griff, sowie am Auto befanden, in dessen Nähe Mouhamed sich beim Treffen der Schüsse befand, mit dessen Blut übereinstimmt.

Am Ende des kurzen Prozesstages verkündet Richter Kelm, dass noch die Aussagen des Schützen Fabian S. aus dem WDR-Podcast „Mouhamed Drame – Wenn die Polizei tötet“ bei einem der nächsten Prozesstermine abgespielt werden sollen (https://www1.wdr.de/mediathek/audio/wdr/mouhamed-drame/index.html). Fabian S. Interview in diesem Podcast werde dabei als Einlassung („Aussage“) gehandelt. Daraufhin entrüstet sich, authentisch überrascht von der Verkündung, der Verteidiger, sein Mandant habe doch bereits eine Einlassung gemacht. In diesem Tumult endet der Prozesstag.

Der nächste angesetzte Termin am 23.10. entfällt!

Weiter geht es am 28.10. um 9:00 (NICHT 9:30!). Dabei werden der zuständige Arzt aus dem Klinikum Nord, in das Mouhamed eingeliefert wurde, sowie der Dolmetscher befragt, der am Tag vor der Tat in der Psychiatrie in der Dortmunder LWL-Klinik bei Mouhameds Begutachtung übersetzte. Es wird wieder eine Mahnwache vor dem Haupteingang des Landgerichts geben. Wir freuen uns sehr über alle solidarischen Menschen, die vorbeikommen! Die weiteren Termine sind zu finden unter: https://justice4mouhamed.org/prozessbegleitung/.

Bericht vom 24. Prozesstag – 11.09.2024

Der folgende Text enthält Beschreibungen aus der Polizeiausbildung, dem polizeilichen Schießen und Umgang mit Menschen in psychischen Ausnahmesituationen.

Für den heutigen Prozesstag ist ein Polizeibeamter geladen, der als Ausbilder beim Landesamt für Ausbildung, Fortbildung und Personalangelegenheiten der Polizei in Selm arbeitet. Ulrich B. ist Fachkoordinator der Abteilung 4 und zuständig für die Lehrinhalte im Bereich Gefahrenabwehr, konkret für das Modul „Schießen / Nicht-Schießen“.

In der Befragung wird der Reihe nach durchgegangen, welche Ausbildungsinhalte zu den beim Einsatzgeschehen am 8.August 2022 eingesetzten Waffen RSG (Pfefferspray) DEIG (Taser) und MP5 (Maschinenpistole) gelehrt werden.

Die Polizeistudent*innen werden in der Ausbildung am RSG3, welches mit RSG6-Kartuschen befüllt ist, angelernt. Dieses unterscheidet sich zum RSG8 durch geringere Füllmenge (45 ml) und Reichweite (ca. 4 m). Der Umgang mit dem RSG8 selbst werde in der Ausbildung nicht gelehrt. Die Studierenden erlernen die Handhabung des RSG3 in zwei Unterrichtsstunden. Dazu gehört das Laden des Reizstoffsprühgeräts, das Herstellen der Einsatzbereitschaft des Geräts, das Einüben der Androhung, das Zielen auf stehende sowie bewegliche Ziele und der sogenannte Systemwechsel (Wechsel vom RSG zur Pistole). Auch werden, für den Fall, dass bei der getroffenen Person keine Wirkung einsetzt, Ausweichbewegungen geübt. Das Grundlagentraining werde mit zwei Einsatzkräften in Rollenübungen vermittelt.

In der Ausbildung werden keine Prozentzahlen vermittelt, wie oft das RSG bei getroffenen Personen, die in der Aussage als „Störer“ oder „Täter“ bezeichnet werden, eine Wirkung entfalte. Jedoch lernen die Studierenden, dass es unter anderem bei Menschen in psychischen Ausnahmesituationen unter Umständen keine Wirkung entfalten kann. Jedoch sei beim Einsatz des RSG zweitrangig, ob es wirke oder nicht; bei ausbleibender Wirkung können Folgemaßnahmen geschehen, wie Ausweichbewegungen zur Seite, die immer möglich seien, wenn die räumlichen Verhältnisse es zulassen. Seien diese nicht möglich, müsse die einsatzleitende Person entscheiden, wie weiter vorgegangen wird. Eine Möglichkeit sei dann der Einsatzmehrzweckstock (Schlagstock).

Zum Distanzelektroimpulsgerät (DEIG) kann der Ausbilder nichts sagen, da es nicht Bestandteil der Ausbildung ist. Es werde in NRW aktuell in 18 Behörden verwendet.

Für die Ausbildung an der Pistole sind während des Polizeistudiums 159 Stunden vorgesehen. Nach der Erstübung, noch vor dem ersten Praktikum, wird die sogenannte LÜTH-Prüfung abgelegt (Landeseinheitliche Überprüfung der Treff- und Handhabesicherheit). Danach dürfe die Waffe mitgetragen werden. Nach Beendigung des Hauptstudiums und einer weiteren Schießprüfung darf dann auch mit der MP5 geschossen werden. In Übungsszenarien wird während des Studiums nur mit der P99 trainiert. Es gebe keine dienstlichen Anweisungen bei welchen Einsatzlagen sich mit einer MP5 ausgestattet und diese eingesetzt werden solle. B. betont, dass die Verwendung von Schussaffen „ultima ratio“ sei.

Mit dem Einstellungsjahr 2024 wurde das neue Konzept aus der Fortbildung der Polizei NRW bezüglich des Umgangs mit Menschen in psychischen Ausnahmesituationen (MEPAS) auch für die Ausbildung übernommen. Für diese Inhalte sind 16 Stunden vorgesehen. Zuvor sei der Umgang mit Menschen in psychischen Ausnahmesituationen im Curriculum der fachpraktischen Ausbildung nicht thematisiert worden, sondern lediglich in Modulen an der Polizeihochschule. Durch das neue Konzept sollen die Studierenden dazu befähigt werden, zu erkennen, wenn Menschen sich in einer psychischen Ausnahmesituation befinden.

Konkrete Fragen zu dem Konzept kann B. nicht beantworten. Er beruft sich darauf, dass er und seine Kolleg*innen eine Fortbildung mit den neuen konzeptualen Inhalten selbst noch erhalten müssten. Warum das neue Konzept eingeführt wurde, könne er nicht sagen. Ob das etwas mit dem tödlichen Einsatzvorgehen am 8. August 2022 zu tun habe, wisse er nicht.

Zum Umgang mit Messern sagt B. aus, dass diese Einsatzsituationen werde in verschiedenen Rollen- und Situationstrainings geübt. Vorgesehen sind 14 Stunden im Zuständigkeitsbereich „Eingriffstechniken“. Bei dem Training solle geübt werden, „mögliche Angriffe durch einen Täter mit Messer im Nahbereich durch Notmaßnahmen abzuwenden“. Zu den Notmaßnahmen zähle der Einsatz des RSG oder die Schusswaffe. Wichtig sei, , situations- und ortsabhängig, einen möglichst großen Abstand zu halten. Bei „Messertätern“, so B., sei aber die Schusswaffe immer Teil des polizeilichen Umgangs. Ziel sei dabei nicht die Entwaffnung des polizeilichen Gegenübers, sondern die Beendigung des „Angriffs“, betont der Zeuge auf Nachfrage der Staatsanwaltschaft.Die rechtlichen Grundlagen beim Gebrauch von Waffen werden in den einsatzpraktischen Trainings nicht vermittelt. Das sei Teil des Curriculums an der Hochschule. In den Trainings würde über die Notwendigkeit zur Abwägung der Verhältnismäßigkeit von Maßnahmen gesprochen. Zum Training gehöre es auch, dass die Studierenden lernen, dass die Androhung von Maßnahmen in Situationen, in denen ihrer Einschätzung nach keine Zeit mehr bliebe, entbehrlich sei.

Die Studierenden würden in der Ausbildung über das Hinzuziehen von Spezialkräften oder anderen Fachkräften lernen und Situationen bis zum Eintreffen dieser statisch zu halten.

Die Nebenklage hält B. ein Strategiepapier des LAFP aus dem Jahr 2017 vor, in dem ein robusteres Auftreten von Polizist*innen und schärfere Trainings für Kampfeinsätze gefordert werden. Nebenklage-Anwältin Lisa Grüter fragt, ob dieses Strategiepapier Einzug in die Ausbildung erhalten habe. Der Zeuge entgegnet, dass er erst seit 2021 in seiner Position sei und dieses Strategiepapier nicht kenne. Wie bei jeder ihrer bisherigen Befragungen wird Grüter mehrere Male vom Richter, dem Staatsanwalt und Verteidigern unterbrochen, zurechtgewiesen und belehrt.

Zuletzt fragt der Verteidiger des angeklagten Schützen, ob die Student*innen lernen würden, wie statische Lagen bei Menschen in psychischen Ausnahmesituationen aussehen und was Indikatoren einer Veränderung zu dynamischen Situationen sein könnten. Dieser antwortet, dass durch Aufklärung und Beobachtung der Situation beurteilt werden solle, ob ein „Notzugriff“ notwendig sei. Anzeichen einer Veränderung der Lage in eine dynamische werden in der Ausbildung nicht gelehrt.

Der Zeuge wird unvereidigt entlassen. Richter Kelm liest ein LKA-Untersuchungsgutachten zur Audiodatei des Notrufs vor. Es werden acht Geräusche identifiziert, die einem Taser und der Maschinenpistole zugeordnet werden. Zeitlich liegen das Geräusch 1 (Taser) und 2 (der erste Schuss aus der MP5) 0,71 Sekunden auseinander. Zwischen den weiteren Geräuschen liegen jeweils ca. 0,21 Sekunden. Es wird vermutet, dass die Geräusche 7 und 8 Echos der vorherigen Schüsse sind. Das Gutachten kommt zu der Annahme, dass eine Schussabgabe im Einzelfeuer (statt Dauerfeuer) wahrscheinlich ist.

Nach der Verlesung des Gutachtens beendet Richter Kelm die Sitzung um 10:45.

Weiter geht es am 07.10. um 14:00. Es ist noch nicht klar welcher Zeuge das nächste Mal geladen sein wird. Wir freuen uns wie immer über solidarische Prozessbeobachtung und sind auch wieder mit einer Mahnwache vor dem Haupteingang des Landgerichts präsent.

Radio Nordpol – Beitrag zum 23. & 24. Prozesstag

In dieser Folge dokumentiert das Radio Nordpol Team die 23. und 24. Prozesstage im Fall der Tötung Mouhamed Lamine Dramés am Dortmunder Landgericht. An diesen Verhandlungstagen sagten der Rechtsmediziner, der Mouhamed nach den tödlichen Schüssen durch die Polizei obduziert hat, als auch ein Ausbilder, der angehende Polizeibeamt:innen im Waffengebrauch schult, aus. 

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Vielen Dank an das Radio Nordpol!

Besonderen Augenmerk wird auf die Begleitung von Spiegel TV während der Woche und der sogenannten Journalistin Vanessa Nischik gelegt. Ihre menschenverachtende Arbeitsergebnisse wurden schon in der Sonderfolge „Presseschau zum Prozess im Fall der Tötung von Mouhamed Lamine Dramé“ eingehend untersucht.
https://radio.nrdpl.org/2024/08/22/presseschau-zum-prozess-im-fall-der-toetung-von-mouhamed-lamine-drame/

Bericht vom 23. Prozesstag – 09.09.2024

Prozessbericht vom 23. Prozesstag – 09.09.2024

Im folgenden Bericht wird von den Ergebnissen der Obduktion an Mouhamed berichtet. Das kann verstörend und belastend sein!

Für den heutigen Prozesstag ist der Rechtsmediziner in Ruhestand, Dr. Ralf Zweihoff, geladen. Er hat am 09.08.2022 die Obduktion von Mouhamed im Auftrag der Staatsanwaltschaft durchgeführt.

Zu Beginn seiner Aussage liest der Zeuge aus dem Notarztprotokoll vor. Die Hämaglobinparameter lagen bei 6, was zu niedrig war und Mouhamed erlitt einen großen Blutverlust. Mouhamed wurde noch im Schockraum notoperiert, doch es kam zu einem Herzstillstand. Die Reanimationsversuche waren erfolglos.

Bei seiner Obduktion stellt Dr. Zweihoff fünf Einschüsse in Mouhameds Körper fest. Ein Einschuss am rechten Jochbein, welcher ein Durchschuss war und somit trat das Projektil wieder aus dem Unterkiefer heraus und drang in die rechte Schulter ein. Ein weiterer Schuss im Oberarm, ein Schuss an der Rückseite der rechten Schulter, welcher mit absteigendem Winkel eindrang, wodurch das Projektil in die Brusthöhle drang und zu Blutungen im rechten Lungenflügel führte. Der fünfte Einschuss traf Mouhamed im Bauchbereich, oberhalb des Bauchnabels.

Der Rechtsmediziner kommt in seiner Obduktion zu dem Schluss, dass der Blutverlust im rechten Lungenflügel, sowie die Beschädigungen an der Beckenschlagader durch den Schuss im Bauch, die Todesursachen waren. Laut ihm hätte Mouhamed in seinem allgemeinen Gesundheitszustand die Schüsse im Gesicht und an den Armen überleben können, doch nicht die beiden in Thorax und Bauchhöhle.

Durch die Notoperation und die Reanimationsversuche seien Beschädigungen an Organen, wie Niere und Lunge zu erkennen gewesen.

Es waren zwei Hautdefekte an Schläfe und Eichel durch den Einsatz der DEIGs sichtbar.

Anzeichen des Gebrauchs von Pfefferspray habe er nicht sehen können, jedoch war die Untersuchung dessen nicht seine Aufgabe. Er verweist auf eine kriminaltechnische Untersuchung.

Es seien keine Hämatome durch beispielsweise Fußtritte festgestellt worden. Die Nebenklage erkundigt sich, wie genau er das feststellen konnte, da unter anderem durch die Notoperation die Bauchhöhle offen war. Der Zeuge erwidert, dass durch den großen Blutverlust durch Tritte entstandene Einblutungen im Zwerchfell hätten sichtbar sein müssen. Außerdem waren an Armen und Beinen keine stumpfen Einwirkungen zu sehen. Die Nebenklage fragt kritisch nach, ob das denn auch bei Schwarzer Haut so leicht erkennbar sei. Der Zeuge räumt ein, dass das von außen schwierig zu sehen sei, jedoch wurde Zellgewebe vom Rücken, den Gliedmaßen und dem Gesäß untersucht und daran hätte man Hämatome erkennen müssen.

Brögeler, Verteidiger der Angeklagten B., fragt ob Mouhameds Tod hätte verhindert werden können wenn der Notarzt und die Rettungssanitäter*innen die Schussverletzungen am Bauch und Thorax entdeckt hätten. Aus deren Zeug*innenaussagen sei hervorgegangen, dass sie während ihrer Behandlung von Mouhamed vor Ort nicht alle Schussverletzungen gesehen hätten. Der Rechtsmediziner erwidert, dass das keine Auswirkungen auf den tödlichen Ausgang gehabt hätte, denn die notärztliche Versorgung im Krankenwagen fokussiert sich auf die Stabilisierung der Vitalparameter und erst im Krankenhaus wird dann die Maximalversorgung durchgeführt.

In einem weiteren Gutachten vom 23.08.2022 hat der Zeuge die Schusswinkel und Entfernung zwischen dem Angeklagten Schützen S. und Mouhamed ausgewertet. Er kommt zu dem Ergebnis, dass ein Abstand von mehr als 0,5 Metern, wahrscheinlich zwei bis drei Meter vorhanden war. Richter Kelm wirft ein, dass es doch eher vier Meter gewesen sein müssten, aber darauf käme es nicht an. Eine zuverlässige Aussage zu der Reihenfolge der abgegebenen Schüsse lässt sich aus den Ergebnissen der Obduktion nicht ableiten.

Nachdem der Zeuge unvereidigt entlassen wird, liest der vorsitzende Richter Kelm ein Gutachten der Polizei Recklinghausen zu Schmauchspurenuntersuchungen an der Kleidung von Mouhamed, sowie an der Tatwaffe und den Händen des Schützen, vor.

Weiter geht es am 11.09.2024 um 9:30. Für den kommenden Termin ist ein Polizeibeamter des Landesamts für Aus- und Fortbildung der Polizei NRW geladen. Wir freuen uns wie immer über solidarische Prozessbeobachter*innen und am kommenden Termin wird es auch wieder eine Mahnwache vor dem Landgericht geben.

Bericht vom 22. Prozesstag – 04.09.2024

Der Prozesstag beginnt wie gewohnt mit etwa 15 Minuten Verspätung.

Heute wird die Aufnahme des Notrufs gehört, der am Nachmittag des 8. August aus der Jugendhilfeeinrichtung an die Polizei abgesetzt wurde. Überraschenderweise gibt Richter Kelm vor dem Abspielen der Aufnahme zu bedenken, dass darin auch die Schussabgabe zu hören ist, was „nicht einfach“ sei, und blickt dabei zu den Brüdern Dramé in der Nebenklage. So – wenn auch nach wie vor indirekt – adressiert und ihre emotionale Belastung bedacht hat das Gericht sie zuvor noch nie.

Daraufhin wird die 22-minütige Aufnahme abgespielt.
Der Anrufer, der Wohngruppenleiter Alexander G., wird im Folgenden als G. abgekürzt. Der Polizist von der Leitstelle wird als A. abgekürzt. Die Dokumentation des Notrufs wurde aus Mitschriften verschiedener Prozessbesucher*innen möglichst originalgetreu rekonstruiert.

[16:25 Uhr]

G. meldet sich mit seinem Namen und der Einrichtung.

G: „Folgende Situation: Eine Junge aus Mali, der seit einer Woche bei uns ist, sitzt mit einem Küchenmesser am Bauch im Hof. Er ist nicht ansprechbar, spricht nicht unsere Sprache. Er reagiert nicht auf unsere Ansprache. Bin ich bei Ihnen da richtig oder ruf ich lieber den Krankenwagen an?“

A: „Sie sind hier bei uns auch richtig.“ Er fragt nach der Adresse, G. nennt sie.

A: „Wie alt ist der?“

G: „16.“

A: „Spricht er Deutsch?“

G. sagt, er spreche Französisch und Spanisch.

A. fragt, ob die Person sich selbst verletzen wolle.

G: „Sieht so aus. Er hält sich ein Messer an den Bauch, steht gebückt an der Wand. Das ist sehr dramatisch. “

A. fragt nach einer weiteren Beschreibung des Ortes. G beschreibt, dass Mouhamed in der Ecke im Innenhof sitze. Er wurde durch Zufall von den Nachbarn entdeckt.

A: „Ist er verletzt?“

G: „Glaube nicht.“

A: „Glauben Sie, er möchte sich selbst verletzen?“ G. bejaht. Mouhamed sei am Wochenende weggelaufen und in der LWL-Klinik gewesen. Dort habe man mittels eines französischen Dolmetschers herausgefunden, dass er sich etwas antun wolle.

A. fragt nach Mouhameds Aussehen.

G: „Das ist ein dunkelhäutiger, junger Mann aus Mali, ca. 170 groß.“

A: „Bekleidung?“

G: „Aktuell ist er oberkörperfrei.“

A. fragt weiteres zur Örtlichkeit.

G: „(…) Da ist ein Zaun, da kommt man nicht so einfach rüber.“

A: „Sollen wir einen RTW gleich mitschicken?“

G: „Kann nicht schaden.“

A. fragt, ob jemand Sicht auf Mouhamed habe. G. entgegnet zwei Kollegen aus der Einrichtung seien draußen im Innenhof und hätten einen Blick auf ihn.

A. teilt mit, dass Kollegen (Polizeibeamte) in Uniform und in Zivil unterwegs seien.

G: „Ist da jemand dabei, der Französisch spricht? Zufällig?“

A: „Weiß ich nicht.“

A. fragt nochmal, ob Mouhamed in der LWL-Klinik war. G. bestätigt.

A: „Was ist das für ein Messer?“

G: „Ein Küchenmesser. Ca. 15-20 cm groß.“

A. fragt, ob es scharf sei.

G: „Ja, also es ist kein Brotmesser, sondern ein scharfes.“

A. fragt, wie der Zutritt zum Innenhof sei. G. antwortet, man komme durch ein Tor in den Innenhof. Ein Kollege würde die Polizeibeamten dann einweisen. Ein Mitarbeiter gehe jetzt vor die Tür.

A: „Ich würde Sie noch kurz in der Leitung halten bis die Kollegen eingetroffen sind. Erstmal gehen wir weiter davon aus, dass er unverletzt ist, ja?“ G. bestätigt. Die Mitarbeiter aus der Einrichtung haben weiter Sichtkontakt auf Mouhamed. Längeres Schweigen in der Leitung.

A: „Können Sie mir die Personalien nennen?“

G: „Muss ich kurz nachschauen: Mouhamed Dramé, geboren am 07.11.2005. Viel mehr hab ich noch nicht. Ausländerbehördlich ist er nicht erfasst.“

A. fragt, ob Mouhamed schon mal mit Suizidabsichten aufgefallen sei. G. ist abgelenkt und sagt, die Polizeibeamten stehen an der falschen Kreuzung. A. sagt, die würden sich dort noch besprechen. G. antwortet auf die vorherige Frage, er wisse nichts von konkreten Suizidversuchen.

G: „Er hat gesagt: Ich will und ich mach. Aber es ist nichts passiert.“

A: „Also verbale Andeutungen, aber nichts konkretes.“ Erneutes Schweigen.

A: „Wenn sich was verändert, teilen Sie mir das bitte mit.“ G. bestätigt.

A. fragt, ob Mouhamed aktuell allein im Innenhof sei. G. antwortet, eine Kollegin sei noch mit Sicherheitsabstand da.

A: „Was heißt das?“

G: „So 3 Meter.“

A: „Von der haben Sie die Informationen?“ G. bestätigt.

A: „Können Sie den Innenhof beschreiben?“

G: „Man kommt durch das Tor durch.“

A. fragt, ob ein Auto durchpasse.

G: „Mit einem kleinen Auto kommt man durch. Die eine Hälfte ist gepflastert, die andere Wiese. Es gibt keine großartigen Hindernisse, ein paar Stühle und Tische. Dann ist da die Kirche und dahinter der Zaun.“

A. fragt, ob man von der anderen Seite in den Hof komme.

G: „Nur über das Tor oder den Zaun. Aber da kommt man nicht unverletzt drüber.“

A: „Wie hoch ist der Zaun?“

G: „1,80 Meter. Aber da sind oben Spitzen drauf.“

A: „Können Sie die Mitarbeiterin erreichen und sagen, dass Sie den Innenhof verlassen soll?“

Man hört, wie G. einer Kollegin sagt, sie solle das weitergeben. Es gibt jetzt keinen Sichtkontakt mehr auf Mouhamed. G. sagt, dass jetzt die Beamten da seien.

G: „Sind das wirklich Ihre Kollegen? Scheint nicht so.“

A. fragt nach, welche Sprachen Mouhamed spreche:

A: „Französisch und …?“

G: „Spanisch.“

A. fragt nach Fahrzeugen im Innenhof.

G: „Ein kleiner Opel und ein Smart.“

A. fragt die Kennzeichen ab.

A: „Das machen Sie sehr gut, das ist sehr hilfreich.“

Es bestehe eine Gefahr für den Jungen und auch für die Kollegen.

G: „Gerade die Fluchterfahrung ist ja auch Traumatisierung irgendwo.“

A: „Ist es möglich, dass die Kollegen sich unbemerkt nähern?“

[16:40]

G: „Es sind alle da. Das ist jetzt ziemlich voll.“

A: „Uniform oder zivil?“

G: „Beides.“

A. fragt erneut, ob man sich Mouhamed unbemerkt näher könne.

G: „Man kommt auf 3 Meter dran ohne gesehen zu werden, wenn die Lage so bleibt.“ Mouhameds Blickrichtung sei zur Missundestraße.

A: „Hat er seine Position schon mal verändert?“ G. verneint.

A: „Können Sie sagen, wo das Messer ist?“

G: „Das Messer ist in seiner rechten Hand.“

A: „Hat er noch ein zweites Messer?“

Ausschließen könne G. es nicht, „aber in der Trainingshose müsste es sichtbar sein.“

G. weist im Hintergrund eine Kollegin an, die Tür zu schließen.

A. fragt, ob Mouhamed mit dem Rücken zum Innenhof sitze. G. antwortet, er lehne an der Mauer.

A: „Sind die Kollegen schon an der Kirche vorbei?“

G. sagt, die seien schon bei Mouhamed. Vier in Zivil, fünf in Uniform.

G: „Die haben ihn auf jeden Fall schon im Blick. Es scheint eine Kontaktaufnahme stattzufinden.“

A: „Können Sie mir aus Ihrer Position noch Infos geben, die die Kollegen vor Ort nicht haben?“

G: „Ich habe die Fluchtgeschichte. Mehr nicht.“

A. sagt, er müsse kurz abklären, ob er G. im Notruf halte oder nicht.

A: „Können Sie abschätzen, wie er auf die Kollegen reagiert wird?“ G. verneint. Er habe Mouhamed heute erst kennengelernt, er sei im Urlaub gewesen und können es nicht einschätzen.

Es folgt ein längeres Schweigen.

G: „Meine Güte, wird der jetzt getasert, der Arme?“

A: „Das kann ich nicht beurteilen.“

G: „Ich habe nur ein gelbes Gerät gesehen.“ A. antwortet, das sei ein Taser.

G: „Alles gut, ich habe mich nur kurz erschreckt.“

A. sagt es sei wahrscheinlich, dass „Hilfsmittel“ eingesetzt werden. Während er redet hört man 5-6 extrem schnell aufeinander folgende Schüsse. Im Hintergrund sind laute Rufe der Polizeibeamten zu hören.

A: „Ich muss mal abklären ob wir diesen Notruf weiter halten…”

G: „Du meine Güte!”

A: „Ok, ich beende dann an dieser Stelle das Gespräch.“

G: „Ja, alles klar, danke Ihnen.“

A: „Danke auch.”

Beide: „Tschüss.“

[16:47 Uhr]

Nach Ende der Aufnahme herrscht einige Sekunden Stille im Gerichtssaal. Vereinzelt werfen Menschen aus dem Zuschauerraum fassungslose Kommentare in die Stille.

Ohne Kommentar fährt Richter Kelm fort, eine Nachfrage zu technischen Details der verwendeten Taser zu beantworten und verliest Informationen zu den Gradwinkeln, in denen die Fern- und Nahbereichskartuschen der Taser jeweils ihre Pfeile verschießen.

Zum Abschluss des Verhandlungstags werden die Inhalte der nächsten Sitzungen grob angekündigt. Später werden die Prozessbeteiligten dann aufgeklärt, dass beim nächsten Termin (9.9.) der Sachverständige Dr. med. Ralf Zweihoff, beim übernächsten Termin (11.9.) der Polizeiausbilder Ulrich B. aussagen sollen.

Der Richter erfragt noch das Einverständnis der Verteidiger zu Dr. Zweihoffs Aussagen, da diese die Aussagen der Angeklagten, die aufgrund eines formalen Fehlers der ermittelnden Polizeistelle in Recklinghausen aktuell unter dem Beweisverwertungsverbot liegen, beruhen; dies wird bejaht.

Verteidiger Brögeler fragt zurück, ob noch folgende schriftliche Gutachten nicht von den Prozessbeteiligten im Selbstleseverfahren zur Kenntnis genommen werden können (statt vom Richter während des Prozesses vorgelesen zu werden). Richter Kelm beantwortet, dass es sich nur um wenige Stellen handle – und ergänzt überraschenderweise, dass das Vorlesen eine einfachere Verdolmetschung an die Nebenklage erlaubt, was zuvor im Prozess noch nie berücksichtigt wurde.

Es geht weiter am 9. und 11. September um je 9:30, dann am 7. Oktober um 14:30. Am 7. wird es wieder eine Mahnwache vor dem Gericht geben sowie eine solidarische Prozessbegleitung, zu der Unterstützer*innen und Interessierte herzlich eingeladen sind.
Alle weiteren kommenden Termine unter: https://justice4mouhamed.org/prozessbegleitung.

Bericht vom 21. Prozesstag – 02.09.2024


Der folgende Bericht enthält konkrete Beschreibungen von Polizeiwaffen aus dem Einsatz vom 8.8.2022 sowie der daraus entstandenen Verletzungen und Obduktionsergebnissen.

Am heutigen Prozesstag sind Ingo L., tätig am Landesamt für Aus- und Fortbildung und Personalangelegenheiten der Polizei NRW und Prof. Dr. Sebastian K., Gerichtsmediziner am Klinikum Ulm und Medizinischer Berater im Scientific Advisory Board des Taser-Produzenten Axon geladen.

Der Polizeiausbilder sagt aus, dass Einsatztrainer*innen in der Polizei NRW an den zwei zentralen Fortbildungsorten Selm und Brühl ausgebildet werden und dann als Multiplikator*innen Beamte in ihren Behörden vor Ort weiterbilden. Der Zeuge ist als Lehrender an den zentralen Fortbildungsorten der Polizei tätig.

Zentrale Inhalte der Fortbildungen sind zum einen die Vermittlung von Konzepten und Manualen, welche für die Polizeiausbildung verpflichtend sind, als auch praktisches Training im Umgang mit dem DEIG (Distanzelektroimpulsgerät, „Taser“), dem RSG 8 (Reizstoffsprühgerät, „Pfefferspray“), der MP (Maschinenpistole) 5 und, wie er sagt, der Frage „schießen oder nicht schießen“.

In der Schulung der Multiplikator*innen werden diverse Einsatzszenarien mit unterschiedlichen Parametern eingeübt. Die Beamt*innen trainieren in ihren jeweiligen Behörden nicht all diese Einsatzszenarien, sondern wählen nur einzelne aus. Dadurch kann die Polizei nicht garantieren, dass alle Beamt*innen mit allen vermittelten Fortbildungsinhalten vertraut sind.

Zuerst werden in der Zeugenvernehmung die Funktionen der bei der Tötung von Mouhamed verwendeten Einsatzmittel vom Zeugen erläutert.

Zum Pfefferspray erläutert der Zeuge, dass das „kleine RSG“ mit einer Füllmenge von 45ml von allen Beamt*innen in NRW an Gürtel oder Weste getragen wird und eine Reichweite von ca. 4 Metern habe. Das „große Pfefferspray“ RSG 8 mit 400ml hat eine Reichweite von ca. 7 Metern. Pfefferspray würde laut Polizeikonzept eingesetzt, um einen „erwarteten Widerstand herab[zu]setzen, um Festnahmen durchzuführen“. Es greift Augen, Atemwege und Haut an. Welche Wirkung genau eintritt, sei von Person zu Person unterschiedlich. Teils komme es zu stark verzögerten Reaktionen, bei einem gewissen Anteil von Personen wirke es gar nicht. Die Polizei habe bisher keine Kriterien feststellen können, anhand derer sich erklären ließe, warum das Pfefferspray bei Menschen so unterschiedlich wirkt. Der Zeuge bezieht sich auf eine Ausarbeitung der Bundespolizei, bei der herauskam, dass bei 50% der Betroffenen von Pfefferspray eine sofortige Wirkung eintritt. Die anderen 50% erlitten entweder eine stark verzögerte Wirkung, es müsse „zwei Mal gepfeffert werden, bis eine Wirkung eintritt“, und bei 10% der Getroffenen bleibe eine Wirkung gänzlich aus.

Die Fortbildung zum DEIG sei umfangreicher und werde seit 2020 nach PolG zentral geschult. Die Verwendung der Waffe sei nur mit Abschluss der Fortbildung erlaubt. Jedes DEIG hat zwei Kartuschen, eine Nah- und eine Ferndistanzkartusche, die Distanzen von etwa 1,20m bis 7,50m überbrücken können. Bei längeren Distanzen reißen die Drähte, die aus dem Gerät herausgeschossen werden.

In der Ausbildung werden keine Ge- oder Verbote in Bezug auf das Einsatzgebiet gelehrt. Das sei im Einsatz von den Beamt*innen in jeder Situation abzuwägen und auszuwählen. Das DEIG wird in statischen Situationen und gegenüber unbewaffneten Personen empfohlen. In dynamischen Situationen sowie bei Gegenübern mit Hieb-, Stich- und Schusswaffen sei es grundsätzlich nicht das richtige Einsatzmittel, da sich die Treffsicherheit durch Bewegung und Stress bei den Beamt*innen verringere, sowie die Möglichkeit von Fehlfunktionen oder ausbleibenden Treffern keine ausreichende Sicherheit in Angriffssituationen böten. Die Verwendung bleibe jedoch eine Entscheidung, die im konkreten Einsatz von den Beamt*innen abgewogen werden müsse. Auf das Narrativ der situativen Entscheidung und der Eigenverantwortung im Einsatz beruft sich der Zeuge sich im Verlauf des Verhandlungstages des Öfteren. Auch in Bezug auf den Umgang mit Menschen in psychischen Ausnahmezuständen sowie bei Selbstmordgefährdung erwidert der Zeuge auf Nachfrage, dass es „kein verbindliches Konzept“ gebe, kein Verbot von Einsatzmitteln, sondern lediglich „Hinweise, wie man sich verhalten könnte.“ Auch bei Messersituationen spielen verschiedene Parameter eine Rolle, empfohlen sei, Situationen statisch zu halten, zu befrieden, zu sprechen und beruhigen. In diesem Fall sei ein polizeilicher Schusswaffengebrauch aber „sehr wahrscheinlich“. Die 7 Meter-Regel, die zuvor im Prozess, auch von den Angeklagten, für Messersituationen referenziert wurde, sei keine feste Vorgabe der Polizei, sondern lediglich das Ergebnis eines Selbstversuchs aus der US-Polizei in den 1980er Jahren („Tueller Drill“). Eher seien Faktoren wie Mimik, Gestik und die Einschätzung über eine Tötungsabsicht entscheidend. In jedem Fall sei ratsam, „ein Zeitfenster zu erspielen“, auch durch Rückzug der Beamt*innen. Der Zeuge bestätigt jedoch, dass im Fall des Schießens so lang geschossen werden solle, bis das Ziel, den Angriff abzuwehren, erreicht sei, also die betreffende Person nicht mehr läuft und zu Boden geht: „Schießen, schießen, schießen, bis die Person zu Fall kommt.“

Der Zeuge und zwei Kollegen haben zum Termin ein kleines und ein großes Pfefferspray sowie ein DEIG mitgebracht, die vorgeführt werden. Der Zeuge führt an einer Wand des Gerichtssaals, über dem Platz der Nebenklage, die Laserpunkte vor, die die voraussichtlichen Treffer der beiden Pfeilelektroden anzeigen. Die Spitzen der Pfeile beschreibt der Zeuge als „Angelhaken“, die „unter relativ sicheren Bedingungen wieder zu entfernen“ seien. Diese sollen sich beide in Körper, Oberhaut oder Kleidung einer Person verhaken, wodurch sich der Stromkreis schließt und für ca. 5 Sekunden Strom abgegeben wird. Dadurch wird eine „neuromuskuläre Immobilisation“ verursacht, wodurch die getroffene Person starr und zu Fall gebracht wird. Der Zeuge sagt aber auch aus, dass Treffer mit beiden Pfeilelektroden „unwahrscheinlich“ seien und umso unwahrscheinlicher, je mehr Personen sich bewegen.

Der Zeuge spricht in der Befragung durch die Nebenklage auch ein Stufenmodell an, nach dem nicht nur die Schüsse aus dem Taser, sondern auch schon dessen Präsenz und das Knistern des Geräts Teil seiner Wirksamkeit im Einsatz seien. 70 bis 80 Prozent der Situationen können, so der Zeuge, so ohne die tatsächliche Abgabe von Taserschüssen beendet werden. Hier unterbricht Richter Kelm und fordert den Zeugen zum Vormachen des Knisterns auf, woraufhin der Zeuge das laute Geräusch im Saal vormacht.

Der Zeuge sagt zur MP 5 aus, dass eine solche in jedem Streifenwagen in NRW mitgeführt wird, während jede*r Beamt*in eine P99 Pistole im Dienst mit sich führt. Für beide müsse jährlich eine Prüfung abgelegt werden. Im Gegensatz zur P99 können mit der MP 5 größere Distanzen überwunden und präzisere Treffer erzielt werden. Im Training mit der MP 5 gehe es nicht um die Vermittlung neuer Inhalte, sondern um eine Auffrischung in der Handhabung der Waffe als auch (verstärkt seit 2023) um die Einsatzkommunikation und das Erarbeiten alternativer Verhaltensmuster (außer schießen). Der Zeuge betont: „Die Entscheidung, nicht zu schießen, muss genauso Teil des Trainings sein wie das Schießen“. Zum Einsatz gegen Mouhamed kommentiert der Zeuge: „Dass jemand nicht spricht, berechtigt nicht grundsätzlich zum Einsatz von Waffen.“Seit 2023 wird ein neues Einsatzkonzept zum Umgang mit Menschen in psychischen Ausnahmesituationen bei der Polizei NRW vermittelt. Dieses Konzept sei von einer Psychologin bei der Bundespolizei eingeführt worden und habe dort zu positiver Resonanz geführt. Die Entwicklung des Konzepts sei schon vor der Tötung Mouhameds begonnen worden, durch die Präsenz des Einsatzes in den Medien sei dies aber deutlich beschleunigt worden.

Der Zeuge wird unvereidigt entlassen.

Als zweiter Zeuge des Tages sagt der Rechtsmediziner und seit 2017 Berater der Taser- und Bodycam-Produktionsfirma Axon, Prof. Dr. Sebastian K, aus.

Er hat am 11.10.2022 das rechtsmedizinische Sachverständigengutachten über Mouhamed Dramé angefertigt und zeigt begleitend zu seiner kurzen Aussage eine Powerpoint-Präsentation. Beginnend mit allgemeinem Wissen zu Strom ordnet er den Taser mit dessen Stärke von 1,2-1,5 milli-Ampere und einer Eindringtiefe der Pfeilelektroden von maximal 1,15 cm in den Körper, ein. Die dadurch entstehenden Verletzungen, eventuell mit zusätzlichen Oberhautabschürfungen, seien im Millimeterbereich und somit „minimal“. Er führt aus, dass nur dann Elektroimpulse entstehen, wenn eine negative und eine positive Pfeilelektrode gleichzeitig im Kontakt mit einem Körper seien. Hierbei betont er die technische Fortentwicklung vom aktuell von der Polizei NRW genutzten Taser T 7 der Firma Axon, im Vergleich zum neusten Taser T 10 von Axon. Er bestätigt, dass von den zwei Geräten, mit denen auf Mouhamed geschossen wurde, vom ersten Gerät möglicherweise ein Pfeil, aber nicht zwei trafen, wodurch sich der Stromkreis nicht schloss. Die Pfeile des zweiten Tasers trafen Mouhamed, woraufhin über 4,94 Sekunden 109 Elektroimpulse abgegeben wurden. Der erste Taser wurde daraufhin noch drei mal ausgelöst. Hätten beide Pfeile des Tasers Mouhamed getroffen, dann wären noch drei weitere 5 Sekunden-Impulse ausgelöst worden.

Dies konnte durch die Auswertung der in den Tasern verbauten Mikrochips von Axon festgestellt werden.

Der Zeuge berichtet vom rechtsmedizinischen Gutachten, dass Mouhamed 1,61m groß und 57kg schwer war. Der behandelnde Arzt entfernte mindestens zwei Elektroden. Eine Verletzung durch eine Pfeilelektrode wurde im Genitalbereich festgestellt. Die ein oder zwei anderen Treffer konnten nicht identifiziert werden. Möglicherweise lagen sie an Operationsstellen von der Obduktion, weshalb sie nicht mehr sichtbar waren. Außerdem wurde eine Schläfenverletzung, die nicht vom Taser stammte, festgestellt.

Durch den Stromkreis, der zwischen Genitalbereich und Unterbauch entstand, muss Mouhamed eine „starke Schmerzreaktion“ erlitten haben. Dadurch wurde eine „schmerzbedingte Handlungsunfähigkeit“ ausgelöst, jedoch keine „muskuläre Handlungsunfähigkeit“. Der Zeuge erläutert des Weiteren, dass zwischen den Elektroden ein Mindestabstand von 30 cm sein muss, damit die getroffene Person zu Fall kommt. Bei einem Abstand von bis zu 20 cm beschränkt sich die Wirkung auf den Bereich zwischen den Elektroden. Das bedeutet, je nach Abstand der Elektroden führt der Stromkreis zu Schmerzen, jedoch nicht zu einer Bewegungsunfähigkeit. Bei Mouhamed wurde der Stromkreis in einem Radius kleiner als 30 cm geschlossen, wodurch er nicht zu Fall kam.

Auch der zweite Zeuge wird unvereidigt entlassen.

Damit endet der 21. Verhandlungstag. Weiter geht es am Mittwoch, den 4. September, sowie in der darauffolgenden Woche am 9. und 11. September.

Radio Nordpol: Presseschau zum Prozess

Seit Beginn im Dezember 2023 wird der Prozess von regionalen und überregionalen Medien begleitet. Das Interesse der Öffentlichkeit ist groß am ersten Prozess der Nachkriegsgeschichte, in welchem ein Polizeibeamter wegen Totschlags im Einsatz angeklagt ist. Darüber hinaus haben wir uns den aktuellen Podcast des WDR zum Fall einschließlich des Interviews mit dem Hauptangeklagten angehört. Am Ende steht ein inhaltsanalytischer Überblick über die Instrumente von Copaganda. Und es wird von der Beschwerde von Radio Nordpol beim Deutschen Presserat berichtet.

In der Aufzeichnung spricht neben dem Radio Nordpol der Solidaritätskreis Justice4Mouhamed und Nicole von Justizwatch.

Unter folgenden Links kann die Aufzeichnung angehört werden.

Radio Nordpol Website:
https://radio.nrdpl.org/2024/08/22/presseschau-zum-prozess-im-fall-der-toetung-von-mouhamed-lamine-drame/

Spotify:
https://open.spotify.com/episode/1LrUF8Qr1D5QNT08gACdd3?si=f64d7d1e600544d8

Vielen Dank an das Radio Nordpol!