How to: Prozessbegleitung

*English Version below*

Kommt früh! Wer einen Platz im Gericht möchte, sollte deutlich früher anstehen.
Einlass für Besucher*innen ist der Hintereingang: Hamburger Straße 11 (direkt am Ausgang der U-Bahn Ostentor).
Die Mahnwache bietet heiße Getränke und am 2.12 & 12.12. auch WC-Möglichkeiten an.
Es gibt beim Einlass KEINE Personalienkontrolle (mehr)!
Es gibt eine “Flughafenkontrolle”, Gepäck muss durch eine Schleuse und Personen durch einen Metalldetektor gehen.

    Einige Dinge (Elektrogeräte, Essen, Getränke) müssen abgegeben werden.
    Mit in den Saal genommen werden dürfen etwa Bonbons, Kaugummis, manchmal Wasser in Plastikflaschen, Jacken, Schreibsachen.
    Im Gericht sind Kopfbedeckungen, die keinen religiösen Hintergrund haben, sowie T-Shirts mit politischen Aussagen, in der Vergangenheit verboten worden. Dazu zählen auch (unverdeckt getragene) T-Shirts mit Mouhameds Gesicht.

    Im Anschluss an den Gerichtsprozess kann sich an der Mahnwache vor dem Gericht (Kaiserstraße 34) getroffen und ausgetauscht werden.
    Keine*r wird mit dem Erlebten alleingelassen!
    Der Solidaritätskreis J4M ist jederzeit ansprechbar, wenn Unterstützung gebraucht wird. Auch z.B. eine Simultanübersetzung in verschiedene Sprachen kann vorab oder spontan bei uns angefragt werden.

    Jede solidarische Person zählt – bring your friends!

    Arrive early! If you want to get in, you should line up significantly earlier
    Admission for visitors is at the rear entrance, Hamburger Straße 11 (directly at the exit of the ‘Ostentor’ subway station).
    We offer hot drinks and toilet facilities (02.&12.12.).
    There is NO identity check at the entrance (anymore)!
    There is an “airport control”, luggage is screened and people have to go through a metal detector.
    Some items (electrical appliances, food, drinks) must be left at the entrance. Items such as cough drops, chewing gum, sometimes water in plastic bottles, jackets and writing materials can be taken into the courtroom

    In the past, headwear with no religious background and shirts with political statements have been banned in court. This also includes (uncovered) shirts with Mouhamed’s face.
    After the trial, people can meet and exchange at the vigil in front of the court (Kaiserstraße 34).
    No one’s left alone!
    We can be contacted at any time when support is needed. For example, simultaneous translation into different languages can be requested from us in advance or spontaneously.

    Every person counts – bring your friends!

    Radio Nordpol – Beitrag zum 27. Prozesstag

    An diesem Prozesstag wurde ein Interview, welches der Hauptangeklagte Fabian S. dem WDR im Sommer gegeben hatte, im Gerichtssaal gehört. In dem Radiobeitrag werden die Inhalte der abgespielten Podcast-Folge und dessen Relevanz für den Prozess analysiert. In einem Interview beleuchtet der Solidaritätskreis Justice4Mouhamed aus medienwissenschaftlicher Perspektive den WDR-Podcast.

    Zum Ende des Verhandlungstages äußerte die Staatsanwaltschaft eine unerwartete neue Einordnung des Tatgeschehens. Wir haben mit der Anwältin Lisa Grüter dazu gesprochen.

    Vielen Dank an das Radio Nordpol!

    Der Link zum Radiobeitrag:

    Hier klicken, um den Inhalt von radio.nrdpl.org anzuzeigen

    Bericht vom 27. Prozesstag – 18.11.2024

    Der folgende Bericht gibt die Perspektive des Schützen wieder, der Mouhamed Dramé tötete.

    Der 27. Prozesstag, der ein Ersatztermin für den entfallenen Termin am 4. November ist, befasst sich mit der Folge des WDR-Podcasts “Mouhamed Dramé – Wenn die Polizei tötet”, in der der Schütze Fabian S. spricht. Sein fast einstündiges Interview in der Podcastfolge wird vom Gericht als seine Aussage vor Gericht am 22. Mai diesen Jahres zusätzliche Einlassung (“Aussage”) gewertet und zu diesem Zweck am heutigen Verhandlungstag vollständig im Gerichtssaal abgespielt. Vor Ort sind einige Besucher*innen, Presse, darunter auch die beiden WDR-Mitarbeitenden, die den Podcast produziert haben, als Prozessteilnehmende wie immer Fabian S. und die anderen Angeklagten sowie die Brüder Sidy und Lassana Dramé. Im Anschluss an das Hören, kurz vor Ende des kurzen Prozesstags noch eine überraschende Wortmeldung der Staatsanwältin Yazir: Eine Änderung des Strafmaßes für alle fünf Angeklagten wird erwogen. Bei allen fünf Angeklagten könnte von fahrlässigem statt vorsätzlichem Handeln ausgegangen werden. Damit könnte das Strafmaß deutlich geringer ausfallen.

    Wie so oft beginnt die Verhandlung auch heute mit Verspätung gegen 10:10. Der versammelte Saal wartet zuletzt auf Verteidiger Brögeler, der noch ohne Robe hereinstürmt.

    Für das Anhören des Podcasts nutzt das Gericht wie sonst selten den großen Bildschirm, der hinter dem Richterpult angebracht ist. Unmittelbar nach Beginn der Verhandlung wird die Folge gestartet (die Folge gibt es zum Anhören hier: https://www.ardaudiothek.de/episode/mouhamed-dram-wenn-die-polizei-toetet-wdr-lokalzeit/folge-7-der-schuetze/wdr/13539125/). Über die Dauer der Folge ist es im Saal ruhig. Die Simultanübersetzung des Übersetzers für Sidy und Lassana Dramé ist leise zu hören.

    Die Podcastfolge bietet dem Schützen Fabian S., einem jungen Polizeibeamten, etwa eine Stunde Zeit, sich selbst, seine Lebenssituation, seinen Blick auf den Einsatz am 8. August 2022 sowie die „Belastung für ihn und seine Familie” durch die gesellschaftliche Aufmerksamkeit und den Prozess darzustellen. Er will zeigen, dass (auch) er ein Mensch ist und ihn das Getane bewegt. Zu Anfang des Interviews formuliert er, dass er „der Nebenklage nicht so ganz die Deutungshoheit überlassen” will. Er berichtet, wie gerne er wieder arbeiten würde, ist aber seit dem Einsatz, als einziger der fünf Angeklagten, „freigestellt”, also bei vollen Bezügen nicht arbeitend. Stattdessen, so im Podcast, renoviere er Haus und Garten seiner Familie.

    Stellenweise spricht Fabian S. depersonalisiert von Getanem; etwa im Moment der Schüsse schwenkt er von der Ich-Erzählung ins anonyme „man”. Über die Anzahl der Schüsse sagt er, er habe so lang geschossen, bis Mouhamed „zum Stillstand gekommen” sei.

    Er sagt, der Rassismus-Vorwurf gegen ihn „tat weh”, und dass glücklicherweise zumindest seine Freunde sich einig waren, dass sein Handeln im Einsatz „nichts mit Rassismus zu tun” gehabt habe. Er denke im Einsatz nicht über Hautfarbe nach, es sei ihm ganz im Gegenteil in seiner Arbeit in der Nordstadt wichtig, alle fair und gleich zu behandeln. Aus seiner Sicht erzählt scheinen diese Kritiken ihn zu verkennen, verletzen.

    Auf die Frage nach Zweifeln am Einsatz verweist er auf die Entscheidungsstrukturen und die Rolle seines Einsatzleiters, dem Mitangeklagten Thorsten H. Nie aber führt er seine Kolleg*innen oder den Vorgesetzten vor, er nimmt sie eher in Schutz.

    Die tödliche Folge seiner Schüsse tue ihm leid, bereuen würde er sein Handeln aber nicht – denn: wenn er nicht auf Mouhamed geschossen hätte, hätte dieser Kolleg*innen verletzten können, unter Umständen tödlich – und damit hätte er noch schlechter leben, sich das nie verzeihen können. Er wünscht sich abschließend „nicht mehr so viel böses Blut”, offen bleibt, ob gegen ihn persönlich, auch gegen seine Mitangeklagten, oder die Polizei insgesamt. Eigene Umgänge, wie eine organisierte Reflexion des Einsatzes oder Veränderungen der Polizei, nennt er nicht.

    Im Ausklingen der Podcastfolge stoppt Richter Kelm die Aufnahme.

    Da es sich um keine Aussage im herkömmlichen Sinne handelt, folgen keine Fragen an Fabian S.

    Stattdessen ergreift Staatsanwältin Yazir das Wort: Die Angeklagten sollen darüber belehrt werden, dass die Staatsanwaltschaft eine Heruntersetzung der Anklage von Vorsatz auf Fahrlässigkeit in Bezug auf ihre jeweiligen Handlungen im Einsatz erwägt. Es könne sich, so Yazir, bei ihrem Handeln um einen Erlaubnistatbestandsirrtum gehandelt haben: Die Beamt*innen seien fälschlich von einer Notwehrsituation ausgegangen und haben dementsprechend gehandelt. In diesem Fall könnte das Strafmaß für die Angeklagten so viel geringer ausfallen, dass anders als beim Vorsatz nicht mit Konsequenzen für ihre berufliche Zukunft zu rechnen wäre. Richter Kelm lässt diesen Einwurf bezüglich einer eventuellen Neubewertung noch unkommentiert und will beim kommenden Prozesstag in der nächsten Woche darüber entscheiden.

    Richter Kelm schließt mit der akustisch kaum verständlichen Information, dass der kommende Prozesstag, der 26. November, wegen der Anreise einer Schöffin statt um 14 Uhr erst um 15 Uhr beginnt. Dieser Termin solle wohl nur etwa eine halbe Stunde dauern. Für den darauffolgenden Termin, den 2. Dezember, seien die zwei vorerst letzten Zeug*innen geladen.
    Gegen 11:10 endet die Verhandlung.

    Wir freuen uns auch beim kommenden Termin und ganz insbesondere bei den beiden wohl letzten Prozesstagen am 2. und 12. Dezember sehr über solidarische Unterstützung, ob im Gerichtssaal oder an der Mahnwache vor dem Haupteingang.

    Radio Nordpol – Beitrag zum 26. Prozesstag

    Der Prozess nähert sich seinem Ende und wie so oft an den letzten Prozesstagen war auch dieser nach nicht einmal 30 Minuten wieder beendet. Ausgesagt hat an diesem Prozesstag der Unfallchirug, der Mouhamed im Klinikum Nord operierte.

    Zu diesem Prozesstag hat das Radio Nordpol Lisa Grüter, die Anwältin der Nebenklage, interviewt. Außerdem wird mit den Brüdern Sidy und Lassane Dramé sowie ihrem Dolmeter Moustapha über deren Empfindungen und Eindrücke im Gerichtssaal 103 des Dortmunder Landgerichtes gesprochen.

    Des weiteren wird in dieser Folge die Antwort des Presserats auf die Beschwerde beim Presserat über die mediale Berichterstattung zu diesem Prozess besprochen. Link zu dem Presseschau Radiobeitrag:
    https://radio.nrdpl.org/2024/08/22/presseschau-zum-prozess-im-fall-der-toetung-von-mouhamed-lamine-drame/

    Vielen Dank an das Radio Nordpol!

    Der Link zur Folge:

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    Bericht vom 26. Prozesstag – 28.10.2024

    Hinweis zum Inhalt: Im folgenden Bericht werden die Notfallbehandlung an Mouhamed Dramé und sein Tod beschrieben. Das kann sehr belastend zu lesen sein. Bitte achtet auf Euch oder überspringt den Text.

    Am heutigen 26. Prozesstag ist ein Arzt geladen, der Mouhamed am 08. August 2022 im Schockraum des Klinikums Nord behandelte.

    Der Zeuge ist als Chirurg in der Unfallklinik der Klinik Nord tätig. Kurz vor dem regulären Feierabend am 8. August 2022 erreichte ihn die Vorankündigung eines schwerverletzten Patienten durch Schusswaffengebrauch. In solchen Fällen wartet ein großes, interdisziplinäres Team im Schockraum auf die Einlieferung des Patienten.

    Die Ankunft von Mouhamed war laut Aussage des Zeugen chaotisch, unter anderem, weil die notärztliche Versorgung im Rettungswagen nicht funktioniert habe wie gewünscht. Mouhamed lebte zum Zeitpunkt des Eintreffens im Klinikum noch. Der Zeuge beschreibt Mouhamed als „unruhig“; die Behandler*innen hätten sich schwer getan, ihn zu beruhigen. Die Frage des Richters, ob Mouhamed geredet oder die Behandlung abgewehrt habe, bejaht der Zeuge.

    Zuerst seien arterielle Blutmessungen in die Wege geleitet und versucht worden sein, eine Narkose zu verabreichen, woraufhin mit diagnostischen Maßnahmen begonnen wurde. Kurz darauf sei Mouhameds Kreislauf kollabiert und er reanimationspflichtig geworden. Eine Stunde lang sei versucht worden, ihn zu reanimieren, jedoch ohne Erfolg. Der Zeuge sagt: „Bei so einem jungen Mensch macht man sich das nicht leicht, die Reanimationsmaßnahme zu beenden. Doch es war aussichtslos.“ Die gesamte Behandlung bis zur Feststellung des Todes habe etwa eine Stunde und vierzig Minuten gedauert.

    Der Zeuge berichtet von sichtbaren Verletzungen in der rechten Gesichtshälfte, Blut an der Vorderseite des Rumpfes, drei Taserpfeilen im Bauchbereich und Schussverletzungen an der Vorderseite des rechten Rumpfs. Mouhameds Kleidung sei schon vor dem Eintreffen in Teilen entfernt worden. Auf die Frage des Richters, welche Verletzungen seiner Meinung nach den Tod verursacht hätten, antwortet der Zeuge, dass er keine Verletzungen gesehen habe, die „unmittelbar todesursächlich“ waren. Er könne das aber auch nicht beurteilen, da er nicht den Obduktionsbericht gelesen habe.

    Zu Beginn der medizinischen Versorgung wurde eine der tödlichen Schussverletzungen im Unterbauchbereich erst für eine Verletzung von einer der Taserspitzen gehalten, da diese „nach außen hin nicht offensichtlich geblutet“ habe. Richter Kelm unterstreicht dies suggestiv mit dem Kommentar: „Sah gar nicht so gefährlich aus, ne?“ Kelms einzige Frage zu den Treffern der Taser lautet: „Eine soll in der Penisspitze gewesen sein?“ Einige Male muss der Zeuge nachfragen, da er die Fragen von Richter Kelm nicht versteht.

    Auf Nachfrage der Nebenklage hin erläutert der Zeuge, dass im Rettungswagen versucht worden sei, einen Zugang in Mouhameds Schienenbein zu legen, dieser aber insuffizient gewesen sei – die verabreichten Medikamente hätten nicht die gewünschte Wirkung entfaltet. Ein Zugang im Schienbein werde in zeitkritischen Momenten oder nach zwei erfolglosen Versuchen von Venenzugängen gelegt. Dies sei bei Mouhamed der Fall gewesen.

    Der Zeuge wird nach der 15-minütigen Befragung unvereidigt entlassen.

    Zum Schluss des nur knapp fünfzehnminütigen Prozesstages erklärt Richter Kelm, dass es nicht möglich war, eine lehrende Person von der Polizeihochschule Gelsenkirchen als Zeug*in zu laden. Daher ist nun jemand aus Köln für den 2. Dezember geladen. Mit dem Termin möchte der Richter die Beweisaufnahme schließen und am selbigen Termin mit dem Plädoyer der Staatsanwaltschaft beginnen. Im darauf folgenden Termin (12. Dezember) sollen dann die Plädoyers der Angeklagten kommen. Zum Zeitpunkt des Plädoyers der Nebenklage und der Urteilsverkündung wurde nichts geäußert.

    Weiter geht es am 04.11. um 13:00. Es wird wieder eine Mahnwache vor dem Haupteingang des Landgerichts geben. Wir freuen uns sehr über alle solidarischen Menschen, die vorbeikommen!

    Demo 14.12.2024 – 13:12 Uhr

    Mobimaterial zum Download unter dem Aufruf!

    Aufruf zur Justice4Mouhamed Demonstration am 14.12.2024, um 13:12 Uhr, an den Katharinentreppen in Dortmund

    Am 08.08.2024 stand in der Dortmunder Nordstadt die Zeit still. Mouhamed Lamine Dramé wurde von der Polizei erschossen, als er sich in einer psychischen Ausnahmesituation befand, in der er ein Messer gegen sich selbst richtete.

    Wir, der Solidaritätskreis Justice4Mouhamed, rufen für den 14.12.2024 zu einer Demonstration auf und fordern weiterhin Gerechtigkeit für Mouhamed und alle von der Polizei getöteten. Gerechtigkeit und Wiedergutmachung, die nicht auf der Bestrafung Einzelner beruhen, können nicht vor Gericht hergestellt werden.  

    Mouhamed Lamine Dramé!
    Die Jugendhilfeeinrichtung kontaktierte die Polizei mit der Frage, ob sie dort an der richtigen Adresse sei. Die Polizei bejahte, wir bezweifeln es. Als Mouhamed nicht auf Ansprache reagierte, eskalierte die Polizei mit Pfefferspray die bis dahin statische Situation. Mouhamed erhob sich und suchte einen Ausweg aus der Nische, in der er war. Daraufhin wurde zweimal ein Taser und nur 0,7 Sekunden später eine Maschinenpistole gegen ihn eingesetzt. Fünf Schüsse trafen ihn, zwei davon tödlich. Anschließend übernahm die Polizei Recklinghausen die Ermittlungen gegen die Polizei Dortmund. Einen Tag zuvor war es umgekehrt, als im Kreis Recklinghausen ein Mann durch die Polizei sein Leben verlor, wurden die Ermittlungen von der Polizei Dortmund aufgenommen. Die Polizei ist eine Ordnungs- nicht Sicherheitsbehörde und hat im Staat das Gewaltmonopol inne. Wehrt ein Staat sich nicht gegen ihr Auftreten, so müssen solche tödlichen Einsätze als planmäßig betrachtet werden.


    Kein Einzellfall!

    Die Fachzeitschrift Cilip kam in einer aufwändigen Recherche zu dem Ergebnis, dass zwischen 2010 und 2022 insgesamt 133 Menschen von der Polizei erschossen wurden. Mehr als die Hälfte davon habe sich in einer psychischen Ausnahmesituation befunden. Ebenfalls vermehrt betroffen sind rassifizierte und obdachlose Menschen. Die Polizei weiß nicht, wie viele Menschen sie tötet, da sie keine Statistik dazu führt. Hier wird einmal mehr deutlich, dass die Polizei als auch der Staat kein Interesse an umfassender Aufklärung von Toden durch die Polizei haben.

    Wir können eine Aufrüstung der Polizei beobachten. Ebenso kamen von FragDenStaat geleakte polizeiinterne Dokumente ans Licht, die aufforderten, die Polizei solle in ihrem Auftreten an Robustheit zulegen. An eine deeskalative, kommuniaktive Handlung wird dabei nicht gedacht.

    Der Prozess
    Die Staatsanwaltschaft erhob Anklage gegen fünf der zwölf am Einsatz beteiligten Beamt*innen. Seit Dezember 2023 wird vor Gericht verhandelt. Wir begrüßen den Prozess, denn nur 2% der angezeigten Polizist*innen müssen sich vor Gericht verantworten. Die Hoffnung des Solikreises bestand nicht in der Bestrafung der Beamt*innen, sondern in der Signalwirkung und dem Potenzial einer wachsenden, kritischen Öffentlichkeit im Kontext tödlicher Polizeieinsätze. Jedoch mussten wir 30 Prozesstage lang beobachten, wie der Richter würdelos mit den Angehörigen, aber verständnisvoll  mit der Polizei umging.  Der Schmerz der Familie Dramé findet vor Gericht keine Anerkennung. Die Prozessführung ist für sie retraumatisierend.

    Die Vorstellung der Familie Dramé von Gerechtigkeit beinhaltet eine moralische Reparation. Das meint, dass Mouhamed als Opfer von tödlicher Polizeigewalt anerkannt wird. Seine Familie wünscht sich eine aufrichtige Entschuldigung seitens der Polizei für die Tötung. Mouhameds Angehörige kämpfen dafür, dass so etwas nie wieder passiert. Diesen Forderungen schließen wir uns unterstützend an und fordern Gerechtigkeit für Mouhamed und alle von der Polizei getöteten!

    Was bedeutet für uns Gerechtigkeit?
    Eine Verurteilung einzelner Polizist*innen wird weitere Tötungen durch die Polizei nicht verhindern, da die institutionelle Ebene, die polizeilichen Leitideen und Strukturen weiter bestehen bleiben. Mit individuellen Verurteilungen wird weder Sicherheit geschaffen, noch der strukturelle Rassismus der Polizei beendet.

    Vor dem Hintergrund, dass überwiegend Menschen bei Polizeieinsätzen sterben, die sich in einer psychischen Ausnahmesituation befinden, migrantisiert sind oder von Wohnungslosigkeit und starker Armut betroffen sind, scheinen uns Strafe und Disziplinierung nicht als geeignete Mittel.

    Gerechtigkeit zu schaffen, meint viel mehr einen aktiven Prozess, der bei gegenseitiger Hilfe, niedrigschwelligen Anlaufstellen sowie sozialen Unterstützungsangeboten, an Grundbedürfnissen und Problemlagen von Menschen, ansetzt.

    Unsere Forderungen:

    – Anerkennung, dass Mouhamed von der Polizei getötet wurde, obwohl es alternative Handlungsmöglichkeiten gab!
    – Verantwortungsübernahme und Entschuldigung bei Mouhameds Familie
    – Ausbau von niedrigschwelligen Angeboten und Anlaufstellen für Menschen in sozialen Not- und Krisensituationen
    – Etablierung einer unabhängigen Beschwerde- und Kontrollinstanz gegenüber der Polizei
     – Rücknahme des Polizeigesetzes NRW und den Einsatz von Tasern. Taser sind tödliche Waffen!
    – Kein Neubau der Wache Nord
    – Diskussionen zu Alternativen der Polizei

    NO JUSTICE – NO PEACE!
    14.12.2024 – 13:12

    Mobi Material zum Download:

    Plakat, Flyer, Sticker & Sharepic (gemeinsamen Anreise)

    • Plakat (pdf):

    • Flyer (pdf):

    • Sticker (pdf):

    • Sharepic Demo:

    • Sharepic Gemeinsame Anreise:

    Stellungnahme zur SpiegelTV Doku „Tod nach Polizeieinsatz: Der Fall Mouhamed Dramé“ vom 14.10.2024

    Am 14.10.2024 veröffentlichte Spiegel TV die Doku „Tod nach Polizeieinsatz: Der Fall Mouhamed Dramé“. „Wir sind erschüttert über diese Darstellungen und möchten Stellung zu den Inhalten der Dokumentation beziehen“, so Alex, Sprecher*in des Solidaritätskreises.

    Die Dokumentation befasst sich fast ausschließlich, in unkritischer Weise mit dem Handeln des Schützen, Fabian S, nicht mit den Einsatzkonzepten oder der Polizei als Institution. „Es gibt kein kritisches Wort zum Einsatz, es wird von Schuld in individualisierter Form gesprochen, die niemals von uns so geäußert wurde. Uns geht es um eine umfassende Kritik. Die Polizei ist nicht die richtige Ansprechpartnerin, wenn es um psychische Ausnahmesituationen geht. Das belegen in diesem Zusammenhang die zahlreichen Toten als auch die Arbeitsweisen der Polizei“, übt Alex Kritik.

    Nischik, welche den Beitrag produzierte, war zuvor für die WELT tätig und berichtete über den Gerichtsprozess. Ihre Artikel waren von Wohlwollen gegenüber der Polizei geprägt, hingegen äußerte sie sich rassistisch gegenüber Menschen mit Migrationsbiographien. Zweitere tauchen bei ihr nur in zugeschriebenen, kriminellen Kontexten auf. So schreibt sie zu „Messertaten“, „Clankriminalität“ und Drogenhandel. Polizist*innen werden verteidigt, etwa wenn es um Konsequenzen zu rechten Chatgruppen, ebensolchen Tendenzen in der Polizei sowie fragwürdigen Einsatzkonzepten, wie dem im Falle Mouhameds, geht. Man dürfe keine Vorverurteilung und keinen Generalverdacht aufstellen, heißt es. Entsprechende Rahmungen finden sich auch in der am 14.10.24 veröffentlichten Doku:

    Fabian S. – Auswegloses Schießen, um Kolleg*innen zu schützen
    In dem Beitrag finden wir den Schützen Fabian S. in einer Protagonistenstory wieder. Es werden Ausschnitte aus seinem Exklusivinterview mit dem WDR gezeigt, in dem der Hauptangeklagte spricht. Seine Gefühle und Gedanken zu dem Einsatzgeschehen am 8.8. stehen dabei im Mittelpunkt, wodurch der Einsatz auf ihn als Person reduziert wird. Er sei nachdenklicher geworden und habe realisiert, „wie schnell man in so eine Situation kommen kann“. Das klingt nicht nur passiv, S. verteidigt auch sein Handeln mit dem Schutz seiner Kolleg*innen und dem Wissen, das er in seiner Ausbildung gelernt habe. Zu schießen scheint dem Polizisten alternativlos zu sein, denn es fällt kein kritisches Wort zu dem Einsatzvorgehen.

    „Die Institution verschwindet hier vollkommen hinter dem Individuum, was eine umfassende Verantwortungsübernahme verunmöglicht. Wir sehen hingegen eine Emotionalisierung, die Empathie hervorrufen soll. Jedoch sehr einseitig – für Fabian S., nicht für Mouhamed und seine Angehörigen, die sogar noch diffamiert werden. Für uns ist das eine klare Täter-Opfer-Umkehr!“, betont Alex, Sprecher*in des Solidaritätskreises.


    Rassistische Darstellungen Mouhameds: „Flüchtling“ und „Messertäter“
    Im Kontrast zu der persönlich-nahen Darstellung des Schützen steht eine von rassistischen Narrativen geprägte Erzählung über Mouhamed Lamine Dramé. Die suizidale Situation, in der Mouhamed sich befand, wird in einen Kontext mit rassistisch konnotierter, sogenannter „Messerkriminalität“ gebracht, anstatt es dabei zu belassen, dass er sich in einer psychischen Ausnahmesituationen befand. Es wird die Schilderung der Polizei übernommen, dass Mouhamed aufsprang und sich schnell auf die Polizist*innen zubewegte, obwohl diese Beschreibung höchst umstritten ist und nicht-polizeiliche Augenzeug*innen von einem orientierungslosen Aufstehen sprechen. Fakt ist jedoch, dass Mouhamed, der sich in einer Ecke zwischen Kirchenmauer und Zaun befand, mit einer ganzen Flasche Pfefferspray besprüht wurde, während er unbeweglich, apathisch vor der Mauer hockte. Als er vom Pfefferspray getroffen war, suchte er den einzigen Ausweg aus der Situation, der durch die Polizist*innen versperrt wurde. Nachdem er aufstand, wurde mit zwei Tasern auf ihn geschossen, nur 0,7 Sekunden später fielen die tödlichen Schüsse. Die Polizei eskalierte in ihrem 10 minütigen Einsatz eine statische Situation, in der es zu keinem Zeitpunkt Anzeichen einer Gefahr für Dritte gab. Doch als genau solch eine Fremdbedrohung stellt die Polizei Mouhamed seit Beginn an dar. Pressesprecher*in Alex beklagt: „Die Spiegel-Doku stellt zur keiner Zeit die Narrative der Polizei in Frage und fragt nicht nach alternativen Handlungsweisen bei Menschen in psychischen Ausnahmesituationen.“ Stattdessen werden falsche Zahlen zu einem angeblichen Anstieg sogenannter „Messertaten“ genannt¹

    Darüber hinaus wird Mouhamed in der Doku als „der Flüchtling“ benannt. Ein gezielt gesetztes, aufgeladenes Wort, welches in dem Beitrag im Kontext mit dem Wort „Messertat“ verwendet wird. In Zeiten rassistischer Diskurse rund um sogenannte „Messertaten“ und Asylverschärfungen, wird Mouhamed implizit als eine gesellschaftliche Bedrohung konstruiert. Diese gesetzten Narrative zeichnen ein Bild über Mouhamed, das Empathiegefühl mit ihm schwächt und ihn als weniger schutzbedürftig darstellt. Informationen, die ihn als Menschen nahbar machen, werden bewusst vorenthalten. Stattdessen wird das Bild eines „Sozialschmarotzers“ gezeichnet, welcher persönliche Angaben verfälscht um die Chance auf einen Bleibestatus zu erhöhen. Auch seine Brüder, die im Beitrag gezeigt werden, werden nicht als Nebenkläger vorgestellt, sondern als Angehörige, die durch Spenden finanziert seit Januar zugegen sind. „Der Solidaritätskreis ist sich einig, dass diese Darstellung rassistische Vorurteile befeuert und Rechten in die Hände spielt. Gerade in Zeiten, in denen die AfD Wahlrekorde verzeichnet und rassistische Inhalte mehr als sagbar geworden sind, ist das fatal. Wir sind schockiert, dass solche Beiträge im Spiegel-Format gesendet werden. Eine Gleichsetzung von Angriff und Suizidalität und die Schlussfolgerung, die Polizei habe keine andere Wahl: Das hat nichts mit Qualitätsjournalismus zu tun!“


    Generalverdacht und Vorverurteilung durch die „linksextreme“ Szene
    Jegliche Kritik an dem Vorgehen der Polizei am 8.8.22, welches zu dem Tod von Mouhamed führte, wird durch Schlagworte, wie „Generalverdacht“ und „Vorverurteilung“ abgeschmettert. Die Kritik, welche aus vielen Teilen der Gesellschaft kommt, wird einer diffusen, nicht näher beschriebenen linksextremen Szene zugeordnet. Nicht nur in den letzten Jahren gab es neben öffentlich-kritischen Stimmen auch wissenschaftliche Veröffentlichungen zur polizeilichen Organisation, Paradigmen, Hintergründen und Einsatzkonzepten². Das ZDF, Monitor und weitere Formate, die sich von „Linksextremen“ distanzieren würden, zeigten kritische Berichterstattungen. Die Benennung des tödlichen Vorgehens der Polizei als rassistische Polizeigewalt, wird in der Doku als „Vorverurteilung durch Aktivisten“ stilisiert. In diesem Kontext wird auch ein Journalist diskreditiert, indem unbegründete Mutmaßungen angestellt werden, er würde bei einer Gruppe mitarbeiten, die vom Verfassungsschutz als linksextrem eingestuft wird. Darüber hinaus wird die aktive Teilnahme an einer Veranstaltung, bei der das Vorgehen der Polizei in Verbindung mit den tödlichen Fälle von Mouhamed und Ante P. kritisiert wird, gegen ihn gewendet. Der Solidaritätskreis solidarisiert sich mit dem angegriffenen Journalisten und kritisiert scharf das unprofessionelle Vorgehen Nischiks.

    Die Auseinandersetzung mit rassistischen Strukturen wird damit abgewehrt, dass der Schütze sagt: „[…] die Aktivisten haben die Schuldfrage schon weit im Voraus geklärt. […] Wenn man sagt, dass es auf die Hautfarbe nicht ankommt, dann interessiert die das nicht, das glauben die nicht“. „Solche Aussagen verteidigen tödliche Einsatzlogiken an sich und lassen außer acht, dass vor allem Schwarze Menschen, Menschen in psychischen Ausnahmesituationen als auch obdachlose Menschen von tödlicher Polizeigewalt betroffen sind“, konstatiert Alex.

    Der Solidaritätskreis Justice4Mouhamed fordert weiterhin eine Verantwortungsübernahme, die nicht in der Bestrafung von Einzelpersonen, sondern in einer Transformation zu gegenseitiger Hilfe und dem Ausbau sozialer Strukturen und niedrigschwelliger Unterstützungsangebote liegt. Der Spiegel kommt zu dem Ergebnis, dass „nicht Rassismus, sondern möglicherweise falsche Entscheidungen in [einer] komplexe[n] Einsatzsituation“ zu Mouhameds Tod geführt haben. Diese Entscheidungen sind kein Einzelfall, haben Struktur und erfordern laut dem Solidaritätskreis eine kritische Aufarbeitung und keine Darstellungen, die polizeiliches Vorgehen gegen Kritik immunisiert und rechten Narrativen in die Hände spielt.


    ¹Wir verweisen hier auf folgende Artikel, die sich mit den sogenannten „Messertaten“ auseinandersetzen:

    Mediendienst Integration. (2023, 7. Januar). Artikel | | Artikel | MDI. Mediendienst Integration. https://mediendienst-integration.de/artikel/messerangriffe-statistik-und- berichterstattung.html (zuletzt aufgerufen 29.11.2024 12:00 Uhr)

    Miller, J. (2024, 5. April). #Faktenfuchs: Warum die Messerangriff-Zahlen intransparent sind. BR24. https://www.br.de/nachrichten/wissen/faktenfuchs-warum-die-messerangriff-zahlen- intransparent-sind,TpdrehK (zuletzt aufgerufen 29.11.2024 12:02 Uhr)

    Wilke, T. (2023, 24. März). Offizielle(!) Zahl der Messer-Attacken halb so hoch wie die sog. “Experten” Volksverpetzer. https://www.volksverpetzer.de/analyse/selbsternannte-messer- experten/ (zuletzt aufgerufen 29.11.2024 12:05 Uhr)


    ² Exemplarisch nennen wir folgende Beispiele für Literatur zu der Kritik an der Polizei. Aufgeführt sind lediglich wissenschaftliche Publikationen:

    Abdul-Rahman, L., Espín Grau, H., Singelnstein, T. (2023). Gewalt im Amt Übermäßige polizeiliche Gewaltanwendung und ihre Aufarbeitung. Campus Verlag

    Amjahid, M. (2024). Alles nur Einzelfälle? Das System hinter der Polizeigewalt Über Racial Profiling, NSU 2.0 und Machtmissbrauch in der Polizei. Piper

    Derin, B., Singelnstein, T. (2022). Die Polizei. Helfer, Gegner, Staatsgewalt Inspektion einer mächtigen Organisation. Ullstein.

    Loick, D. (2018). Kritik der Polizei. Campus Verlag

    Schmidt, S. (2022). Affekt und Polizei. Eine Ethnografie der Wut in der exekutiven Gewaltarbeit. Transcript Verlag

    Radio Nordpol – Beitrag zum 25. Prozesstag

    Das Radio Nordpol richtet in dieser Folge den Blick nach Mannheim: Dort wurde im Revisionsverfahren das Urteil gegen den Hauptangeklagten aufgehoben. Somit wird der Tötung von Ante P. am 02. Mai 2022 in Mannheim erneut verhandelt werden.
    Die Familie von Ante P. und die Nebenklage brauchen umso mehr unsere Unterstützung. Der Kampf und Gerechtigkeit kostet viele Ressourcen – am Geld sollte dieser Kampf nicht scheitern. Wir erneuern daher unseren Spendenaufruf: https://www.betterplace.org/de/projects/133751

    Außerdem wurde ein inhaltlicher Schwerpunkt für diesen Beitrag gesetzt und der Fokus auf die lange erwartete Polizeistudie des Bundesministeriums gesetzt. Wir hören zu den Ergebnissen dieser Studie Kommentare aus der Redaktion sowie vom Solikreis Justice4Mouhamed. Der Solikreis kommentiert zum Schluss die erneuerten Fortbbildungsmaßnahmen der Polizei NRW.

    Hier klicken, um den Inhalt von radio.nrdpl.org anzuzeigen

    Bericht vom 25. Prozesstag – 07.10.2024

    Im folgenden Text werden Details des Einsatzes gegen Mouhamed Dramé beschrieben.

    Am heutigen, nur etwa zwanzigminütigen Prozesstag ist der fünfzigjährige Polizeibeamte Sebastian F. als Zeuge geladen, der am 8. August 2022 für die Sicherung des Tatorts in der Missundestraße zuständig war. Sebastian F. hat bis vor zwei Jahren in der Wache Nord gearbeitet, dann in der Wache West in Huckarde, und ist nun bei der Kreispolizeibehörde im Hochsauerlandkreis tätig. Alle Angeklagten sind ihm von der Arbeit in der Wache Nord bekannt. Prozessbesucher*innen können beobachten, wie er beim Herausgehen dem Schützen Fabian S. zuzwinkert, woraufhin dieser errötet und starr vor sich hinblickt.

    Die Befragung des Zeugen ist sehr kurz und führt inhaltlich zu keinen neuen oder wichtigen Erkenntnissen. Er sagt aus, dass sich zum Zeitpunkt seines Eintreffens am Tatort Mouhamed Dramé im Rettungswagen befand, er von Kolleg*innen am Tatort eingewiesen wurde und dann etwa das Einsammeln der Patronenhülsen beaufsichtigte.

    Nach Beendigung der Befragung verliest Richter Kelm ein weiteres Gutachten zur DNA-Analyse am Messer, das Mouhamed gegen sich selbst gerichtet hatte, sowie an verschiedenen Stellen am Tatort. Die DNA-Analysen bestätigten, dass das Blut, das sich am Messer, dessen Griff, sowie am Auto befanden, in dessen Nähe Mouhamed sich beim Treffen der Schüsse befand, mit dessen Blut übereinstimmt.

    Am Ende des kurzen Prozesstages verkündet Richter Kelm, dass noch die Aussagen des Schützen Fabian S. aus dem WDR-Podcast „Mouhamed Drame – Wenn die Polizei tötet“ bei einem der nächsten Prozesstermine abgespielt werden sollen (https://www1.wdr.de/mediathek/audio/wdr/mouhamed-drame/index.html). Fabian S. Interview in diesem Podcast werde dabei als Einlassung („Aussage“) gehandelt. Daraufhin entrüstet sich, authentisch überrascht von der Verkündung, der Verteidiger, sein Mandant habe doch bereits eine Einlassung gemacht. In diesem Tumult endet der Prozesstag.

    Der nächste angesetzte Termin am 23.10. entfällt!

    Weiter geht es am 28.10. um 9:00 (NICHT 9:30!). Dabei werden der zuständige Arzt aus dem Klinikum Nord, in das Mouhamed eingeliefert wurde, sowie der Dolmetscher befragt, der am Tag vor der Tat in der Psychiatrie in der Dortmunder LWL-Klinik bei Mouhameds Begutachtung übersetzte. Es wird wieder eine Mahnwache vor dem Haupteingang des Landgerichts geben. Wir freuen uns sehr über alle solidarischen Menschen, die vorbeikommen! Die weiteren Termine sind zu finden unter: https://justice4mouhamed.org/prozessbegleitung/.

    Bericht vom 24. Prozesstag – 11.09.2024

    Der folgende Text enthält Beschreibungen aus der Polizeiausbildung, dem polizeilichen Schießen und Umgang mit Menschen in psychischen Ausnahmesituationen.

    Für den heutigen Prozesstag ist ein Polizeibeamter geladen, der als Ausbilder beim Landesamt für Ausbildung, Fortbildung und Personalangelegenheiten der Polizei in Selm arbeitet. Ulrich B. ist Fachkoordinator der Abteilung 4 und zuständig für die Lehrinhalte im Bereich Gefahrenabwehr, konkret für das Modul „Schießen / Nicht-Schießen“.

    In der Befragung wird der Reihe nach durchgegangen, welche Ausbildungsinhalte zu den beim Einsatzgeschehen am 8.August 2022 eingesetzten Waffen RSG (Pfefferspray) DEIG (Taser) und MP5 (Maschinenpistole) gelehrt werden.

    Die Polizeistudent*innen werden in der Ausbildung am RSG3, welches mit RSG6-Kartuschen befüllt ist, angelernt. Dieses unterscheidet sich zum RSG8 durch geringere Füllmenge (45 ml) und Reichweite (ca. 4 m). Der Umgang mit dem RSG8 selbst werde in der Ausbildung nicht gelehrt. Die Studierenden erlernen die Handhabung des RSG3 in zwei Unterrichtsstunden. Dazu gehört das Laden des Reizstoffsprühgeräts, das Herstellen der Einsatzbereitschaft des Geräts, das Einüben der Androhung, das Zielen auf stehende sowie bewegliche Ziele und der sogenannte Systemwechsel (Wechsel vom RSG zur Pistole). Auch werden, für den Fall, dass bei der getroffenen Person keine Wirkung einsetzt, Ausweichbewegungen geübt. Das Grundlagentraining werde mit zwei Einsatzkräften in Rollenübungen vermittelt.

    In der Ausbildung werden keine Prozentzahlen vermittelt, wie oft das RSG bei getroffenen Personen, die in der Aussage als „Störer“ oder „Täter“ bezeichnet werden, eine Wirkung entfalte. Jedoch lernen die Studierenden, dass es unter anderem bei Menschen in psychischen Ausnahmesituationen unter Umständen keine Wirkung entfalten kann. Jedoch sei beim Einsatz des RSG zweitrangig, ob es wirke oder nicht; bei ausbleibender Wirkung können Folgemaßnahmen geschehen, wie Ausweichbewegungen zur Seite, die immer möglich seien, wenn die räumlichen Verhältnisse es zulassen. Seien diese nicht möglich, müsse die einsatzleitende Person entscheiden, wie weiter vorgegangen wird. Eine Möglichkeit sei dann der Einsatzmehrzweckstock (Schlagstock).

    Zum Distanzelektroimpulsgerät (DEIG) kann der Ausbilder nichts sagen, da es nicht Bestandteil der Ausbildung ist. Es werde in NRW aktuell in 18 Behörden verwendet.

    Für die Ausbildung an der Pistole sind während des Polizeistudiums 159 Stunden vorgesehen. Nach der Erstübung, noch vor dem ersten Praktikum, wird die sogenannte LÜTH-Prüfung abgelegt (Landeseinheitliche Überprüfung der Treff- und Handhabesicherheit). Danach dürfe die Waffe mitgetragen werden. Nach Beendigung des Hauptstudiums und einer weiteren Schießprüfung darf dann auch mit der MP5 geschossen werden. In Übungsszenarien wird während des Studiums nur mit der P99 trainiert. Es gebe keine dienstlichen Anweisungen bei welchen Einsatzlagen sich mit einer MP5 ausgestattet und diese eingesetzt werden solle. B. betont, dass die Verwendung von Schussaffen „ultima ratio“ sei.

    Mit dem Einstellungsjahr 2024 wurde das neue Konzept aus der Fortbildung der Polizei NRW bezüglich des Umgangs mit Menschen in psychischen Ausnahmesituationen (MEPAS) auch für die Ausbildung übernommen. Für diese Inhalte sind 16 Stunden vorgesehen. Zuvor sei der Umgang mit Menschen in psychischen Ausnahmesituationen im Curriculum der fachpraktischen Ausbildung nicht thematisiert worden, sondern lediglich in Modulen an der Polizeihochschule. Durch das neue Konzept sollen die Studierenden dazu befähigt werden, zu erkennen, wenn Menschen sich in einer psychischen Ausnahmesituation befinden.

    Konkrete Fragen zu dem Konzept kann B. nicht beantworten. Er beruft sich darauf, dass er und seine Kolleg*innen eine Fortbildung mit den neuen konzeptualen Inhalten selbst noch erhalten müssten. Warum das neue Konzept eingeführt wurde, könne er nicht sagen. Ob das etwas mit dem tödlichen Einsatzvorgehen am 8. August 2022 zu tun habe, wisse er nicht.

    Zum Umgang mit Messern sagt B. aus, dass diese Einsatzsituationen werde in verschiedenen Rollen- und Situationstrainings geübt. Vorgesehen sind 14 Stunden im Zuständigkeitsbereich „Eingriffstechniken“. Bei dem Training solle geübt werden, „mögliche Angriffe durch einen Täter mit Messer im Nahbereich durch Notmaßnahmen abzuwenden“. Zu den Notmaßnahmen zähle der Einsatz des RSG oder die Schusswaffe. Wichtig sei, , situations- und ortsabhängig, einen möglichst großen Abstand zu halten. Bei „Messertätern“, so B., sei aber die Schusswaffe immer Teil des polizeilichen Umgangs. Ziel sei dabei nicht die Entwaffnung des polizeilichen Gegenübers, sondern die Beendigung des „Angriffs“, betont der Zeuge auf Nachfrage der Staatsanwaltschaft.Die rechtlichen Grundlagen beim Gebrauch von Waffen werden in den einsatzpraktischen Trainings nicht vermittelt. Das sei Teil des Curriculums an der Hochschule. In den Trainings würde über die Notwendigkeit zur Abwägung der Verhältnismäßigkeit von Maßnahmen gesprochen. Zum Training gehöre es auch, dass die Studierenden lernen, dass die Androhung von Maßnahmen in Situationen, in denen ihrer Einschätzung nach keine Zeit mehr bliebe, entbehrlich sei.

    Die Studierenden würden in der Ausbildung über das Hinzuziehen von Spezialkräften oder anderen Fachkräften lernen und Situationen bis zum Eintreffen dieser statisch zu halten.

    Die Nebenklage hält B. ein Strategiepapier des LAFP aus dem Jahr 2017 vor, in dem ein robusteres Auftreten von Polizist*innen und schärfere Trainings für Kampfeinsätze gefordert werden. Nebenklage-Anwältin Lisa Grüter fragt, ob dieses Strategiepapier Einzug in die Ausbildung erhalten habe. Der Zeuge entgegnet, dass er erst seit 2021 in seiner Position sei und dieses Strategiepapier nicht kenne. Wie bei jeder ihrer bisherigen Befragungen wird Grüter mehrere Male vom Richter, dem Staatsanwalt und Verteidigern unterbrochen, zurechtgewiesen und belehrt.

    Zuletzt fragt der Verteidiger des angeklagten Schützen, ob die Student*innen lernen würden, wie statische Lagen bei Menschen in psychischen Ausnahmesituationen aussehen und was Indikatoren einer Veränderung zu dynamischen Situationen sein könnten. Dieser antwortet, dass durch Aufklärung und Beobachtung der Situation beurteilt werden solle, ob ein „Notzugriff“ notwendig sei. Anzeichen einer Veränderung der Lage in eine dynamische werden in der Ausbildung nicht gelehrt.

    Der Zeuge wird unvereidigt entlassen. Richter Kelm liest ein LKA-Untersuchungsgutachten zur Audiodatei des Notrufs vor. Es werden acht Geräusche identifiziert, die einem Taser und der Maschinenpistole zugeordnet werden. Zeitlich liegen das Geräusch 1 (Taser) und 2 (der erste Schuss aus der MP5) 0,71 Sekunden auseinander. Zwischen den weiteren Geräuschen liegen jeweils ca. 0,21 Sekunden. Es wird vermutet, dass die Geräusche 7 und 8 Echos der vorherigen Schüsse sind. Das Gutachten kommt zu der Annahme, dass eine Schussabgabe im Einzelfeuer (statt Dauerfeuer) wahrscheinlich ist.

    Nach der Verlesung des Gutachtens beendet Richter Kelm die Sitzung um 10:45.

    Weiter geht es am 07.10. um 14:00. Es ist noch nicht klar welcher Zeuge das nächste Mal geladen sein wird. Wir freuen uns wie immer über solidarische Prozessbeobachtung und sind auch wieder mit einer Mahnwache vor dem Haupteingang des Landgerichts präsent.